Glettler: "Fasten macht widerständiger gegen tödliches Zuviel"

"Fasten macht innerlich widerständiger gegen ein tödliches Zuviel." Davon ist der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler überzeugt. In einer "Zuvielisation" tue es gut, bewusst etwas wegzulassen, "sind wir doch von einer unbewältigbaren Fülle von Informationen und News zugemüllt". Fasten heiße wählerisch zu werden, gute Qualitätsfilter einzubauen und befähige so, kritischer und selbstbewusster auszuwählen, erläuterte der Bischof im Interview mit "Kathpress" anlässlich der bevorstehenden Fastenzeit.

Wie fasten Sie persönlich? 

Leider habe ich keine ausgeprägte Fastenkultur. Ich bin mehr auf der Seite der Genießer (lacht) – aber das Leben genießen können, ist ja auch eine Frucht des Fastens, nicht wahr? Freitags versuche ich normalerweise auf eine Kleinigkeit zu verzichten.

Das ist Ihre erste Fastenzeit als Bischof. Werden Sie etwas ändern? 

Einen Versuch ist es natürlich wert. Ich habe mir vorgenommen, auf Alkohol und fleischliche Nahrung so gut wie möglich zu verzichten. Fällt mir nicht leicht, weil sich meine Begabung für eine vegetarische Lebensweise in Grenzen hält. Mal schauen, was gelingt. Ein paar Kilos loszuwerden, wäre ja auch nicht schlecht. Außerdem möchte ich mir regelmäßig wieder eine gute Zeit für das persönliche Gebet sichern.

Macht Fasten auch ohne religiösen Kontext Sinn? 

Ja, ich denke schon. Eine Unterbrechung des Gewohnten tut gut. Es ist notwendig, innerhalb unserer „Zuvielisation“ bewusst etwas wegzulassen. Weniger ist mehr! Damit wächst die Aufmerksamkeit für das Wesentliche. Wir sind doch von einer unbewältigbaren Fülle von Informationen und News zugemüllt. Durch das Fasten wird man innerlich widerständiger gegen das tödliche Zuviel. Fasten heißt wählerisch werden, gute Qualitätsfilter einbauen, um nicht alles in sich hineinzusagen. Fasten befähigt, kritischer und selbstbewusster auszuwählen.

Geht es immer nur um den Verzicht auf etwas oder ist dieser Verzicht auch mit einer dahinterliegenden Spiritualität verbunden? 

Fasten hat keinen Selbstzweck. Durch ein gutes, maßvolles Fasten wird der Mensch achtsamer und dankbarer für sein Leben. Durch selbstgewählte Einschränkungen kann eine größere Aufmerksamkeit für den Augenblick, für den Nächsten und für Gott wachsen. Durch den Verzicht wird ein innerer Freiraum geschaffen, ein Resonanzraum – wichtig zur Wahrnehmung der Umgebung und Voraussetzung, dass Gott uns zu Herzen sprechen kann. Spirituell wertvolles Fasten befähigt zu einem neuen Hören, Hinhören und Empfangen.

Hat Fasten auch eine soziale Dimension? 

Selbstverständlich. Fasten ist eine Einübung in die Solidarität mit jenen, die sich nicht täglich an einen gedeckten Tisch setzen können. Auf einer Caritas-Reise habe ich im Vorjahr den Südsudan besucht. Ein Land in der Erschöpfung – nicht zuletzt auch durch eine chronische Unter- bzw. Mangelernährung der Bevölkerung. In vielen Regionen gibt es nur dreimal pro Woche eine Mahlzeit. Besonders hart betroffen sind Kinder. Durch das Fasten stellt sich vielleicht eine minimale Ahnung davon ein, was es heißt, Selbstverständliches entbehren zu müssen. Die sozialen Schieflagen unserer Welt verlangen doch nach einer größeren Solidarität. Papst Franziskus spricht von einer „Mystik des Wir“, die Heilung bringen könnte.

Gibt es einen Mehrwert, wenn man christlich fastet? Sprich: nicht nur Gewichtsreduktion oder gesünderes Leben sondern einen Mehrwert darüber hinaus?  

Fasten bedeutet im christlichen Sinn, sich innerlich auf eine Begegnung mit Christus vorzubereiten. Fasten dient der inneren Läuterung, Reinigung und Vorbereitung für diese Begegnung. Deshalb ist die Zeit vor den großen Festen auch als Fastenzeit ausgewiesen. Im Evangelium heißt es: Wenn der Bräutigam da ist, kann es kein Fasten geben. Die immer neue Begegnung mit Christus ist das Entscheidende.

Tatsache ist, Fasten liegt im Trend. Wieso ist das so anziehend auch für nicht-gläubige Menschen? 

Fasten verspricht eine Entlastung, eine nicht nur auf heruntergekämpfte Kilos bezogene „Daseinserleichterung“. Durch ein paar einfache Maßnahmen kann jeder dazu etwas beitragen. Niemand ist nur ohnmächtig dem Konsumwahn ausgeliefert. Durch eine selbstgewählte Reduktion –von Nahrungsmitteln, Unterhaltungsangeboten, Medien, u.a. – kehrt das Gefühl zurück, das eigene Leben gestalten, bzw. einen höheren Grad an Lebenszufriedenheit erreichen zu können. Fasten ist ein gutes Training für ein Plus an Selbstbestimmung inmitten einer nervösen Betriebsamkeit unserer Zeit.

Könnte das Fasten einen Anknüpfungspunkt für Kirchenferne an die Kirche und einen Religionsdialog sein? Sozusagen als Chance, um hier wieder einen Anknüpfungspunkt zu schaffen.  

Ja. Es geht um eine Befähigung zum Leben. Leben heißt, in Freiheit wählen zu können. Fasten ist eine spirituelle Übung, unsere ursprüngliche Genussfähigkeit wieder zu steigern. Außerdem können wir von der Fastenpraxis der Muslime einiges lernen. Viele von ihnen sind uns vor allem in der Gewissenhaftigkeit und Entschiedenheit beim Fasten ein Vorbild. Das verstehen die Leute instinktiv. Sie lassen sich durch den strengen Verzicht von Gott stören. Um Leuten unsere Fastenzeit zu erklären, habe ich schon gelegentlich gesagt, das ist der katholische Ramadan (lacht).

Welche Message ist mit dem christlichen Fasten verbunden? 

Das Fasten soll eine Umkehr des Herzens stimulieren. Durch eine freiwillige Selbstbeschränkung kann Gott in uns mehr Raum gewinnen. Und dieser Raum soll nicht zum Umschlagplatz aller möglichen Geister werden, sondern mit Gottes Heiligem Geist erfüllt sein. Durch das Fasten kann auch viel Verdrängtes und Unaufgearbeitetes aus der Tiefe der eigenen Seele auftauchen. Dies anzuschauen, anzunehmen und von Christus versöhnen zu lassen, ist der Sinn der Fastenzeit. Das kann ein unangenehmer Prozess sein, aber er ist bestimmt heilsam und längerfristig wohltuend.

Welche Botschaft möchten Sie Gläubigen gerade zur Fastenzeit mitgeben? 

Ich schlage vor, sich ein kleines geistliches Programm zurecht zu legen, um bewusster auf Ostern zuzugehen. Die Fastenzeit bietet die Möglichkeit zu geistlichen Übungen – Exerzitien. Vor allem sollte man versuchen, ein paar Schritte der Versöhnung zu setzen. Das fällt niemandem leicht. Aber wie heilsam! Nie ist ein Mensch so schön, als wenn er verzeiht oder um Verzeihung bittet. Wir haben in unserer Kirche auch ein spezielles Sakrament für die innere Entlastung des Menschen – die Beichte. Es lohnt sich, dieses spezielle Angebot von Gottes Barmherzigkeit wieder einmal auszuprobieren. Es geht nicht so sehr um das Aufsagen von Sünden, sondern um das Erzählen, was sich im eigenen Herzen aufgestaut hat.

Welchen Zugang haben Menschen in der modernen Zeit zum Fasten? 

Es gibt viele Zugänge. Nicht wenige sind auch bereit, für ein Fastenseminar im Luxushotel ordentlich Geld in die Hand zu nehmen. Da gibt es schon sehr bizarre Auswüchse. Wichtig ist die Einübung der persönlichen Freiheit, d.h. zu klären, was man eigentlich will. Ich erinnere mich an einen spontanen, humorvollen Wortwechsel, den ich als Student in Tübingen mit einem deutschen Kollegen hatte. Er sagte: „Fasten bedeutet für mich, bewusst essen.“ Ich antwortete nicht ganz wortverlegen: „Fasten bedeutet für mich, bewusst nichts essen.“ Wir hatten beide recht.

Wie ist es um die Stellung des Fastens in der Kirche bestellt? Welchen Stellenwert hat es? Fastet auch die Kirche?

„Die Kirche“ kann nicht fasten, nur Menschen können fasten. Offiziell gibt es nur wenige Vorgaben. Es liegt in der Freiheit jedes einzelnen, für sich etwas zu wählen und das Besondere der Fastenzeit als persönliche Chance zu nutzen.

Wie kann Fasten zum spirituellen Erlebnis werden? 

Durch bewusstes Nicht-Übertreiben. Fasten ist nicht ein moralischer Hochleistungsbewerb. Es geht um eine Schulung der geistlichen Aufmerksamkeit für das Leben, das uns von Gott geschenkt wurde. Wichtig ist die Mühe um Regelmäßigkeit einer bestimmten Übung. Vor allem der Verzicht auf Rechthaberei und Wichtigtuerei kann zu einem spirituellen Erlebnis werden. Ein Herz, das sich auf Güte und Barmherzigkeit eingeübt hat, wäre wohl der schönste Ertrag einer Fastenzeit.

40 Tage sind eine lange Zeit, da ist die Gefahr des Scheiterns groß. Wie kann man hier gegensteuern? 

Das Scheitern gehört zum Fasten dazu. Würde uns alles gelingen, wären wir in Gefahr, überheblich zu werden. Es zählen die vielen kleinen Versuche, das eigene Leben deutlicher an Jesus Christus auszurichten. Scheitern und Neubeginnen gehören dazu. Nur so lernen wir etwas persönlicher an seine Barmherzigkeit zu glauben.

Wenn Sie auf die moderne Gesellschaft blicken: welche Fasten-Vorsätze fallen Ihnen spontan ein? 

Smartphone fasten! Die Zeit der Beschäftigung mit diversen Nachrichten auf What´s App, facebook und anderen social medias drastisch einschränken. Oder zumindest, kritischer zu prüfen, welche Botschaft es verdient, mit einem „like“ versehen zu werden. Und es braucht Mutige, die sich mit Zivilcourage für Schwächere einsetzen und auch einem negativen Meinungsdruck Widerstand leisten.

Bild: Diözese Innsbruck/Rachlé