Von den tiefen Wurzeln der Freude

Generalvikar Jakob Bürgler bringt seine Weihnachtsgedanken in der Östereichischen Bauernzeitung.

Generalvikar Jakob Bürgler schreibt seine Gedanken über das Weihnachtsfest in der Österreichischen Bauernzeitung nieder. dibk.at bringt den gesamten Kommentar. 

Die Engel haben sich beim neugeborenen Christuskind eingefunden. Sie tragen ein Schriftband, auf dem zu lesen ist: „Ehre sei Gott in der Höhe!" Ihre Augen sind auf das Kind gerichtet. Ihre Gesichter strahlen vor Freude. So bitter die Not der drei einfachen Menschen im „Stall" von Bethlehem auch ist: Über dem Geschehen liegt ein Hauch von Freude und Leichtigkeit. Die Engel verleihen der Krippe einen hellen Glanz.

Krippen haben in unserem Land eine besondere Bedeutung. Aus vielen Stuben und Häusern sind sie nicht wegzudenken. Und das ist gut so. Denn sie erinnern uns daran, dass an der Wurzel des Weihnachtsfestes ein Geschehen liegt, das mit dem Geheimnis der Freude zu tun hat. Krippen bringen einen leisen Glanz und einen Hauch von Freude in unser Leben.

Es ist ja wie verhext: Gerade zu Weihnachten brechen besonders viele Konflikte und Spannungen auf. Streit und Aggression belasten die familiären Beziehungen. Viele Menschen sind einsam, fühlen sich verlassen oder schwermütig. So viele wie sonst nie. Im Herzen der Menschen aber bleibt die unerschütterliche Hoffnung auf ein kleines Stück Freude. Gerade zu Weihnachten.

Und weil die Sehnsucht nach Freude in den Tagen des Advent und an Weihnachten so intensiv ist, gibt es unzählige Versuche, diese Freude „herzustellen": Am Christkindlmarkt und bei Weihnachtsfeiern, durch Krampustreiben und am Glühweinstand. Zahllose Menschen machen sich auf die Suche nach einem Stück Freude. Und was bleibt? Eine fröhliche Erinnerung? Ein kleiner Schub Erleichterung? Eine Heiterkeit, die keine Wurzeln hat? Wirkliche Freude hat tiefe Wurzeln. Ohne nach diesen Wurzeln zu graben, ist echte Freude nicht zu bekommen.

Vor kurzem hat mir ein Bürgermeister gesagt: Was das Leben in unseren Gemeinden heute schwierig macht, ist die Veränderung in der Grundhaltung zum Leben. Alte Menschen leben noch aus einer Haltung der Dankbarkeit. Bei vielen Jüngeren wird alles zum Anspruch und zum Recht. „Alles steht mir zu. Auf die Leistungen der anderen habe ich einen Rechtsanspruch. Ich zahle ja dafür!"

Sicher: Leistungen von Seiten der Öffentlichkeit sind nicht einfach nur Gnadenerweise oder Geschenke, für die ich demütig und ergeben dankbar sein muss. Aber: Wenn alles zum Rechtsanspruch wird, den ich einklagen kann, dann verhärtet sich das Leben. Dann zählen eben nur mehr Einfordern und Einklagen, Rechthaben und das, was mir zusteht. Und die Dankbarkeit ist weg. Wer nicht mehr dankbar sein kann, der verliert mit der Zeit auch die Freude. Freude lebt von der Erfahrung, für etwas dankbar sein zu können.

Und mit den Ansprüchen wächst auch die Gier. Von allen Seiten, nicht zuletzt durch die Werbung, wird uns unaufhörlich eingetrichtert, was alles wir zum Leben brauchen, damit wir glücklich werden können. Das, was früher unter die negativen Lebenseinstellungen eingereiht wurde, wird heute als „geil" beworben.

Mir fällt immer wieder die Geschichte von der Maus im Laden ein: „Eine Maus verirrt sich eines Nachts in einem Geschäft. Und sie riecht all die guten Sachen. Butter und Speck und Wurst und Käse und Brot und Kuchen und Schokolade und Äpfel und Nüsse und frische Karotten. Immer wenn die Maus beginnen will, an einer Köstlichkeit zu knabbern, fühlt sie sich zu einer anderen hingezogen. Sie weiß einfach nicht, was sie zuerst fressen soll. Auf einmal wird es Tag und die Maus wird nach draußen gejagt. Und sie sagt zu den anderen Mäusen: Nie mehr will ich in diesen Laden! Wenn man gerade anfangen will zu fressen, wird man weggejagt!" Die Freude liegt nicht in der Gier. Sie liegt in der Zufriedenheit. Je unzufriedener der Mensch wird, umso freudloser und leerer und depressiver wird er.

Und noch etwas fällt mir auf: Wie banal unser Leben auf weite Strecken geworden ist. Den ganzen Tag werden wir „angefüllt" mit Worten, Nachrichten, Reizen, Skandalgeschichten. Worte über Worte, die uns nicht mehr berühren, uns nicht mehr im Innersten betreffen. Sie gehen beim einen Ohr hinein und beim anderen hinaus. So vieles ist oberflächlich und flach geworden. Die Welt, in der wir leben, gleicht einer Lärmquelle, die eher bedroht als erfüllt. Ein banales Leben wird leer. Und wirkliche und tiefe Freude gibt es in einem banalen Leben nicht.

Andreas Knapp hat ein Gedicht mit dem Titel „krippe" geschrieben: „im gedroschenen stroh / des leeren geredes / kein körnchen wahrheit mehr / täglich wächst der hunger / dass ein wort geboren werde / nahrhaft wie ein weizenkorn".

Es sind die Engel, die mit ihren strahlenden Gesichtern daran erinnern, dass im Geschehen der Weihnacht das Geheimnis der Freude sichtbar wird. Wirkliche Freude hat tiefe Wurzeln. Ohne nach diesen Wurzeln zu graben, ist echte Freude nicht zu bekommen. Was aber kann ich tun, um zu einer tieferen Freude zu finden, um der Sehnsucht in meinem Herzen gerecht zu werden? Freude wächst mit einem dankbaren Herzen. Freude verträgt sich nicht mit der Gier, sie liegt in der Zufriedenheit. Freude sehnt sich nach einem Wort, das nicht nur Geschwätz ist. Und dieses Wort ist Mensch geworden. Im Kind von Bethlehem.

Generalvikar Jakob Bürgler 

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Von den tiefen Wurzeln der Freude