Gedenken an NS-Opfer nimmt heute in die Pflicht

Bischof Hermann in Gedenkmesse zu kirchlichem NS-Widerstand in Tirol: Heute fordern u.a. antisemitische Gewalt nach Fußballspiel in Amsterdam und sprachlich-brutalisierter US-Wahlkampf zu Widerstand heraus - Diözese Innsbruck gedenkt Carl Lamperts u.a. Märtyrer

Die Diözese Innsbruck erinnerte am Sonntag bei einem von mit Bischof Hermann Glettler geleiteten Gedenkgottesdienst im Jakobsdom an "herausragende Personen, die aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung und ihres regimekritischen Auftretens im Jahr 1944 dem Vernichtungswahn der Nazidiktatur zum Opfer fielen". Inmitten einer "erschütternd großen Menge von Mitläufern und Mittätern" seien der Mut und die Glaubensstärke der Protagonisten des katholischen Widerstands in Tirol bis heute von größter Bedeutung, sagte Glettler in seiner Predigt.

 

Im Mittelpunkt des Gedenkgottesdienstes standen die vor 80 Jahren hingerichteten Carl Lampert, Sr. Angela Autsch, Br. Gereon Außerlechner und vier weitere ins Visier der Nazis geratene Gläubige. Ihrer dankbar zu gedenken, nehme angesichts problematischer Entwicklungen in der Gegenwart "in die Pflicht", betonte Bischof Glettler: "Ich erwähne beispielhaft nur die beschämende Eskalation der antisemitischen Gewalt in Amsterdam anlässlich eines internationalen Fußballspiels und die Brutalisierung der Sprache mit allen Facetten von Enthemmung, wie wir sie im US-Wahlkampf miterleben mussten." 

 

Es wäre gefährlich, sich vor diesem Hintergrund "teilweise frustriert, etwas fatalistisch oder gleichgültig in eine Zuseher-Position zurückzuziehen", warnte der Bischof. Heute gerate man schnell "in eine Dynamik von Wut und Hass, die alle Beteiligten letztlich schädigt, das Zusammenleben belastet und uns als Menschen entfremdet". Jedes Gedenken an die Gräueltaten und Verbrechen der NS-Zeit fordere heraus, täglich neu den Mut und die Liebe zu wählen. "Diese Wahl ist entscheidend", betonte Glettler. Die Lebenszeugnisse der katholischen Widerständler mögen "aufwecken zu einem geistvollen, mutigen Glauben!". 

Bilder aller Märtyrer:innen der NS-Zeit aus Tirol wurden im Kirchenraum gezeigt. Diese stammen aus der Broschüre "gedenken.versöhnen.ermutigen - Zeugnisse des NS-Widerstands in Tirol", das vor einigen Jahren von der Diözese Innsbruck aufgelegt wurde und in Restbeständen im Bischofsbüro erhältlich ist.

 

Auch in unheilvoller Zeit war Heil möglich
Der Innsbrucker Bischof nannte als Beispiel für "Glaubens- und Lebenszeugnisse, die uns vermitteln, dass in unheilvoller Zeit Heil möglich ist" und dass auch in einem inhumanen System nicht alles Menschliche verschwindet, Sr. Angela Autsch, bekannt als "Engel von Ausschwitz". Als aufopfernd tätige Krankenpflegerin habe die Trinitarier-Schwester aus dem Kloster in Mötz keine Gelegenheit ausgelassen, um den geschundenen Frauen im KZ trotz strengster Verbote Gutes zu tun. 

 

Prämonstratenser-Laienbruder Gereon Außerlechner musste nach der Aufhebung des Stiftes Wilten im Jahr 1939 in sein Osttiroler Heimatdorf Kartitsch zurückkehren, wo er wegen seiner Kriegsdienst-verweigerung als "arbeitsscheuer Betbruder" verspottet wurde. 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet, 1944 starb er im KZ Dachau an den Folgen schwerer Misshandlungen.

 

Als dritte und bekannteste "Lichtfigur" in dunkler Zeit nannte Glettler den seliggesprochenen Carl Lampert, den für die Nazis "gefährlichsten Mann des Klerus". Der als "Sau-Pfaffe" verspottete Provikar habe bedrängte Ordensleute und Priester verteidigt und wurde deswegen gefoltert und am 13. November 1944 in Halle an der Saale enthauptet. "Sein Mut stellt uns vor die Frage, ob unser Glaube mehr ist als ein Dekor für ein bürgerliches Leben", so der Bischof. Lampert sei Ansporn, mutig Partei zu ergreifen, wenn Menschen in ihrer Würde verletzt werden.

 

Gedenk-Konzert mit Lesungen im Dom zu St. Jakob
Die Diözese Innsbruck lud zu weiteren Gedenkveranstaltungen in Dom und Katholisch-Theologischer Fakultät: In einem Gedenk-Konzert der Dommusik am Sonntag um 17 Uhr sollte laut Ankündigung das Requiem op. 9 von Maurice Duruflé zu hören sein, weiters Lesungen aus dem Historischen Bericht der Landespolizeidirektion Tirol über die "Einschränkung der katholischen Religionsausübung im Gau Tirol", aus dem Drehbuch "Carl Lampert - Das letzte Gebet" sowie aus Briefen und Texten von und über Sr. Angela Autsch. 

 

Unter dem Titel "Widerstand und Verfolgung im katholischen Milieu in der NS-Zeit" findet am Montag, 11. November, um 19 Uhr eine Podiumsdiskussion an der Theologischen Fakultät der Uni Innsbruck statt. Ihr Kommen zugesagt haben der Publizist Martin Kolozs, Rudolf Leo vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands und Verena Lorber von der Katholischen Privat-Universität Linz. Grußworte spricht Bischof Hermann Glettler.

Gedenken an NS-Opfer nimmt heute in die Pflicht
Fotos: Sigl/dibk.at
Innsbruck bekommt "Dr.-Carl-Lampert-Platz"

Innsbruck bekommt einen "Dr.-Carl-Lampert-Platz". Es ist der Platz vor der Pfarre Mariahilf, die mit der bis 29. November laufenden Ausstellung "Carl Lampert - Leben und Zeugnis" einen eigenen Akzent im Gedenken an den Provikar und damit ranghöchsten katholischen Geistlichen in Österreich setzt, der von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Am Mittwoch, 13. November, spricht die Historikerin Gisela Hormayr in der Pfarre um 19.30 Uhr über "Die Verfolgung der Katholischen Kirche Tirols in der NS-Zeit". Am Sonntag, 17. November, leitet um 10.30 Uhr Michael Max, Rektor der Anima in Rom, den Carl-Lampert-Gedenkgottesdienst, bevor im Anschluss daran der Platz vor der Landschaftlichen Pfarrkirche Mariahilf offiziell seinen neuen Namen bekommt.

 

Vor seiner Bestellung zum Provikar des Tiroler Anteils der Apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch lebte und wirkte Lampert einige Jahre im Benefiziatenhaus der Pfarre Mariahilf. Deshalb feiert diese seit 2013 auf Anregung des damaligen Bischofs Manfred Scheuer jedes Jahr im November einen Gottesdienst zur Erinnerung an den Märtyrer.

 

Gedenkveranstaltungen gibt es bis zum 1. Februar 2025 im Rahmen der "Carl Lampert Wochen" auch in dessen Heimat Vorarlberg. Höhepunkt ist die Segnung der neu gestalteten Gedenkstätte in der Pfarrkirche Göfis. Sie erfolgt am 80. Todestag, 13. November, im Anschluss an eine vom Feldkircher Bischof Benno Elbs geleitete Gedenkmesse.

 

Eine Meldung von www.kathpress.at 

Innsbruck bekommt "Dr.-Carl-Lampert-Platz"

Innsbruck bekommt "Dr.-Carl-Lampert-Platz"

Liebe inmitten abgründiger Bosheit

Predigt von Bischof Hermann Glettler beim Gedenkgottesdienst anlässlich des 80. Todestages von Carl Lampert und anderer Personen, die im Jahr 1944 hingerichtet wurden. Innsbruck, 10. Nov. 2024.

Einleitung: Heute gedenken wir einiger herausragender Personen, die aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung und ihres regimekritischen Auftretens im Jahr 1944, also vor 80 Jahren, dem Vernichtungswahn der Nazidiktatur zum Opfer fielen. Sie waren Teil des katholischen Widerstands in Tirol. Inmitten einer erschütternd großen Menge von Mitläufern und Mittätern war ihr Widerstand von größter Bedeutung – bis heute! Ihrer dankbar zu gedenken, nimmt uns jedoch in die Pflicht. Es wäre gefährlich, wenn wir uns teilweise frustriert, etwas fatalistisch oder gleichgültig in eine Zuseher-Position zurückziehen würden – weil scheinbar ja ohnehin alles läuft, wie es eben läuft. Der Prophet Elija hat die Witwe von Sarepta mit einer überfordernden Bitte zu einer neuen Lebenskraft „aufgeweckt“. Die Lebenszeugnisse, von denen ich stellvertretend nur drei vorstellen kann, sind nicht weniger provokant. Lassen wir uns von ihnen aufwecken zu einem geistvollen, mutigen Glauben!

 

1. In unheilvoller Zeit ist Heil möglich 

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Diese bekannte Aussage von Theodor W. Adorno ist ernüchternd klar. In einem System der Lüge wird alles falsch. Korruption korrumpiert. In einem inhumanen System verschwindet alles Menschliche. Oder doch nicht? Kann es trotz allem lichtvolle Momente geben, in denen Richtiges im Falschen aufleuchtet? Heiles im Unheilen? Vor allem durch Menschen, die „anders“ gelebt haben – unerwartet anders in einer Zeit größter Bedrängnisse? Dankbar gedenken wir dieser Lichtgestalten, die der ideologischen Verdunkelung trotzten und sich auch nicht durch Verleumdung und Folter einschüchtern ließen. Wir sind dankbar für die Vielfalt dieser Glaubens- und Lebenszeugnisse, die uns vermitteln, dass in unheilvoller Zeit Heil möglich ist.

 

Als erstes Beispiel nenne ich Sr. Angela Autsch, die Trinitarier-Schwester aus dem Kloster in Mötz, die viereinhalb Jahre im KZ verbrachte, zuerst in Ravensbrück, dann in Ausschwitz, wo sie am 23. Dez. 1944 durch einen Herzinfarkt ums Leben kam. In der Hölle der beiden Vernichtungsanstalten war sie ein Lichtblick für unzählige Mitgefangene. Nicht umsonst wurde sie als „Engel von Ausschwitz“ bezeichnet. Als aufopfernd tätige Krankenpflegerin ließ sie keine Gelegenheit aus, um den geschundenen Frauen liebevoll Gutes zu tun – vieles davon war strengstens verboten. Vor allem aber war sie ganz nahe bei den Leidenden eine Seelsorgerin von Herz zu Herz. Sie hat inmitten der verordneten Rohheit Trost vermittelt. Inmitten der Perversion sich ein mitfühlendes Herz bewahrt.

 

2. Großes geschieht im Verborgenen 

Das Evangelium des heutigen Sonntags spricht von einer verborgenen Heiligkeit. Auch wenn es nur zwei kleine Münzen waren, die die arme Witwe in den Opferkasten warf, hat sie damit doch ihren letzten Lebensunterhalt Gott anvertraut – und schlichtweg ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt. Welch ein Kontrast zu den Reichen, die aus ihrem Überfluss heraus gaben. Man könnte sagen: Die in prekären Verhältnissen lebende Witwe hat sich selbst in die Waagschale geworfen. Und wer hat das Opfer der Witwe gesehen? Niemand außer Jesus. „Er sah zu“, wie die Leute ihre Gaben entrichteten. Auch unser Leben steht unter seinem Blick, der nicht an der geschönten Oberfläche hängen bleibt. Jesus sieht die Taten, aber ebenso die tatsächlichen Beweggründe des Herzens. Jesus sieht das Verborgene.

 

Als ein Beispiel, wie Menschen die unzähligen Nächte der Verzweiflung durchstehen konnten, nenne ich Br. Gereon Außerlechner OPraem. Der Laienbruder musste nach der Aufhebung des Stiftes Wilten im Jahr 1939 in sein Osttiroler Heimatdorf Kartitsch zurückkehren, wo er wegen seiner Kriegsdienst-verweigerung als „arbeitsscheuer Betbruder“ verspottet wurde. Einige Jahre bei Verwandten versteckt, wurde er dennoch 1943 von der Gestapo verhaftet und ins KZ Dachau überführt. Dort ver-starb er am 13. Juni 1944 an den Folgen schwerer Misshandlungen. Von Br. Gereon sind keine großen Reden überliefert – wohl aber das stille Zeugnis eines betenden Menschen. „Mit einfacher Seele“ hielt er sich an Gott fest und konnte dadurch gestärkt seiner pazifistischen Überzeugung treu bleiben.

 

3. Täglich neu den Mut und die Liebe wählen 

Wir leben in einer Zeit, wo man den Eindruck hat, dass die Dynamiken negativer Entwicklungen enorm zunehmen. Ich erwähne beispielhaft nur die beschämende Eskalation der antisemitischen Gewalt in Amsterdam anlässlich eines internationalen Fußballspiels und die Brutalisierung der Sprache mit allen Facetten von Enthemmung, wie wir dies im US-Wahlkampf miterleben mussten. Und wir? Schnell gerät man in eine Dynamik von Wut und Hass, die letztlich allen Beteiligten Schaden zufügt, das Zusammenleben belastet und Menschen entfremdet. Wir können nicht gedenken ohne die Bereitschaft, selbst umzukehren. Jedes Gedenken an die Gräueltaten der NS-Zeit fordert uns heraus, täglich neu den Mut, die Wahrheit und die Liebe zu wählen. Diese Wahl ist entscheidend!

 

Als dritte Lichtfigur nenne ich Carl Lampert, der 1939 von Bischof Paulus Rusch als Provikar eingesetzt wurde. Er war für die Nazis der „gefährlichste Mann des Klerus“ und damit das prominenteste katholische Angriffsziel von Gauleiter Hofer. Was Carl Lampert, der vielfach gefoltert und am 13. Nov. 1944 in Halle an der Saale enthauptet wurde, auszeichnet, ist sein wachsender Mut. Immer entschlossener verteidigte der als „Sau-Pfaffe“ verspottete Provikar die bedrängten Ordensleute und Priester. In diese seine schwere Berufung ist er hineingewachsen. Sein Mut stellt uns vor die Frage, ob unser Glaube mehr ist als ein Dekor für ein bürgerliches Leben. Der 2011 seliggesprochene Carl Lampert ist uns Ansporn, Mutig Partei zu ergreifen, wenn Menschen in ihrer Würde verletzt werden.

 

 

Abschluss: Die zeitlich knappen Schilderungen der drei Lebenszeugnisse sind nicht mehr als ein Anteasern des Interesses für die Fülle der Zeugen, die uns umgibt. Es sind vollkommen unterschiedliche Charaktere und Persönlichkeiten. Was sie jedoch vereint, war ihre Liebe zu Christus und zur Kirche. Die Botschaft der Seligpreisungen Jesu und seine Anwesenheit in den Gedemütigten aller Zeiten haben sie inspiriert, getröstet und immer wieder aufgerichtet. Dankbar begehen wir die Gedenktage ihrer Hinrichtung, die sich heuer zum 80. Mal jähren. Ihre Aufrichtigkeit und Liebe inmitten größter Bosheit sind uns Orientierung und Halt – denn heute steht die Praxis unseres Glaubens am Prüfstand. Ganz bestimmt können wir mit ihrer himmlische Fürbitte rechnen.

Liebe inmitten abgründiger Bosheit

Liebe inmitten abgründiger Bosheit