Kunstinterventionen in der Fastenzeit

In einigen Innenstadtkirchen Innsbrucks laden zeitgenössische Kunstwerke ein, während der Fastenzeit über Leben und Glauben zu reflektieren und darüber ins Gespräch zu kommen.

Im Heiligen Jahr 2025 geht es um eine geistvolle und solidarische „Pilgerschaft der Hoffnung“. Es geht darum, Hoffnungsorte zu entdecken und zugleich auch eine „Wallfahrt zueinander“ zu wagen. Unter diesem Gesichtspunkt sind auch die Kunstinterventionen in einigen Kirchen der Diözese Innsbruck zu betrachten. Diese wurden am Dienstag, 4. März 2025, im Rahmen eines Presserundgangs vom neuen Diözesankonservator und Kulturreferenten der Diözese, Stefan Schöch, Unipfarrer und Propst Jakob Bürgler und Bischof Hermann Glettler präsentiert. Im Rahmen der traditionellen Aschermittwoch-Gottesdienste werden sie auch offiziell vorgestellt.

Die Osttiroler Künstlerin Rosmarie Lukasser verweist in der Universitätskirche auf die Chancen und Gefahren der digitalen Kommunikation. Die Spannung von aufrichtender Schönheit und einer zugleich gegenwärtigen Angst vor allen aktuellen Bedrohungsszenarien greift der Tiroler Künstler Dieter Fuchs mit drei ikonenhaften Bildtafeln auf, die in der Spitalskirche, in der Klosterkirche der Serviten und in Neustift im Stubaital gezeigt werden. Ein faszinierender Höhepunkt der diesjährigen Kunstaktivitäten ist zweifelslos die Bildtafel von Andy Warhol im Innsbrucker Dom, eine Leihgabe aus der Sammlung Rafael Jablonka. Neu im Parcours ist die Dreiheiligenkirche mit zwei eigenwilligen „Märtyrerbildern“ des Tiroler Malers Thomas Riess, sowie die Pfarrkirche St. Nikolaus, die den Hoffnungssuchenden im Heiligen Jahr einen faszinierenden roten Teppich der Südtiroler Künstlerin Sissa Micheli ausrollt.

Kunstinterventionen in der Fastenzeit
Eine Installation von Andy Warhol im Innsbrucker Dom. Foto: Cincelli

Dom und Wallfahrtskirche St. Jakob

Andy Warhol, REPENT AND SIN NO MORE!, 1985/86, Acryl und Siebdruck auf Leinwand (Leihgabe aus der Sammlung Rafael Jablonka, Seefeld)

Der biblische Slogan, den Andy Warhol mit Siebdruck auf die Leinwand brachte, ist klar und deutlich: „Bereue und sündige nicht mehr!“ Dieser Aufforderung kann man sich kaum entziehen. Auf den ersten Blick erinnert der Schriftzug an einen Werbetext der 80er Jahre, der sich durch die fetten, weiß umrandeten Buchstaben vom schwarzen Hintergrund abhebt. Die von Andy Warhol eingesetzte Ästhetik der Werbung baut eine Spannung zum religiösen Inhalt auf. Bezüge zur Religion sind bei Warhol, der sich zum katholischen Glauben bekannte, recht zahlreich – etwa in der Beschäftigung mit dem Abendmahl von Leonardo oder in der Serie „Crosses“. 

Jesus ruft nicht nur entschieden zur Umkehr auf, er warnt zugleich vor Verurteilungen von Menschen, die anders denken, glauben oder leben. Das Werk Warhols stammt aus der Mitte der 80er Jahre, als die menschlichen Tragödien rund um die Aids-Epidemie leider auch durch die Kirche noch verstärkt wurden. Die Krankheit wurde als Strafe Gottes bezeichnet und als moralische Keule instrumentalisiert. Das „Sündige nicht mehr!“ richtet sich an alle Menschen. Die Quintessenz: Niemanden verurteilen! Gottes Barmherzigkeit ist größer als jedes Versagen. Und es gilt die Aufforderung, die Sünde zu meiden – Gier, Lüge, Verachtung, Hass, ... Repent!   

Dom und Wallfahrtskirche St. Jakob

Pfarrkirche Dreiheiligen

Thomas Riess, „WALKING AND FALLING“, 2019, Öl auf Leinwand, zwei Gemälde,190 x 160 cm (Leihgabe des Künstlers, Wien)

Die beiden Gemälde stellen zwei sogenannte „Liquidatoren“ dar. Es sind Einsatzkräfte, die nach Nuklearkatastrophen mit der Ersthilfe in hochverstrahlten Gebieten zur Eindämmung der Strahlenfolgen betraut sind. Die überwiegende Zahl der Helfer musste in Tschernobyl ihre Tätigkeit unter Zwang verrichten. Im Gegensatz dazu riskierten die Einsatzkräfte in Fukushima freiwillig ihr Leben, um die verheerenden Auswirkungen der Strahlung zu minimieren. Trotz des Bewusstseins, dass massive gesundheitliche Schäden oder sogar ein qualvoller Tod die Folge ihrer Handlungen sein konnten, setzten sie sich dieser tödlichen Strahlendosis aus.  

Die beiden Gemälde zeigen zwei dieser freiwilligen Helfer aus Fukushima. Sie stehen symbolisch für viele Menschen unserer Zeit, die sich selbstlos und radikal für das Wohl der Menschheit und der Schöpfung einsetzen. Wie große Ikonen-Bilder hängen die beiden „Märtyrer der Gegenwart“ vor den vertrauten Seitenaltären der Kirche. Der Titel des Werks bezieht sich auf das gleichnamige Lied von Laurie Anderson. Sie beschreibt den Prozess des Gehens - jeder Schritt zwischen Fortschritt und Gefahr, zwischen Leben und Tod, Weitergehen und Fallen. 

Pfarrkirche Dreiheiligen

Universitätskirche St. Johannes

Rosmarie Lukasser, Altarblatt, 2025, zwei Terracotta-Figuren und ein Schaugefäß, 2019 (Leihgabe Galerie Krinzinger, Wien)

Die Osttiroler Künstlerin zeigt in der Universitätskirche zwei menschenförmige Erdlinge. Sie kauern am Boden, aus dem sie geformt wurden. An den Bruchstellen ihrer Bodies blitzen einige LED-Lichtspuren durch – als ob etwas von ihrer lichtvollen Würde preisgegeben werden sollte. Connected mit einer höheren Energie? Und sie hatten etwas in der Hand – was nun fehlt. Ein echtes Smartphone? Das kultige Tool unserer alltäglichen Kommunikation ist nirgendwo direkt zu sehen, aber dennoch präsent – sowohl bei den beiden Terracotta-Figuren, als auch in der eigenartigen „Monstranz“. Sie hat eine besondere Leerstelle. 

Das besondere Altarblatt folgt ebenso der Form eines Smartphones – gefasst mit einer feinen Goldrahmung. Anstelle der vielfältigen Bilder des Glaubens, die wir sonst vor Augen haben, eine elegante Projektionsfläche – offen für alles Mögliche, was wir an Information und Weltdeutung in uns tragen oder immer wieder downloaden. Geist und Herz sind permanent gefordert, um zu überprüfen, was wir als Wirklichkeit verstehen und wie wir uns in den wesentlichen Fragen des Lebens verhalten wollen. Anders formuliert: Ist in der Mitte Christus gegenwärtig – oder bloß die Zerstreuung, die unsere Kommunikations-Endgeräte vermitteln?   

 Universitätskirche St. Johannes

Spitalskirche, Serviten-Kirche und Neustift im Stubaital

Dieter Fuchs, Ikone, 1994, Acryl und Gold-Schlagmetall auf Leinwand, drei Bildtafeln je 280 x 280 cm. (Leihgabe des Künstlers, Innsbruck)

Welche Bilder haben wir vor Augen – Bilder aufrichtender Herrlichkeit oder Bilder schrecklicher Zerstörungen? Drei quadratische Bildtafeln des Innsbrucker Künstlers Dieter Fuchs aus den 90er Jahren thematisieren diese Spannung. Sie werden wie eine „zerstreute Ikonostase“ voneinander getrennt in drei Tiroler Kirchen gezeigt. Vom leuchtenden Goldgrund hebt sich ein dunkles Gebilde ab. Ist es ein Totenschädel oder ein Atompilz nach einer nuklearen Katastrophe? Es bleibt offen. Alle Bedrohungsszenarien unserer Zeit sind hier mitgemeint. Und alle Ängste. 

Deutlich ist der Kontrast zwischen Herrlichkeit und Erschrecken. Die Gestalt der zeitgemäßen Ikonen erinnert auch an das „Erste Ökumenische Konzil von Nicäa“, das genau vor 1700 Jahren in der Nähe des heutigen Istanbul stattfand. Auf dieser Kirchenversammlung wurde nicht nur festgehalten, dass sich in der menschlichen Person des Jesus von Nazareth Gott selbst hundert-prozentig mitgeteilt hat. Auch das Christusbild hat seine Legitimation gefunden, weil in ihm Gottes Herrlichkeit aufleuchtet – wenn auch am Kreuz, im Moment seiner größten Entstellung. 

Spitalskirche, Serviten-Kirche und Neustift im Stubaital

Jesuitenkirche Innsbruck

Alwin Hecher, Vergiss.Mein.Nicht, Fastentuch

In der Jesuitenkrirche ist ein Fastentuch von Alwin Hecher (26) aus Wattenberg zu sehen. Der Künstler und Illustrator setzt sich in seinem Werk mit den Werken der Barmherzigkeit auseinander. Gestaltet ist das Fastentuch in der Art einer "Graphic Novel". 

Inspirationsquelle bei der Gestaltung waren Gespräche mit den beiden Jesuiten Dominik Markl und Christian Marte. Hintergrund ist die Auseinandersetzung mit dem Schicksal von Leokadia Justman. Deren Lebensgeschichte wird Hecher als Graphic Novel Anfang April veröffentlichen.

Jesuitenkirche Innsbruck

Pfarrkirche St. Nikolaus

Sissa Micheli, Rock O’ Barocco/A Piece of Folds, 2024, 21,5 Meter langer Teppichläufer, bedruckt. (Leihgabe der Künstlerin)

In der neugotischen Kirche St. Nikolaus wird für alle Hoffnungssuchenden ein Teppich ausgerollt. Das Werk der Südtiroler Künstlerin Sissa Micheli bringt sowohl ästhetische als auch symbolische Dimensionen in den Raum. Mit seiner Länge von 21,5 Meter zieht der rote Teppichläufer die Aufmerksamkeit auf sich und öffnet zugleich einen Weg – vom Eingang der Kirche bis hin zum Altar. Eine faszinierende Ausrichtung und Einladung, weil in der Mitte der Kirche Christus selbst gegenwärtig ist – seine Arme stehen allen Menschen offen! 

Micheli ließ sich für die Gestaltung des Teppichs vom französischen Philosophen Gilles Deleuze inspirieren, der ausgehend vom Barock die ins Unendliche gehende „Falte“ beschreibt. In ihr spiegelt sich die Vielschichtigkeit des menschlichen Lebens wider. Die sichtbaren Faltungen, erkennbaren Masken und figurativen Elemente stehen für die vielen individuellen Lebenswege – inklusive aller Umwege und Irrwege, Abbrüche und Neuanfänge. Der „Rote Teppich“ wird in der Kirche für alle ausgerollt, nicht nur für die Gala-Gäste. Alle sind herzlich willkommen! 

Pfarrkirche St. Nikolaus