Scheuer: Dem Skandal von Ungleichheit und Ungerechtigkeit trotzen
(KAP) Ist der Drang nach Gleichheit - sei es politisch, gesellschaftlich oder auch im Religiösen - ein Segen oder doch eher ein Fluch? Dieser Frage ging der Innsbrucker Diözesanbischof Manfred Scheuer im Rahmen zweier "interreligiöser Meditationen" beim "Forum Alpbach" am Freitag und Samstag nach. Letztlich weise der Begriff der Gleichheit ein "Janusgesicht" auf, so Scheuer; es sei also letztlich beides, insofern Gleichheit emphatisches Ziel etwa im Blick auf die allen Menschen zukommende Würde darstelle, wie auch fatale Verkehrung der Wirklichkeit, die von Ungleichheit bestimmt werde.
Für den Glauben seien die Folgen indes eindeutig: Er müsse sich auf die Seite der Opfer dieser Ungleichheit schlagen und mehr noch in ihnen die eigentliche verbindliche Autorität erkennen: "Weil unsere Welt durch den Skandal der Ungleichheit und der Ungerechtigkeit gezeichnet ist, braucht die Parteilichkeit Gottes zugunsten der Opfer eine Repräsentation in der konkreten Geschichte. Die, die an Hunger oder durch die Gewalt als Folge einer skandalösen Ungleichheit sterben; die Migranten, von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten an ihren Südgrenzen zurückgeschlagen; die politischen Gefangenen; letztlich alle Opfer - sie alle repräsentieren die Autorität." Das entscheidende sei daher, "der Versuchung zu widerstehen, wegzuschauen und sich in die Gleichgültigkeit zu flüchten".
Ihren Ausgang nahm die Meditation Scheuers bei Überlegungen zur Frage totaler Macht und Gewalt: Diese gehe mit einer "Verachtung des Menschen" einher, deren grundlegende Geisteshaltung jene des dauernden Vergleichens und damit der Herstellung von Ungleichheit etwa in Form der Unterscheidung von Freund und Feind sei. Nicht umsonst habe schon das frühchristliche Mönchtum geraten: "Schweige und miss dich nicht!", so Scheuer.
Christlich sei hingegen eine Haltung der Wertschätzung gegenüber der Vielfalt an "Berufungen und Charismen". Dabei gelte es jedoch zu beachten, dass Ungleichheiten "nicht zum Vorteil der Starken ausschlagen, sondern den Schwachen und dem Aufbau des Reiches Gottes dienen", mahnte
der Innsbrucker Bischof. Die Wertschätzung der Verschiedenheit müsse auch innerkirchlich neu geübt werden, schließlich stelle Verschiedenheit "keinen defizienten Seinsmodus, kein Herrschaftsgefälle, nicht Abfall oder Zerfall" dar, sondern "Reichtum, Gleichnis und Kundgabe der Lebensdynamik Gottes". Dem entspreche auch die Tatsache, dass der Glaube nicht nach Uniformität strebe, sondern sich "immer konkret, individuell und politisch" ausdrücke.
Zu widerstehen gelte es laut Scheuer einer "Ideologie der Gleichheit" bzw. einer "schlechten Gleichheit", die an der Fiktion einer Gleichheit und damit einer Vergleichbarkeit etwa von historischen Ereignissen aber auch von Menschen an sich festhalte. Der vergleichende Blick klammere den konkreten anderen aus bzw. reduziere ihn. "Das Diktat der Gleichheit hebt somit Begegnung, Freiheit und Geschichte auf." Dieses "Diktat der Gleichheit" habe auch auf die Religionen in ihrer Vielfalt fatale
Wirkungen: "In einer fiktiven Gleichsetzung aller bestimmten Religionen wurde alles Konkrete und Besondere abgehobelt und Religion auf Ethik reduziert", so Scheuer.
