Scheuer: "Mayr-Nusser hat Wahrheit gelebt in Welt der Lüge"
Josef Mayr-Nusser hat den SS-Eid aus religiösen Gründen verweigert und hat damit nicht zu groß von der Macht der Nazis gedacht und nicht zu klein von den Möglichkeiten Gottes mit ihm." Mit diesen Worten hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer jenen Südtiroler Familienvater gewürdigt, der als Märtyrer der NS-Zeit am 18. März in Bozen seliggesprochen wird. Mayr-Nusser (1910-1945) habe "die Wahrheit gelebt in einer Welt der Lüge, die Liebe in einer Welt der Verachtung, er hat das Leben geliebt in einer Welt des SS-Totenkopfes. Und er hat geglaubt in einer Welt der Blindheit und der Verblendung", sagte Scheuer im Interview in der aktuellen Ausgabe des "Tiroler Sonntag".
Gegenüber der Haltung, dunkle Kapitel der Geschichte "nicht immer wieder neu aufzukochen", hielt der im Seligsprechungsverfahren für Franz Jägerstätter als Postulator tätige Bischof Scheuer fest: "Das Gedächtnis an Josef Mayr-Nusser ist eine heilsame und ein gefährliche Erinnerung für unsere Zeit, für unseren Glauben, für unser soziales Zusammenleben, für die Bildung unseres Gewissens." Auch heute seien Christen als "Anwälte des Lebens" überall dort gefragt, "wo eine Diktatur des Todes dominiert und Leben, geborenes und ungeborenes, behindertes und entfaltetes, irdisches und ewiges Leben verachtet und ausgegrenzt oder als minderwertig betrachtet wird".
Scheuers Überzeugung: Ohne "Heilung des Gedächtnisses" durch das ehrende Gedenken an Glaubensvorbilder in düsteren Zeiten "gibt es keine Zukunft. Sonst holen uns die Gegensätze, der Hass, die Verachtung der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts wieder ein."
Im "Tiroler Sonntag"-Interview wurde Scheuer angesprochen auf den hohen Preis, den Josef Mayr-Nusser für seine Gewissensentscheidung zahlte - seine Frau wurde zur Witwe, sein junger Sohn Halbwaise. Auf die Frage, wie sich so eine Entscheidung rechtfertigen lasse, antwortete der Bischof: "Rechtfertigen vor wem? Entscheidend ist es, dass Mayr-Nusser oder Jägerstätter selbst mit ihrer Grundhaltung ihren Frauen und Kindern in die Augen schauen konnten." Mayr-Nusser habe mit seiner Verweigerung des SS-Eides vor Gott standhalten wollen. Die letzte Rechtfertigung beim Jüngsten Gericht geschehe im Angesicht Gottes.
Das Gewissen war für den Südtiroler Märtyrer kein "Handlanger der Eigeninteressen", betonte Scheuer. Es sei auch keine "Instanz der Beliebigkeit oder der Auflösung der Normen", sondern "Ort der Erfahrung Gottes, der uns in Anspruch nimmt und von uns Gehorsam einfordert". Freilich sei das Gewissen "keine statische Apparatur, es ist nicht unfehlbar und es kann auch irren", räumte Scheuer ein. Wichtig für die Kirche sei es, die Gewissen zu bilden, "nicht aber, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen", verwies der Bischof auf das Lehrschreiben "Amoris laetitia" von Papst Franziskus.
Bischof Muser: Denkanstöße auch für heute
Der Bozener Bischof Ivo Muser wandte sich anlässlich der Seligsprechung von Josef Mayr-Nusser mit einem Hirtenbrief an die Katholiken seiner - und Musers - Diözese, die am 1. und 2. Fastensonntag (5. und 12. März) in den Gottesdiensten verlesen wird. Wie es während des Nationalsozialismus an Menschen wie Mayr-Nusser gelegen sei, sich gegen das damalige Unrechtsregime zur Wehr zu setzen, "so liegt es heute an uns, nicht zuzulassen, dass Menschen Unrecht geschieht und sie in ihrer Würde verletzt werden", appellierte Muser darin. Von dem bald Seligen könne gelernt werden, was Gewissensfreiheit bedeutet: "Dass wir dem recht gebildeten Gewissen nicht nur folgen dürfen, sondern dass wir ihm folgen müssen!" Nur so werde Gott jener Platz im Leben eingeräumt, "der nur ihm zusteht", hielt der Bozener Bischof fest.
Nach dem Vorbild Mayr-Nussers sollten Christinnen und Christen auch jetzt ihr Gewissen so bilden, dass sie in den heutigen Herausforderungen "Antworten finden, die dem Evangelium und den in die menschliche Natur eingeschriebenen Werten entsprechen". Muser nannte hier "die vielen Fragen rund um den Schutz des Lebens: Unsere christliche Verantwortung für den Lebensanfang, für das Lebensende, für die Bewahrung unseres Lebensraumes, für den Umgang mit behinderten, schwachen, kranken, gefährdeten und ausgegrenzten Menschen, für die Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Lebens in all seinen Formen und vor der Schöpfung".
Der Bischof erwähnte auch die Flüchtlingskrise als derzeit besonders bedrängende und vielen Menschen Angst machende Herausforderung: "Wir dürfen diese Problematik nicht verdrängen und nicht wegschauen. Es geht um den Schutz der Würde eines jeden Menschen, aber auch um die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen."
1944 der Waffen-SS zugeteilt
Josef Mayr-Nusser wurde 1910 in Bozen geboren. In einem religiösen Umfeld aufgewachsen, schloss er sich der Katholischen Jugend der Diözese Trient an. Er wurde Vorsitzender der Jugendorganisation für die Diözese Trient, zu der das Dekanat Bozen damals gehörte. Nach dem Optionsabkommen zwischen Hitler und Mussolini war Mayr-Nusser trotz des massiven Drucks der aus Deutschland ferngesteuerten örtlichen Nationalsozialisten ein "Dableiber" - wie übrigens auch 90 Prozent der Südtiroler deutschsprachigen Priester.
Nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten am 8. September 1943 und dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht wurde Mayr-Nusser 1944 mit vielen anderen "Dableibern" zum deutschen Militär eingezogen. Er wurde dabei der Waffen-SS zugeteilt. Nachdem er am 4. Oktober 1944 den SS-Eid verweigert hatte, wurde er zum Tode verurteilt.
Auf dem Weg ins Konzentrationslager Dachau starb Mayr-Nusser am 24. Februar 1945 in einem Viehwaggon bei Erlangen an den Folgen der Haft. Er hinterließ eine Frau und einen Sohn. 2005 wurde das Seligsprechungsverfahren für den Märtyrer eingeleitet, Papst Franziskus bestätigte das Martyrium von Josef Mayr-Nusser am 8. Juli 2016.Eine Meldung von www.kathpress.at