Palaver und Niewiadomski zu Brexit

Zwei Innsbrucker Theologen äußerten sich in den vergangenen Tagen zum Austritt Großbritanniens in der EU: Auch die Kirche sei gefordert und es brauche eine von unten getragene solidarische Kultur in Europa.

Niewiadomski: "Brexit" auch Folge von "zahnlosen Identitäts-Debatten" 

Das Ergebnis des EU-Referendums in Großbritannien ist nicht zuletzt auch eine Folge von weitgehend "zahnlosen Identitäts-Debatten" über die "Seele Europas" in den vergangenen Jahren. Das hat der Innsbrucker Theologe Jozef Niewiadomski im "Kathpress"-Interview unterstrichen. Gewiss sei die Frage der wirtschaftlichen Situation das Hauptargument im Wahlkampf der vergangenen Wochen gewesen; es sei jedoch bezeichnend, dass die Frage der europäischen Solidarunion, die auf einer gemeinsamen Idee aufbaue, keine Rolle gespielt habe. "Gerade auch die Kirchen, die diese Idee in den letzten Jahren mit dem Begriff der 'Seele Europas' eingemahnt und in die Diskussion gebracht haben, wurden zuletzt immer nur belächelt." Dies räche sich jetzt, zeigte sich der Dogmatiker überzeugt.

 

Stets habe in der Europäischen Union der "Vorrang der wirtschaftlichen Mechanismen" gegolten; man habe sich damit "darüber hinweggeschwindelt, keine inhaltliche Diskussion führen zu wollen", so Niewiadomski. Diese Diskussion müsse jetzt jedoch dringend geführt werden, wobei dies wiederum eine Chance für die Kirchen sei, "ihre Vorstellungen eines gemeinsamen Friedensprojekts auf der Basis des biblischen Monotheismus" einzubringen. Schließlich sei der biblische Monotheismus "durchaus pluralismusfähig", insofern er viele kulturelle Lebensformen unter dem einenden Dach der Idee etwa der Menschenwürde und der Menschenrechte befürwortet. Es sei bedauerlich, sagte Niewiadomski, dass es "weder im Alltagsdiskurs noch auf akademischer Ebene gelungen ist, die Idee einer gemeinsamen europäischen Seele zu vermitteln".

 

Was die wirtschaftliche Debatte angeht, so habe schon die jüngste Parlamentswahl in Polen im vergangenen Oktober, aus der die nationalkonservative PiS-Partei als Sieger hervorging, gezeigt, dass es die nationalistischen, Europa-feindlichen Kräfte deutlich besser verstanden haben, ihre Wähler zu mobilisieren, sagte Niewiadomski. Und auch diese Parallele gebe es zwischen Polen und dem britischen Referendum: beide Wahlen seien durch die Spaltung zwischen den eher urbanen Nutznießern der europäischen Einheit und den "ökonomischen Verlierern" insbesondere in ländlicheren, strukturschwachen Gebieten entschieden worden. "Tatsächlich hat Europa diesen Menschen, die sich als Verlierer betrachten, nie eine Perspektive geboten, auch keine Partizipation." Dieser Frust habe sich nun - einmal mehr - in Richtung Brüssel entladen, so der Theologe.

 

Palaver zu "Brexit": Nationalistische Abschottung keine Lösung 

Nicht durch Abschottung sondern nur durch mehr EU-weite Solidarität sind die aktuellen Herausforderungen der Globalisierung lösbar. Das betonte der Innsbrucker Sozialethiker und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät, Prof. Wolfgang Palaver, im Interview mit der Kooperationsreaktion der heimischen Kirchenzeitungen. Zugleich warnte er aber vor der Vorstellung eines "gleichgeschalteten europäischen Zentralstaats".

 

Die Wirtschaft könne nicht der Kitt im Gefüge der EU sein, bekräftigte der Theologe und hielt dem das Prinzip der Solidarität entgegen. Darauf habe schon Papst Johannes Paul II. oft hingewiesen. "Wir können die Globalisierung nicht rückgängig machen. Aber wir müssen sie zu einer Globalisierung der Solidarität weiterentwickeln." Solidarität sei bisher aber nur in kleinen Räumen in den einzelnen Staaten verwirklicht.

 

Palaver: "Wie schlecht es derzeit in der EU um die Solidarität steht, sehen wir in der Flüchtlingsfrage. Gesetze können Solidarität  nicht erzwingen. Es braucht eine von unten getragene solidarische Kultur. Und jeder Einzelne muss dazu beitragen." Die EU sei ein wichtiges Experiment: "Die Globalisierung der Solidarität bräuchten wir weltweit. Aber wenn es uns in Europa nicht gelingt, wie sollte das weltweit gehen?"

 

Überlegungen über einen EU-Austritt Österreichs erteilte Palaver eine deutliche Absage. "Ich denke, man wird sehr bald sehen, dass die Schwierigkeiten Großbritanniens keine positiven Signale in diese Richtung aussenden. Es ist ein Irrtum zu glauben, mit nationalistischer Abschottung könne man das Problem der Globalisierung lösen."

 

In Großbritannien sei nach der aktuellen Abstimmung nun darauf hingewiesen worden, dass die ältere Generation, die mehrheitlich für den Austritt gestimmt hat, im Wesentlichen keine Generation mit eigener Kriegserfahrung mehr ist und vor allem vom Wachstum der Nachkriegszeit geprägt wurde. Dass vor allem die jungen Menschen für den Verbleib in der EU gestimmt haben, gebe aber Hoffnung: "Es kann besser werden, wenn wir uns bemühen, die tieferen Dimensionen und Motive der Gründungsväter wieder in den Vordergrund zu stellen."

 

Der europäische Einigungsprozess sei eine Reaktion auf die Sackgasse der nationalstaatlichen Spaltung, die Europa im Ersten und Zweiten Weltkrieg an den Rand des Abgrunds geführt hat. Es gehe darum, Einheit in Vielfalt zu gestalten, so Palaver: "Ich bin für mehr gemeinsame Politik. Aber wir müssen lernen, dass das nicht der Weg zu einem gleichgeschalteten europäischen Zentralstaat sein kann." Er sei viel in den USA, so der Theologe, "aber egal, ob ich an der Ostküste oder in Kalifornien bin: Ich bewege mich immer im selben kulturellen Raum. Von Innsbruck aus bin ich dagegen in zwei Stunden in Italien oder in der Schweiz und damit in jeweils einer ganz anderen Kultur." Das sei ein großer Reichtum. "Die Aufgabe der EU ist, die regionalen Unterschiede zu bewahren und doch politisch stärker zusammenzuarbeiten" fordert der Theologe.

Sein Fazit: Die EU könne aus der "Brexit"-Krise gestärkt hervorgehen. "Es ist zwar eine fundamentale Krise, aber in ihr ist die Chance zu einer verbesserten EU zu sehen."

 

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Jozef Niewiadomski