Psychiater Haller: Kränkung und Wertschätzung oft unterschätzt
"Kränkungen sind keine Kleinigkeit", sagte der Psychiater und Psychotherapeut, den die Österreichischen Bischofskonferenz für einen mit unabhängigen Experten zusammengesetzten Beirat zum Thema Missbrauchsprävention und Opferschutz gewonnen hat vor Erzbischof Franz Lackner und rund 150 Priestern und Diakonen. Auch objektiv als vernachlässigbar einzustufende Kränkungen könnten subjektiv eine "enorme Wucht" gewinnen und sogar zum Auslöser von Krieg oder Terror werden.
Kränkung sei keine Diagnose, es gebe keine befriedigende wissenschaftliche Definition, betonte Haller. Er betrachtet sie als "anhaltende Erschütterung des Selbst und seiner Werte". Auch wenn man Kränkungen oft nicht ernst nimmt bzw. als Kleinigkeiten abtut, seien sie "in Wirklichkeit eine psychologische Großmacht". Kränkungen oder organisiertes Kränken wie Mobbing stünden häufig hinter psychischen Problemen wie Süchten, Burnout oder posttraumatischen Störungen. Heutige Terroristen agierten nicht mehr ideologisch motiviert wie früher, als man Bankdirektoren treffen wollte. "Die Attentäter haben das Gefühl: ich bin ausgeschlossen, man mag mich nicht. Psychodynamisch handelt es sich bei Kränkungen immer um Liebesentzug und fehlende Positivresonanz", so der früher mit Fällen wie dem Frauenmörder Jack Unterweger, mit "Bombenhirn" Franz Fuchs und Inzesttäter Josef Fritzl befasste Experte.
Kränkung könne man aber auch als Chance sehen, betonte Haller - dann nämlich, wenn man deeskaliert, die Kränkungsbotschaften analysiert und in die Schuhe des Kränkers schlüpft. Dann könne man eigene Schwachstellen erkennen, die Empathie fördern und die Menschenkenntnis schulen.
Ähnlich wie bei der Kränkung geht man laut Haller mit ihrem Gegenstück, der Wertschätzung um: Sie werde maßlos unterschätzt, es gebe keine Definition und: "Jeder Mensch will wertgeschätzt werden." Gleichzeitig ortet Haller eine "Wertschätzungskrise", in Zuge derer es heutigen Zeitgenossen immer schwerer fällt, andere wertzuschätzen, bedingt durch den zunehmenden gesellschaftlicher Narzissmus, die Digitalisierung der Emotionalität, die Radikalisierung der Sprache, die Entmenschlichung Arbeitender oder den Umgang mit den Alten.
Haller nannte folgende Grundregeln für Wertschätzung: aufmerksam sein, die Meinung der anderen achten, ehrlich kommunizieren, verlässlich sein und zu seinem Wort stehen, Dankbarkeit zeigen, richtig loben, Autonomie zulassen und fördern sowie authentisch sein. Wichtig sei eine daran ausgerichtete Wertschätzung auch in der Seelsorge, besonders wenn es um den Einsatz der zahlreichen Ehrenamtlichen in den Pfarren geht, schrieb Haller den anwesenden Klerikern ins Stammbuch.
Eine Meldung von www.kathpress.at