Stachel im Fleisch der Macht

Als "Stachel im Fleisch von Macht- und Überlegenheitsanmaßungen" bezeichnet die Theologin Johanna Rahner das "gefährliche Wissen" der Kirche in einem Interview in der aktuellen Ausgabe des Tiroler Sonntag.

Als "Stachel im Fleisch von Macht- und Überlegenheitsanmaßungen" bezeichnet die Theologin Johanna Rahner das "gefährliche Wissen" der Kirche. Ein solches beziehe sich immer gleichermaßen auf Kirche und Welt, wirke auf beide "selbstkritisch und selbstreinigend" und erinnere stetig aufs Neue daran, "dass wir als Kirche vor allem eine Weggemeinschaft sind und keine Besitzgemeinschaft oder dass unsere Gottesbilder nur eine sehr vorläufige Rede begrenzter Menschen darstellen", so die Fundamentaltheologin und Ökumenikerin, die ab Herbst den ehemaligen Lehrstuhl von Hans Küng an der Universität Tübingen übernehmen wird, in der aktuellen Ausgabe der diöezesanen Wochenzeitung Tiroler Sonntag.
Das "gefährliche Wissen" der Kirche, das etwa Personen wie Franz von Assisi oder Dietrich Bonhoeffer, aber auch Ereignisse wie das Zweite Vatikanische Konzil vermittelt hätten, zeige sich vor allem im Aufruf, Verabsolutierungen eigener Geltungsansprüche eine Absage zu erteilen. Es sei eine "stets kritische Anfrage, ob und wieweit wir und Gott 'greifen', uns seiner bemächtigen oder ihn gar instrumentalisieren". Dieses "gefährliche Wissen" sei somit ein Korrektiv gegen jene, "die ihre Macht auf den 'Besitz von absoluter Wahrheit', auf den 'Besitz von Gott' gründen", so die Theologin.
Fundamentalistische Tendenzen seien dadurch gekennzeichnet, nur eine hermetische und selbst gezogene Trennung zwischen "Gut und Böse" zu kennen, "die auserwählte Herde und die große Zahl der Gottlosen". Gemäß solcher Weltanschauungen gebe es "keine Zeit der Entwicklung mehr, keine Zeit der Veränderung, sondern nur noch die Zeit der Entscheidung", sagte Rahner. Die Instrumentalisierung apokalyptischer Bilder für den von George W. Bush ausgerufenen Kampf gegen die "Achse des Bösen" nach dem 11. September 2001 sei ein Beispiel für diese Denkart, die sich auch in bestimmten christlich-evangelikalen Kreisen, ultraorthodoxen Juden oder radikalen Islamisten finden würde.
Option für die Opfer
Gegen einen solchen Fundamentalismus trete das "gefährliche Wissen" der Kirchen als Korrektiv auf. Denn es setze gerade auf die Wandlungs- und Entwicklungs-, die Versöhnungs- und Läuterungsfähigkeit des Menschen, auf seine Güte, Empathie- und Liebesfähigkeit. Eine solche Theologie werden allen Scharfmachern "gefährlich" und stelle "unser menschliches Maß (für Recht) in Frage", sagte Rahner. Sie müsse vor allem die "Option für die Opfer" ernst nehmen und damit die "Macher" in Kirche und Welt sowie ihre "Siegergeschichte" kritisch in Frage und die "Täter" in ihre Verantwortung stellen, so die Theologin.
Unter dem Titel "Gefährliches Wissen" wurden auch die diesjährigen Salzburger Hochschulwochen zwischen 29. Juli und 4. August abgehalten, an denen Prof. Johanna Rahner als Referentin ebenso teilnahm wie u.a. der Philosoph Otfried Höffe oder die Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth. 

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