Im Wortlaut: Die Predigt von Bischof Scheuer zum Christtag

Von den vier Schlüsseln des Weihnachtsfestes - Wortlaut der Predigt von Bischof Manfred Scheuer, die er am Christtag, 25. Dezember, im Innsbrucker Dom gehalten hat.

Wintersonnenwende: viele Bräuche, in denen es um den Kampf zwischen der Finsternis und dem Licht geht. Ein Symbol für die Finsternis, die vom Licht besiegt wird, ist der Krampus. In manchen Regionen Tirols ist der Krampus, die Krampusumzüge aufwendiger als Weihnachten. Beim Tiroler Adventsingen sind die Krampusse aus Osttirol mit ihren Furcht erregenden Masken und mit einem Ohren betäubenden Lärm in den Saal eingezogen. Die Leute haben sich die Ohren zugehalten. Jedes Jahr gibt es doch einige Verletzte. Gewalt führt zu traumatischen Erlebnissen, nicht nur bei Kindern. Was kommt heraus, wenn Finsternis und Licht miteinander kämpfen? Gewalt? Terror? Ohren betäubender Lärm? Ist der Krampus nicht aufregender, spannender als das Gute, das doch irgendwie fad ist? Ist der Lärm so massiv, dass wir die leisen Töne der Freude nicht mehr hören? Sind die Verletzungen so stark, dass wir uns betäuben müssen?

Gefängnis Zieglstadl Innsbruck 17.12.2013: Häftlinge bringen bei der Gabenbereitung eine nicht beschriebene Weihnachtskarte, Symbol für die versäumten Weihnachtsgrüße an die eigene Familie und an die Opfer. Dazu wurde auch ein Kopfhörer mitgebracht, der auch als Lärmschutz dient. Dazu wurde ein Brief von Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis in Berlin Tegel am 4. Advent 1943: „Am 24. mittags soll hier immer ein rührender alter Mann aus eigenem Antrieb kommen und Weihnachtslieder blasen. Nach den Erfahrungen vernünftiger Leute ist aber die Wirkung nur die, dass die Häftlinge das heulende Elend kriegen und ihnen dieser Tag nur noch schwerer würde; es wirke „demoralisierend“. In früheren Jahren sollen die Häftlinge mehrfach dabei gepfiffen und Krach geschlagen haben, wohl einfach, um nicht weich zu werden. Ich glaube auch, dass angesichts dieses Elends, das in diesem Hause herrscht, eine doch mehr oder weniger nur spielerisch-sentimentale Erinnerung an Weihnachten unangebracht ist.“[1] Lärm machen, um die Melodien von der Menschwerdung, von Frieden und Freude nicht hören zu müssen, um nicht weich zu werden, um nicht menschlich zu werden. Was passiert, wenn die Botschaft von der Menschwerdung Gottes auf den heutigen Menschen trifft.

Gleichgültigkeit oder Sympathie? 

Was geschieht, wenn alt und jung aufeinander treffen: ein Crash oder gar ein Krieg zwischen den Generationen? Was passiert, wenn arm und reich aufeinander prallen: die große Absicherung und Abschottung der Reichen, der Kampf aller gegen alle? Was ist das Ergebnis der einen Welt von Nord und Süd: die Ausbeutung und Unterdrückung, der große Hunger? „Wer ist der Verantwortliche für das Leben dieser Brüder und Schwestern? Niemand! Wir alle antworten so: Ich bin es nicht, ich habe nichts damit zu tun, es werden andere sein, sicher nicht ich. Aber Gott fragt einen jeden von uns: „Wo ist dein Bruder, dessen Leben zu mir schreit?“ Niemand in der Welt fühlt sich heute dafür verantwortlich; wir haben den Sinn für brüderliche Verantwortung verloren. … es ist nicht unsere Aufgabe; und damit beruhigen wir uns selbst und fühlen uns in Ordnung. Die Wohlstandskultur, die uns dazu bringt, an uns selbst zu denken, macht uns unempfindlich gegen die Schreie der anderen; sie lässt uns in Seifenblasen leben, die schön, aber nichts sind, die eine Illusion des Nichtigen, des Flüchtigen sind, die zur Gleichgültigkeit gegenüber den anderen führen, ja zur Globalisierung der Gleichgültigkeit. Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt, es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an!“[2]

„Die Religion des Gottes, der Mensch wurde, ist der Religion (denn sie ist es) des Menschen begegnet, der sich zum Gott macht. Was ist geschehen? Ein Zusammenstoß, ein Kampf, ein Ausschluss (Anathem)? Es hätte sein können, aber es ist nicht geschehen. Die alte Geschichte vom Samariter wurde zum Beispiel für die Geisteshaltung des Konzils. Eine ganz große Sympathie hat es ganz und gar durchdrungen.“ (Paul VI.)[3] – Es gehört zur Spiritualität des Konzils, dass „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi sind. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“ (GS 1)

Freude als Leitmotiv 

Papst Franziskus versteht sein apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“ als „programmatisch“ (Nr. 25). Das Wort „Freude“ durchzieht das ganze Dokument: Die Botschaft Jesu und die von ihm in seiner Verkündigung wie auch in seinem Tod und seiner Auferstehung erwiesene Liebe Gottes zum Menschen begründet eine tiefe Freude, die auch von den vielfältigen Bedrängnissen des Lebens nicht umzubringen ist. Es widerspreche deshalb dem Evangelium, wenn die Lebensart mancher Christen, so Franziskus in deutlichen Worten, „wie eine Fastenzeit ohne Ostern“ erscheint (Nr. 6). Oder, ebenso markant formuliert: „Der Verkünder des Glaubens darf nicht ständig ein Gesicht wie bei einer Beerdigung haben!“ (Nr. 10) Es widerspricht dem Evangelium, wenn das Böse ohne Erlösung und Versöhnung präsentiert wird, sozusagen ein Krampus ohne Christkind, wenn etwas seziert wird ohne Hoffnung.

Ohne Freude an Gott zerfällt Weihnachten in Phrasen von Anständigkeit. Oder manche Menschen machen sich zum schlechten Gewissen der anderen. Es widerspricht aber der Liebesfähigkeit, wenn Liebe nur mit Druck und Zwang moralisch durchgesetzt werden soll. „Zu Zeiten sind wir Dachbewohner und pfeifen von allen Dächern. In anderen Zeiten leben wir in Kellern und singen, um uns Mut zu machen und die Furcht im Dunkel zu überwinden. Wir brauchen Musik. Das Gespenst ist die lautlose Welt.“ (Ingeborg Bachmann, Die wunderliche Welt)

 

„Ich wünsche uns allen vier Schlüssel: Einen Schlüssel für die Hintertür - der Herr kommt, wo und wann wir's nicht vermuten. Er kommt in denen, die sich nicht ans große Tor getrauen. Einen Schlüssel für die Tür nach innen: der Herr ist inwendiger als unser Innerstes. Von dort aus betritt Er das Haus unseres Lebens. Einen Schlüssel für die Verbindungstür, die zutapezierte, zugemauerte nach nebenan - im Allernächsten, welcher der Allerfremdeste ist, klopft der Herr bei uns an. Einen Schlüssel für die Haustür, für das Portal - dort hat man Jesus mit Maria und Josef abgewiesen. Wir wollen  uns nicht genieren, ihn öffentlich einzulassen in unser Leben, in unsere Welt. Werden wir sein Bethlehem heute sein?“[4]

Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck 

manfred_scheuer_web_18.jpg
Diözese Innsbruck - Aktuell