Leben verendet nicht. Es wird vollendet

" An Ostern feiern wir, dass unser aller Leben nicht verendet, sondern vollendet wird." Das sagte Bischof Manfred Scheuer in seiner Osterpredigt im Innsbrucker Dom. Wir dokumentieren den Wortlaut der Predigt.

Predigt von Bischof Manfred Scheuer zum Ostersonntag 2014.
  Leben, leben wollen die Leute schon. Ich will doch etwas vom Leben haben, hat mir vor kurzem einer gesagt, der nie mit seinen Finanzen auskommt. Ich will endlich leben, eine Frau, die es in der Ehe und in der Familie nicht mehr aushält, als Korsett empfindet. Ich möchte einmal richtig leben, mich ausleben. Und doch ist es nicht so einfach, das richtige, das gute Leben zu finden und zu leben. Manche machen sich und andere vor lauter Hunger und Durst nach Leben kaputt. Wie viele Menschen fühlen sich zu kurz gekommen, ungerecht behandelt, zu wenig geliebt?! Zu wenig Geld, zu wenig Schönheit, zu wenig Ansehen, zu wenig Macht… Dahinter steckt oft ein falsches Ideal vom Leben, ein falscher Daseinsentwurf: sei es, dass man durch Genuss, Macht, Erkenntnis, Erlebnisse gottgleich sein will, sei es, dass man die eigenen Grenzen nicht anerkennen will oder kann. Oder das, wovon wir uns Freude, Befriedigung, Leben versprechen, greift zu kurz. Und es sind die falschen Mittel: Wer mit Druck und Gewalt Liebe erzwingen will, zerstört sie. Der Mensch „erfährt den Doppelsinn, der in dem lag, was er tat, nämlich sein Leben sich genommen zu haben; es nahm sich das Leben, aber vielmehr ergriff es damit den Tod." Die Mittel sind nicht in sich schlecht. Sie greifen aber im Hinblick auf den Lebenssinn zu kurz, sie sind zu wenig oder im Übermaß zerstörerisch. „Das Furchtbare ist, dass man sich nie genügend betrinken kann.“ Und Geld kann in unseren Verlusterfahrungen und Ängsten nicht trösten. Und mit Arbeitssucht kann man nicht die Gesundheit sichern und dem Tod entrinnen. Die Bejahung, die Anerkennung lässt sich nicht durch Schuften erpressen, nicht produzieren, nicht durch unser eigenes Tun herstellen. - Es geht darum, die Masken der Verführung zu durchschauen. Nicht überall, wo „Leben“ darauf steht, ist „Leben“ drinnen. Das Böse erscheint in der Gestalt der Wohltat. 

Gott ist ein Freund des Lebens. Er ist der, der die Toten lebendig machen kann. Kirche ist ein Ausrufezeichen für das Leben. Sie setzt einen Punkt und macht zugleich ein Fragezeichen, ob das Leben mit alldem schon ausgeschöpft ist, was sich unmittelbar darbietet, oder ob es nicht doch auch erlaubt ist, auf tiefere Dimensionen hinzuweisen und einzugehen. Braucht es in dieser Welt nicht Menschen, die sich weigern, nicht zu hoffen?

„Es ist nicht schön am Ende vom Tod aufgeschluckt zu werden“, sagte einmal ein Patient auf der Hospiz- und Palliativstation in Innsbruck. An Ostern feiern wir, dass unser aller Leben nicht verendet, sondern vollendet wird. Vollendet werden: Damit ist gemeint, dass all das, was wir im Leben gedacht, mit unseren Händen angepackt haben, alles was schwer ging und leicht ging letztlich nicht verloren geht. Es ist in größeren gütigen Händen aufgehoben und es wird vollendet. Seit unserm ersten Atemzug, seit Beginn unseres Lebens gehen wir auf diese Vollendung hin. Ein Weg mit Höhen und Tiefen, mitunter ein schmerzlicher Weg. Diesen Weg gehen wir auch in den Kartagen auf Ostern hin in der reichen Symbolik von Dunkelheit und Licht, Abstieg und Aufstieg, Tod und Leben. An Jesus ereignet sich, was uns allen blüht. Der Tod ist nicht das Ende sondern eine Geburt, eine Auferstehung in ein neues Leben. Ein Ereignis, dass ich nicht selbst machen kann. Gott kommt uns entgegen und vollendet. „Es ist nicht schön am Ende vom Tod aufgeschluckt zu werden“. Ostern möge uns ermutigen: Gott fangt uns auf. Auch wenn es manchmal drunter und drüber geht. Unser aller Leben verendet nicht. Es wird vollendet. (Christian Sint)

Friederike Mayröcker  hat ihren langjährigen Partner Ernst Jandl bis zuletzt gepflegt. Nach dessen Tod wurde sie gefragt, ob es denn nicht deprimierend sei mit ansehen zu müssen, wenn ein Mensch, der nichts mehr halten kann, nach und nach seine Würde verliert. Ihre Antwort: Er hat in dieser Phase an Würde gewonnen (Requiem für Ernst Jandl).

Diese große Auferstehung, der Himmel erschließt sich in kleinen Erfahrungen des Lebens und der Auferstehung. Es gibt tatsächlich Auferstehung, täglich, glückliche Auferstehung aus dem matten Alltag, aus Sorgen, aus festgefahrenen Situationen, aus schlechter Laune, aus Stress und Qual. Auferstehung vor dem Tod erlebt jeder und jede: Einmal hast du einen Schmerz um einen geliebten Menschen gespürt. Du möchtest diesen Schmerz für nichts in der Welt mehr eintauschen. Einmal hast du eine Blume wahrgenommen und darüber gestaunt, dass es so etwas Schönes einfach gibt. Einmal hast du jemanden gestützt und gewusst oder geahnt, was Freundschaft ist. Einmal hast du eine Berührung gespürt, eine Umarmung erfahren, und du hast gewusst: da ist einer, der mich mag. Einmal hast du dich gewundert als du bemerktest, dass du vor dich hin pfeifst. Einmal hast du etwas vom Geheimnis Gottes geahnt. Da sind Taborstunden, Erfahrungen des Glücks, der Lebensfreude, der intensiven Beziehung, die zu uns gehören. Solche Erinnerungen sind Anker der Hoffnung; sie geben Zuversicht auch in dunklen Stunden und lassen nicht verzweifeln.
Die Predigt als Download (PDF) 

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Diözese Innsbruck - Aktuell