Glettler: Europa darf nicht in Feindseligkeit zurückfallen

Dieselbe Leidenschaft wie beim Bemühen um das Friedensprojekt Europa in den 1950er-Jahren braucht es nach Überzeugung von Bischof Hermann Glettler "auch heute, damit man nicht wieder in eine Feindseligkeit zurückfällt, die Mauern aufbaut und mit dem Problemlöser Krieg spekuliert".

Angesichts vieler Krisenerscheinungen sollte man Europa "nicht allein den Politikern überlassen", sagte Glettler in einer aktuellen Beilage der "Tiroler Tageszeitung" zum "Forum Alpbach". Es seien die Zivilbevölkerung mit all ihren Einrichtungen und Communities und auch die Kirche gefragt, betonte der Bischof im Doppelinterview mit Alpbach-Präsident Franz Fischler.

Eine "seelenlose Abschottungspolitik" gerate langfristig zum Schaden Europas, warnte Glettler. Der Kontinent habe unterschiedliche Kulturtraditionen integriert und trotz aller Verwerfungen so etwas wie eine europäische Identität entwickelt. "Eine aggressive Abwehr von Menschen, die einen Ort zum Überleben suchen, kann nicht die europäische Handlungsmaxime sein". Zu warnen sei auch vor einer Entwicklung, die eine immer größere Gruppe zu Wohlstandsverlierern mache. "Dann wächst die Aggression", so Glettler. Menschen müssten auf allen Ebenen zu Beteiligten gemacht werden.

Die Kirche könne eine gute Balance von Vielfalt und Einheit vorleben, verwies Glettler auf das gute Miteinander verschiedener Konfessionen als "europäische Realität". Es brauche beides, denn "Vielfalt ohne die Mühe um Einheit verkommt zur Anarchie, und Einheit ohne Vielfalt zur gefährlichen Gleichschaltung". Außerdem sei es der erste Auftrag der Kirche, "geistliche Nahrung für die Seele" anzubieten, so der Bischof. Auch ein großer Organismus wie Europa könne "seelisch verkümmern". Mit der Verkündigung des Evangeliums baue die Kirche eine ganz wichtige spirituelle Ressource auf - eine innerliche Kraft zu gottgeschenkter Barmherzigkeit, Weitsicht, Güte und Versöhnung.

Auch der große Wert Solidarität müsse heute neu begründet werden, appellierte Glettler. Er bezeichnete es als "notwendig, einer verängstigten Gesellschaft Verhaltens- und Handlungsalternativen anzubieten. Wir dürfen das Feld nicht den populistischen Vereinfachern überlassen." Einzufordern sei auch Wertschätzung des Engagements für das Gemeinwohl. Konkret forderte Glettler, asylsuchende Jugendliche in einer Lehre aus menschlichen und volkswirtschaftlichen Gründen nicht abzuschieben. Dies schädige auch die Integrationskräfte in der Gesellschaft.

Das Vorhaben, in Alpbach einen Impuls zur Ausbildung von 250 Studenten zu "Botschaftern" für die EU zu geben und  ihnen Wissen zu Europa und Methodisches zu vermitteln, lobte der Innsbrucker Bischof als "tolle Initiative": Ähnliches versuche seit 12 Jahren das von der Gemeinschaft Emmanuel getragene Figlhaus in Wien, wo bei jungen Leuten das Interesse für Europa geweckt und ihre Dialogfähigkeit gestärkt werde. Eine kritische Seitenbemerkung äußerte Glettler in Richtung soziale Medien: "Sie sind zu gefährlichen Biotopen von Meinungsblasen geworden." Die erhoffte Demokratisierung von Meinungsbildung habe sich dagegen nicht eingestellt, bedauerte Glettler.

 

Fischler sieht "in vieler Hinsicht Verengungen" 

Der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler begründete die diesjährigen Themenschwerpunkte Diversität und Resilienz beim Europäischen Forum Alpbach als "gerade jetzt wichtig", weil "in vielerlei Hinsicht Verengungen stattfinden". Er betrachte die Gesellschaften als zunehmend verwundbar und immer weniger resistent gegen Angriffe von außen - "seien des Angriffe gegen die Demokratie oder gegen die europäischen Werte". Fischler: "Da ist es gut, wenn man dagegenhält."

Kritik übte Fischler daran, dass Migrationsbewegungen trotz geringerer Brisanz als noch im Jahr 2011 "jetzt zu einem Megathema hochstilisiert" würden. "Da scheint man auch innenpolitisches Kleingeld prägen zu wollen." Ein Thema, dessen sich die EU vermehrt annehmen muss, ist in den Augen Fischlers die Entwicklung der letzten Jahre, wonach "der Wohlstandszuwachs zu relativ wenigen Wohlhabenden geflossen" sei. Der Ex-Europapolitiker wörtlich: "Bei den sozialen Standards im Europäischen Grundrechtskatalog sind wir international gesehen mit Abstand vorne - aber was helfen programmatische 'Ansagen', wenn sie nicht konkretisiert auf den Boden kommen?"

 

Eröffnung am 15. August 

Mit einem Vortrag des US-Wirtschaftswissenschaftlers Joseph Stiglitz über die Auswirkungen einer stärkeren Beachtung der Diversität der Konsumenten und Produzenten in einer zukünftigen Weltwirtschaft wurde am 15. August das diesjährige Forum Alpbach eröffnet. Auch für religiös Interessierte finden sich zahlreiche Programmpunkte, etwa eine Podiumsdiskussion am 21. August zu "Ethische Herausforderungen von Korruption für Vertrauen, menschliches Wohlergehen und Gemeinwohl" u.a. mit dem nigerianischen Primas-Kardinal John Onaiyekan.

Ihre Teilnahme am Forum zugesagt haben u.a. der honduranische Kardinal und früherere Weltcaritas-Präsident Oscar Rodriguez Maradiaga und der Kanzler der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften, Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo. Bischof Glettler leitet die traditonelle Tiroler Messe am 19. August in der Alpbacher Pfarrkirche, für "interreligiöse Morgenbetrachtungen" und "Abend.Stille"-Meditationen sorgen u.a. die Bischöfe Franz Lackner (Salzburg), Alois Schwarz (St. Pölten) und der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker sowie Vertreter von Judentum und Islam.

(Details zum Programm: www.alpbach.org)

Eine Meldung von www.kathpress.at 

Eröffnung des Europäischen Forums Albach 2018 Bild: Andrei Pungovschi