Erinnerung an eine Sozialpionierin aus Tirol

Sr. Erna Stocker-Waldhuber ist die einzige Österreicherin, die dem Orden der Missionsärtzlichen Schwestern angehöhrt. Dabei stammt die Ordensgründerin, Anna Dengl, aus dem Tiroler Lechtal.

Sr. Erna Stocker-Waldhuber gehört einem Orden an, der in Tirol nur sehr wenigen Menschen bekannt ist, weil er hier über keine Niederlassung verfügt. Dabei kommt Anna Dengl, die Gründerin des Ordens der Missionsärztlichen Schwestern, aus dem Tiroler Lechtal.

Sr. Erna Stocker ist die einzige lebende Missionsärztliche Schwester aus Österreich. Sie stammt aus Thal-Assling in Osttirol. Im Interview erzählt sie von ihrem Wirken in Äthiopien und Kongo, vom Vorbild Anna Dengl und von den Herausforderungen an die Ordensgemeinschaft heute.

 

Schwester Erna, Sie gehören den MMS an, die 1925 in den USA von einer Tiroler Ärztin gegründet wurden. Wer war diese Frau? 

Anna Dengel stammt aus dem Tiroler Außerfern aus einer kinderreichen Familie. Sie hat früh ihre Mutter verloren, der Vater ist dann mit der Familie nach Hall gezogen und hat in Innsbruck ein Paramentengeschäft betrieben. Anna Dengel hat schon immer eine große Liebe zu Frauen und Kindern gehabt. Deshalb hat sie während des Ersten Weltkrieges in Irland Medizin studiert und sich dann aufgemacht nach Pakistan. Denn gerade Frauen in islamischen Gebieten brauchten dringend medizinische Versorgung. Von einem Mann durften sie sich nicht anschauen, geschweige denn untersuchen lassen. Anna Dengel konnte dagegen als Frau und Ärztin den Frauen und ihren Kindern konkrete medizinische Hilfe anbieten. Frauen und Kindern zu helfen, ist bis heute ein Grundbedürfnis der Missionsärztlichen Schwestern, die sie dann gegründet hat.

 

Sr. Erna, Sie stammen selbst aus Thal-Assling in Osttirol. War Ihnen Anna Dengel schon in Ihrer eigenen Jugend ein Begriff? 

Ich freue mich, dass auch Anna Dengel eine Tirolerin ist. Aber ich habe erst ganz spät von ihr gehört, nach meiner Ausbildung zur Krankenpflegerin. Da hat mir eine andere Krankenschwester während des Nachtdienstes erzählt, dass sie zu einer Gemeinschaft geht, die von einer Tiroler Ärztin gegründet worden war. Das hat mich neugierig gemacht. Ich hatte ja in mir diese Sehnsucht, als Krankenpflegerin Den Menschen in Afrika zu helfen. Ich habe dann an Anna Dengel geschrieben, ein Treffen kam aber nicht zustande, weil sie auf Auslandsterminen war. Aber ich kenne noch das Paramentengeschäft „Dengel“ in einer kleinen Innsbrucker Seitengasse, dort habe ich selbst ab und an Kleinigkeiten für Geschenke gekauft.

 

Mit 28 sind Sie dann selbst in die Gemeinschaft der Missionsärztlichen Schwestern eingetreten.  

Da haben holländische Schwestern in der Nähe von Köln ein Kinderheim gegründet, für das sie deutschsprachige Schwestern gesucht haben. So kam ich 1961 nach Gelsenkirchen. Mit zwei weiteren waren wir die ersten Novizinnen dort. Danach kam ich nach England, zum Sprachstudium und um eine Weiterbildung zur Hebamme zu absolvieren.

In Gelsenkirchen bin ich dann auch Anna Dengel das erste Mal begegnet, das war 1964 bei meiner 1. Profess. Doch da war ich so aufgeregt, meine Eltern waren da, dass ich mich kaum an ihre Worte erinnern kann. Ich habe sie noch zwei, drei Mal getroffen, und immer hat mich diese überzeugende und faszinierende Frau beeindruckt. Ich war dann 18 Jahre in Attat/Äthiopien. Und als ich 1978 auf Heimaturlaub war, habe ich ihre Krankenschwester vertreten und Anna Dengel eine Woche lang gepflegt. Sie war schon schwer krank, sie hatte ja einen Schlaganfall gehabt, und hat sehr viel geschlafen. 1980 ist sie dann gestorben.

 

Anna Dengel wird immer wieder als eine sehr starke und faszinierende Persönlichkeit beschrieben. 

Ja, und sie war auch sehr willensstark. Als sie in Pakistan war, hat sie eine Berufung zu Gott gespürt und ist dem gefolgt. Aber da waren die alten Kirchengesetze: Ordensleuten durften bestimmte medizinische Dienste nicht verrichten. Aber Anna Dengel wollte und konnte nicht auf ihre ärztliche Tätigkeit verzichten. Sie hatte ja Medizin studiert, um v.a. den Frauen in armen Ländern zu helfen. Anna Dengels Gemeinschaft war deshalb anfangs nur ein„frommer Verein“. Es gab auch Strömungen, die sich von der Kirche unabhängig machen wollten, aber Anna Dengel war sehr willensstark und hat nicht locker gelassen. Sie wollte in der Kirche bleiben. 1936 hat der Vatikan dann eine neue Regelung für weibliche Orden erlassen, mit der nun Ordensschwestern der Zugang zum Medizinstudium oder der Krankenschwesternausbildung erlaubt war. Und 1941 haben Anna Dengel und ihre Schwestern die Ewigen Gelübde in ihrer neuen Gemeinschaft abgelegt. Wir Schwestern waren fasziniert von der Einfachheit dieser Frau, die trotz vieler Schwierigkeiten fest geblieben ist und so ein ungemein großes Gottvertrauen ausgestrahlt hat.

Und trotz ihrer großen Aufgabe, hat Anna Dengel nie die Menschen um sie herum aus den Augen verloren. Sie hatte ein sehr großes Interesse an Menschen, sie fragte die Schwestern nach ihrem Ergehen, ihren Familien – und behielt das Erzählte im Gedächtnis.

 

Anna Dengel erzählte von sich, sie stamme „vom Ende der Welt“ – wie ist das bei Ihnen? Sind Sie heute Essenerin oder Tirolerin?  

Heimweh hab ich nicht, ich hab immer schnell gelernt, da zu Hause zu sein, wo ich bin. Aber nach Tirol fahr ich schon gerne, das ist schon was, das bleibt.

 

Nach Ihren Auslandseinsätzen in Äthiopien und im Kongo leben Sie nun seit 30 Jahren in Essen. Was machen missionsärztliche Schwestern in Deutschland? 

Heute ist der Orden weg von den großen Krankenhäusern. Wir widmen uns heute vor allem der Basisgesundheitsversorgung, den Randgruppen, die durchs Netz fallen. Es gibt so viele Menschen, die nicht mal eine Krankenversicherung haben! Wir betreiben eine Straßenambulanz in Frankfurt, machen Altenpastoral, kümmern uns um Blinde, Gehörlose.

Wir haben in Deutschland zB. Sr. Dagmar Blum, die sich um Zwangsprostituierte kümmert und gemeinsam mit Jesuiten Menschen in einem Abschiebelager psychisch betreut. Oder in Berlin: Hier haben nach der Wende Schwestern eine Ambulanz für ostdeutsche Frauen aufgebaut, um die psychischen Nachwirkungen des Lebens im Stasi-Regime aufzufangen.

Unsere Schwestern arbeiten heute nicht mehr nur als Ärztinnen und Krankenschwestern, sondern in allen möglichen Berufen. Das war ja schon Anna Dengel ungeheuer wichtig, sie bestand darauf, dass wir Schwestern alle eine richtig gute Ausbildung bekamen. Wir arbeiten in der Behindertenarbeit, als Sozialpädagoginnen usw.

 

In Deutschland gibt es einige Schwestern, Sie selbst sind die letzte Österreicherin – wie sieht die Zukunft des Ordens aus?  

Wir sind eine langsam alternde Gemeinschaft, in Holland leben viele Rückkehrerinnen aus Afrika, Asien oder Indonesien, dies sind jetzt vor allem alte Frauen, ebenso ist es in England. In Frankfurt und Berlin dagegen haben wir einige Novizinnen und auch Assoziierte. Das sind Frauen, die im Laienstand bleiben und auch in ihrem Beruf und ihrer Wohnung, sich aber zur Mitarbeit verpflichten, die treffen dann zu bestimmten Gebetszeiten oder Zusammenkünften aller Missionsärztlichen Schwestern in Deutschland zusammen.

In Pakistan dagegen gibt es eine ganze Reihe von Novizinnen, auch auf den Philippinen - das ist auch deshalb so wichtig, weil es in vielen Ländern zunehmend schwierig wird, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Wir brauchen unsere Schwestern direkt vor Ort.

Jede Schwester soll aber schon auch die Erfahrung eines Auslandseinsatzes machen. Das ist uns Missionsärztlichen Schwestern schon wichtig: zu sehen, wie Menschen anderswo leben. Das relativiert sehr rasch den eigenen Lebensstil. Und die Ansprüche. Die jungen Menschen müssen aber auch verwurzelt sein in ihrem eigenen Land, damit sie auch wieder gut zurückkommen können. Die Auslandseinsätze sind nicht mehr so lang wie früher.

 

Vor welcher Herausforderung stehen die Missionsärztlichen Schwestern heute?  

In Äthiopien haben wir wirklich einfach gelebt, die nächste Möglichkeit einzukaufen, war 30 km entfernt. Bei meiner Rückkehr war ich dann überwältigt und erschlagen von all dem Überfluss hier.

Das ist auch eine Herausforderung: Uns nicht vom Konsum überrollen lassen, sondern durch unser pures Dasein die Fürsorge Gottes präsent machen in dieser von Konsum geprägten Welt. Und hier bewusst einen Punkt zu setzen: ohne Überfluss leben. Menschen, die in unserer reichen Gesellschaft durchs Gitter fallen, betreuen. Da sein für Menschen, die Hilfe brauchen.

Das ist für manche fast provokant in unserer säkularisierten Gesellschaft, dass es Menschen gibt, die gegen den Strom schwimmen, die was machen, ohne Profit. Natürlich müssen auch wir von etwas leben, aber wir bereichern uns nicht.

Auch im religiösen Bereich gibt es sehr viele Suchende. Hier wollen wir ihnen zeigen, dass wir offen für sie sind, dass die Menschen wissen, bei uns werden sie ernst genommen.

 

HINTERGRUND 

Verein „Freunde Anna Dengel“  

Der österreichische Verein wurde im Sommer 2012 vom Tiroler Reinhard Heiserer gegründet. Der Verein fördert die Bekanntheit der Tiroler Ordensgründerin Anna Dengel MMS, er informiert über die Tätigkeit der Missionsärztlichen Schwestern heute und  sammelt Spenden für Anna Dengel Öffentlichkeitsarbeit und aktuelle Projekte des Ordens.

Infomaterialien zu Anan Dengel und den MMS, eine informative Homepage und eine neue Biografie sind in Arbeit.

www.freundeannadengel.at 

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Diözese Innsbruck - Aktuell