Respekt vor allen Opfern

Klarstellung zum Vorwurf der „Missachtung von Opfern“, TT Leitartikel vom 28. Nov. 2024

Viel Unrecht ist in kirchlichen Heimen geschehen. Die Berichte der Betroffenen über das zugefügte Leid erschüttern und beschämen. „Sie spiegeln ein weit in das Fürsorgesystem der Nachkriegszeit hineinreichendes pädagogisches Totalversagen.“ Mit diesen und ähnlichen Worten hat Bischof Hermann Glettler offiziell und in persönlichen Begegnungen oftmals klar Stellung bezogen – und auch stellvertretend um Entschuldigung gebeten. Ihm eine „Missachtung der Opfer“ vorzuwerfen, ist eine haltlose Unterstellung. Wir ersuchen alle Interessieren, das Vorwort des Bischofs als ganzes zu lesen – und die zahlreichen weiteren Stellungnahmen, die nichts an Klarheit vermissen lassen. 

Den kirchlichen Worten von Betroffenheit und Anteilnahme sind auch Taten gefolgt: Neben hohen Entschädigungszahlungen, wie sie von der Diözese und den Ordensgemeinschaften seit vielen Jahren geleistet werden, hat sich die Diözesanleitung unter Bischof Glettler für eine konsequente Aufklärungsarbeit betreffend der Missbrauchsfälle in den katholischen Heimen eingesetzt. Gemeinsam mit dem Land Tirol wurde im Jahr 2019 eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben. Es sollte eine interdisziplinäre Aufarbeitung aller erfassten Missbrauchsfälle in den kirchlichen Heimen Tirols und der darin offensichtlich gewordenen strukturellen Gewalt werden. Zugleich sollte auch eine Kontextualisierung mit den staatlichen Heimen erfolgen. 

Die Erweiterung des Forschungsgegenstandes über das Heim Martinsbühel hinaus (auf Wunsch des wissenschaftlichen Leiters der Studie, Univ.-Prof. Mag. Dr. Dirk Rupnow) zeigte recht bald, dass die wissenschaftlichen Gütekriterien aufgrund des zeitlichen Drucks nicht mehr eingehalten werden können. Bischof Hermann Glettler ersuchte u.a. das Forschungsteam um eine vertiefte Untersuchung der Situation im Heim Thurnfeld, das ihm aufgrund der Fürsorge für die dort noch lebenden Schwestern besonders am Herzen lag. Er bat um eine der Repräsentativität geschuldeten Erweiterung des Kreises der Befragten über die beiden genannten Personen hinaus, die sich selbst gemeldet haben.  

Seinem Wunsch nach einer späteren Veröffentlichung wurde nicht entsprochen. Dies ist umso bedauerlicher, weil kurz nach Abschluss der Studie eine Fülle von Dokumenten im Archiv in Thurnfeld aufgefunden wurden, die zur Erfassung der Gesamtsituation von Bedeutung seien. Die vielen Dokumente und Fotos zeugen von zahlreichen Aktivitäten im Salesianischen Bubenheim und ergeben ein Gesamtbild, das gar nicht dem konstruierten Bild der Studie entsprach. Außerdem, und darauf bezog sich die nachfolgende Kritik des Bischofs am deutlichsten, wurde der Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs in der wissenschaftlichen Studie an mehreren Textstellen als erwiesene Tatsache hingestellt. Dass die beschuldigte Schwester eine gegenteilige Erklärung abgegeben hat und damit Aussage gegen Aussage steht, ist keiner Erwähnung wert.  

Bischof Glettler hat in den Vorbesprechungen zur Beauftragung der Studie mehrmals gesagt, dass „alle Fakten auf den Tisch gelegt gehören und nichts vertuscht werden dürfe“. Damit war primär gemeint, dass die Opfer in ihren Aussagen ernstgenommen werden müssen, aber auch die Situation der Schwestern und das Versagen der Fürsorgeverantwortung des Landes dargelegt werden muss. Auf diese Weise versuchte Bischof Glettler seiner Verantwortung zur schonungslosen Offenlegung von nicht zu entschuldigenden Vergehen gerecht zu werden. Zugleich obliegt ihm jedoch auch die Verantwortung gegenüber jenen Menschen, die mit größtem Engagement für das Wohl der ihnen Anvertrauten sorgten und die aufgrund einer unvollständigen Darstellung hier Gefahr einer Pauschalverurteilung laufen.  

 

Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Diözese Innsbruck, 28. Nov. 2024 

Respekt vor allen Opfern
Foto: Sigl/dibk.at

Sensibilität weiterhin stärken

Vorwort von Bischof Hermann Glettler zum Abschlussbericht der Studie, März 2024

Unauslöschlich brennen sich die Wunden von erlebter Gewalt in all ihren zerstörerischen Ausprägungen in die Seelen der Opfer. Die Berichte über das in den Heimen zugefügte Leid erschüttern. Sie spiegeln ein weit in das Fürsorgesystem der Nachkriegszeit hineinreichendes pädagogisches Totalversagen. Die hier vorliegende Studie hatte den Auftrag zu einer interdisziplinären Aufarbeitung und Kontextualisierung des Geschehenen. Die zutage getretenen Vergehen sollten systematisch eingeordnet und mit den zeitbedingten pädagogischen Standards der Heimunterbringung der Nachkriegszeit in Beziehung gesetzt werden. 

Nicht überzeugend finde ich die vorliegende Studie in einigen Fragen betreffend die Qualität wissenschaftlichen Arbeitens – konkretisierbar an den Ausführungen zu Thurnfeld. Zwei befragte Zeugen können nicht für 1200 Buben stehen, die im Salesianer Heim untergebracht waren. Und wenn in einem konkreten Fall Aussage gegen Aussage steht, kann es nicht sein, dass der Inhalt einer massiven Beschuldigung als historisches Faktum ausgegeben wird. Fairness und größtmögliche Objektivität sind auch all jenen geschuldet, die sich unter schwierigsten Bedingungen um eine angemessene Betreuung der ihnen anvertrauten jungen Menschen bemüht haben. 

Dennoch danke ich den Kommissionsmitgliedern unter dem Vorsitz von Dr.in Margret Aull und dem Projektteam unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. Dirk Rupnow für ihr Bemühen um eine umfassende Darstellung der Heimunterbringung mit ihrer Einbettung in das behördlich-staatliche Handlungsfeld der Nachkriegsjahrzehnte. Ich wünsche mir für die Zukunft ein offenes, sensibles Gesprächsklima, sowohl in der Wahrnehmung des verschuldeten Leids als auch in der historischen Einordnung der Geschehnisse. Ebenso möchte ich auf die Notwendigkeit einer qualitätsvollen Präventionsarbeit hinweisen, zu der sich die Katholische Kirche in Österreich bereits seit 2010 verpflichtet hat. Der Schutz der jungen Menschen muss ein gesamtgesellschaftliches Anliegen bleiben. 

 

Bischof Hermann Glettler 

Zitate mit Quellenangaben

Sammlung von in der Vergangenheit getätigten Aussagen von Bischof Hermann Glettler – eine Auswahl

Lehren für die Gegenwart und Zukunft  

Medieninformation Land Tirol vom 7.12.2022: Dreierkommission Martinsbühel legt Abschlussbericht „Demut lernen“ vor  

Die Diözese Innsbruck und das Land Tirol sind sich bei der Aufarbeitung des Abschlussberichtes einig, dass nichts vertuscht und verharmlost werden darf – im Gegenteil: „Die teils erschütternden Berichte zeigen pädagogisches Totalversagen – das gilt für kirchliche und staatliche Einrichtungen. Die Umstände, die dazu geführt haben, werden teilweise im Forschungsbericht dargelegt. Wichtig ist es, dem geschehenen Unrecht die nötige Aufmerksamkeit zu geben. Mein Mitgefühl gilt allen, die in den Heimen traumatisiert wurden“, so Bischof Hermann Glettler, der zusätzlich betont: „Aufgrund zahlreicher erschütternder Berichte von betroffenen Personen in den vergangenen Jahren hat die Kirche bereits reagiert. Im Jahr 2010 wurde eine unabhängige Opferschutzkommission eingerichtet. Zahlreiche Personen, von denen einige im Bericht ihre dramatischen Erfahrungen schildern, wurden von dieser Kommission angehört und haben Unterstützungszahlungen erhalten. Ebenso wichtig war die sofortige Einrichtung von Ombudsstellen in allen Diözesen und die Erarbeitung von Präventionskonzepten, die ständig aktualisiert werden.“ 

 

„Es ist Scham, die ich empfinde“  

Bischof Glettler in ORF-Sendung "Orientierung" über Abschlussbericht der unabhängigen "Dreierkommission Martinsbühel": Forschungsarbeit war wichtiger Schritt - "Die vielen Fälle sexualisierter Gewalt und das lange Schweigen sind wirklich beschämend" Innsbruck, 11.12.2022 (KAP)  

Nach der Veröffentlichung des Abschlussberichtes "Demut lernen. Kindheit in konfessionellen Kinderheimen in Tirol nach 1945" hat sich der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler im ORF-Fernsehen erschüttert und "beschämt" über die Berichte gezeigt. "Es bewegt mich zutiefst, wenn ich die Berichte lese und an mich heranlasse - und es ist auch Scham, die ich empfinde", sagte Glettler in der ORF-Sendung "Orientierung" (Sonntag).  

 

Netz an Präventionsmaßnahmen notwendig 

Kathpress vom 7.12.2022 

Gegenüber Kathpress ergänzte Bischof Glettler am Mittwoch wörtlich: "Der Bericht schärft unser Bewusstsein für Schmerz und Leid der Vergangenheit. Zugleich ist er ein Aufruf an alle Verantwortlichen, entschlossen zusammenzuarbeiten, um Licht in die traurigen Ereignisse zu bringen, sich demütig auf einen Weg der Versöhnung und Heilung zu begeben und die Betroffenen zu unterstützen." Der Bericht sei zudem "ein Aufruf für alle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, genau hinzusehen, sie auf einem guten Weg ins Leben zu begleiten". Missbrauch und Gewalterfahrungen zerstörten oft ein ganzes Leben. Es müsse künftig ein breites Netz an Präventionsmaßnahmen geben - "in allen Einrichtungen, in den kirchlichen und staatlichen, in den Heimen, Schulen und Vereinen". Das Wohl von Kindern und Jugendlichen sei immer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung, betonte der Bischof. Die in den Heimen untergebrachten Kinder und Jugendlichen hätten meist Gewalterfahrungen aus ihren Familien, Schulen und aus den dörflichen Strukturen mitgebracht. Ohne entsprechende psychologische Begleitung, geschweige denn Therapie hätten sie in den unzureichenden Heimstrukturen wiederholte Re-Traumatisierungen erlebt - ein Zirkel von Gewalterfahrungen. Der Bischof wies zugleich aber auch darauf hin, dass im Bericht auch viele Beispiele von Menschen erwähnt werden, die in den katholischen Heimen aufgefangen und den Umständen entsprechend gut versorgt wurden. "Es gibt berührende Erzählungen von ehemaligen Bewohnern, die den Schwestern ein Leben lang dankbar sind. Wer sonst hätte Kinder und Jugendliche in prekären Notsituationen aufgenommen?" Abschlussbericht öffentlich zugänglich Kommissionsmitglied und Projektleiter Dirk Rupnow vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck betonte in der Aussendung: "Man muss sich der Lektüre des Berichtes unterziehen und wird merken, dass die Inhalte etwas mit einem machen. Wir müssen die Gesamtgesellschaft damit konfrontieren. Die Opfer von damals wollen ernst genommen werden und nochmals zu Wort kommen - genau das können dieser Bericht und eine aktive Aufarbeitung der Inhalte bewirken." 

 

Entschieden neue Wege gehen

Ausführlichen Stellungnahme von Bischof Hermann Glettler zu sexuellem Missbrauch in der Kirche. Website Diözese Innsbruck am 24.9.2018 

Das Vertrauen in die Kirche ist in den vergangenen Jahrzehnten von einigen Priestern und Ordensangehörigen nachhaltig beschädigt worden. Die nun vorgelegten Zahlen sind beschämend für uns Verantwortliche. Mehrmals wurden offiziell und in persönlichen Begegnungen ehrlich gemeinte Bitten um Entschuldigung ausgesprochen. Sie sind längst fällige menschliche Gesten, belegen aber ebenso die Unbeholfenheit, mit den tiefen Enttäuschungen und seelischen Wunden angemessen umzugehen. Den Worten sind jedoch auch Taten gefolgt. Österreichweit und auch in der Diözese Innsbruck wurde seit dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle eine schonungslose Aufklärungsarbeit zusammen mit den zivilen Rechtsinstanzen geleistet. Eine vom „System Kirche“ unabhängige Opferschutz-Kommission wurde eingesetzt. Deren Entscheidungen sind für uns kirchliche Verantwortungsträger verpflichtend. Ebenso wurde sofort mit der Durchführung konsequenter Präventivmaßnahmen in allen kirchlichen Bereichen und für alle kirchlichen Beschäftigten, für Kleriker und Laien begonnen.  Unmissverständlich gilt, dass die Kirche ein sicherer Ort für Kinder und Jugendliche sein muss! Bei Gewalt und sexualisierter Gewalt gegenüber Minderjährigen und allen besonders schutzbedürftigen Menschen gilt ein „Null-Toleranz-Prinzip“, das Papst Franziskus auch für die Kirche weltweit einfordert. Wir bekennen uns als Kirche in Tirol selbstverständlich zu diesem Weg und zu dieser Haltung. Es gilt, die viel zu lange gestützte „Mauer des Schweigens“ aufzubrechen, das Thema Gewalt und sexualisierte Gewalt zu enttabuisieren und eine Kultur des aufmerksamen Hinschauens zu schaffen. Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die lange vor meiner Amtszeit in der Diözese Innsbruck einen unmissverständlichen Weg der Transparenz und der Prävention eingeschlagen haben. Unter der Leitung von Bischof Manfred Scheuer und dem damaligen Generalvikar Jakob Bürgler wurden bereits im Jahr 2012 eine externe Ombudsstelle sowie eine Opferschutzkommission und eine Planstelle für Präventionsarbeit eingerichtet. Die Arbeit, die bisher in diesem Bereich geleistet wurde, kann sich wirklich sehen lassen und entspricht den höchsten professionellen Standards. Ebenso wichtig ist es, im Zuge der Aufklärung und schonungslosen Offenlegung von nicht zu entschuldigenden Vergehen auf Pauschalverurteilung und Generalverdacht zu verzichten. Die ursächliche Verbindung von Zölibat und Missbrauch ist unzulässig und im Namen der Vielen, die mit großer Hingabe für die Menschen eine zölibatäre Lebensform gewählt haben, in höchstem Maß unfair. Trotzdem war es möglich, dass Menschen mit pädosexuellen Neigungen sich unter dem Deckmantel des Zölibats den Zugang zu Minderjährigen erschlichen, diese gefährdet und durch Strafhandlungen lebenslanges, unsägliches Leid verursacht haben. Der Schutz unserer Kinder und Jugendlichen muss in Zukunft eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Dazu mahnen die jährlich von Tiroler Opferschutzeinrichtungen ausgewiesenen Zahlen, gerade auch die erschreckend hohen Zahlen familiäre Gewalt betreffend. Netzwerkbildungen von relevanten Systempartnern und Akteuren unterschiedlicher gesellschaftlicher Ebenen und Professionen sind weiterhin zu forcieren. Auch als Teil eines solchen gesamtgesellschaftlichen Netzwerkes wird sich die Kirche zukünftig konstruktiv einbringen. Nur genaues Hinsehen und der Wille zu Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit können den konkreten Menschen helfen. Wir als Kirche möchten mit großer Entschiedenheit diesen Weg gehen. 

Zitate mit Quellenangaben

Foto: Sigl/dibk.at