Weihnachtspredigt von Bischof Manfred Scheuer

Wortlaut der Weihnachtspredigt von Bischof Manfred Scheuer am 24. Dezember im Innsbrucker Dom St. Jakob.

Berühren und berühren lassen 

Die Weihnachtspredigt von Bischof Manfred Scheuer im Innsbrucker Dom St. Jakob 

 

Krippen sind in unserem Land weit verbreitet. Praktisch in jeder Kirche ist eine aufgestellt. Es gibt richtige Krippendörfer mit Krippenschulen. Nach Weihnachten ist das Kripperlschauen Brauch, meist nicht ohne Gloriawasser. In einem Haus wurden mir einmal 60 Krippen gezeigt, von einer Nussschale angefangen bis zu einer Landschaft, die ein großes Wohnzimmer füllte. Auf einer sehr schönen Krippe habe ich vor einigen Tagen gelesen: Bitte nicht berühren. Oft sind die Krippen auch durch Glas gesichert, manchmal sogar Alarm gesichert. Das hat seinen guten Grund, denn es gibt Vandalen und gestohlen wird auch.

Bitte nicht berühren: das könnte man aber auch missverstehen. Der Betrachter soll nicht berührt werden vom Geschehen, nicht in Berührung kommen mit den Hirten, nicht mit den Schafen, sich nicht berühren lassen von der Botschaft der Engel, nicht mit Maria und Josef in Dialog treten, er soll dem Frieden, der Freude und der Freiheit nicht zu nahe kommen, sich nicht dem Licht aussetzen und auch nicht dem Stern der Sehnsucht und der Orientierung. Bitte nicht berühren: heißt das, dass es verboten ist oder unmöglich ist, sich vom Kind in der Krippe anrühren und bewegen zu lassen?

Im Evangelium sind wir von Gott beim Namen gerufen, von Gott angeschaut, das Kind in der Krippe ist der Gott mit uns. Das ist für viele weit weg, eine Botschaft, die sie nicht berührt, nicht zu Herzen geht. Die Weihnachtsbotschaft sagt uns, dass in diesem Geschen in der Krippe Gott selbst sich mitteilt. Das kommt heute vielfach nicht mehr an. Das Weihnachtsevangelium von der Liebe verliert sich in einem romantischen Ghetto und ist nicht mehr in der Lage ist, die Abgründe auszuleuchten. Gerade in diesen Tagen leiden viele unter der Vereinsamung. Konsum und Geschenke decken nicht selten auch zu. Die Botschaft von der Freude und vom Frieden leidet unter einem Erfahrungsdefizit und wird von manchen als bloßes Wunschdenken hingestellt. Wie in Berührung kommen mit: Ich verkünde euch eine große Freude? Oder: Heute ist euch der Retter geboren? Es bleibt vielleicht noch die leere Sehnsucht und das naive Verlangen. In der Kindheit war es doch schön, aber Weihnachten ist eben doch nur mehr etwas für Kinder…

Die Botschaft von Bethlehem erreicht und berührt nicht. Das kann viele Gründe haben. Bei vielen geht die Sehnsucht, gehen die Träume woanders hin. Vielleicht ist die Botschaft auch schon verbraucht und müde geworden, übertönt vom Lärm und von der Geschäftigkeit, erdrückt vom Schweigen der unendlichen Räume, überlagert vom Gerümpel, vom Müll des Alltags. Vielleicht wird sie als zu schwach erlebt, das Leid auszuloten, das Dunkel aufzufangen, Licht in die Labyrinthe zu bringen. Es sind persönliche Verletzungen und Kränkungen oder auch die Strukturen der Kirche, die sich als Blockade auf dem Weg nach Bethlehem aufbauen.

Am 24. Dezember 2010 nachmittags war ich im Hospiz an der Kettenbrücke, dort wo Menschen zum Sterben hingehen. Ich habe das Weihnachtsevangelium verkündet, wir haben Stille Nacht gesungen. Dann hat der Seelsorger das Kind aus der Krippe genommen und es jedem gegeben, damit er die Krippenfigur berühre und anfasse. Manche waren zunächst zurückhaltend, aber dann war beim Anschauen und Greifen, beim Berühren und in den Händen halten etwas in den Gesichtern zu spüren. Es hat sich etwas verwandelt.

Weihnachten, Menschwerdung Gottes, das heißt zunächst: Gott lässt sich von uns berühren, IHM geht unser Leben zu Herzen. Ignatius von Loyola lässt in der „Betrachtung über die Menschwerdung“ „die Personen sehen, die einen und die anderen: und zuerst die auf dem Angesicht der Erde in so großer Verschiedenheit sowohl in Trachten wie in Gebärden: die einen weiß und andere schwarz; die einen in Frieden und andere in Krieg; die einen weinend und andere lachend; die einen gesund, andere krank; die einen geboren werdend und andere sterbend. Hören, was die Personen auf dem Angesicht der Erde sprechen, nämlich wie sie miteinander sprechen, wie sie schwören und lästern; sehen, was die Personen auf dem Angesicht der Erde tun, etwa verwunden, töten, zur Hölle gehen.“ - Und dass: „Wie die drei göttlichen Personen die ganze Fläche oder Rundung der ganzen Welt voller Menschen schauten und wie in ihrer Ewigkeit beschlossen wird, dass die zweite Person Mensch werde, um das Menschengeschlecht zu retten; und sie senden so, als die Fülle der Zeiten gekommen ist, den heiligen Engel Gabriel zu unserer Herrin (n. 262). „Lasst uns Erlösung des Menschengeschlechts bewirken“.

Weil Gott sich von uns berühren lässt, deshalb wird er Mensch. Wir dürfen uns zu Weihnachten berühren lassen von der Stille. Die Seele muss zur Ruhe kommen können, braucht Zeiten der Stille, braucht Freiräume, in denen wir uns nicht gehetzt und gedrängt fühlen, unter Druck und Zwang. - Eine positive Kultur der Einsamkeit ist Voraussetzung für jede schöpferische, geistige und geistliche Tätigkeit. „Es gibt keine freie Gesellschaft ohne Stille, ohne einen inneren und äußeren Bereich der Einsamkeit, in dem sich Freiheit entfalten kann.“ (Herbert Marcuse)

Wir dürfen uns berühren lassen von der Schönheit. Die Seele wird genährt durch einen Blick auf Blumen, ein Erleben der Natur, ein gutes Buch, eine berührende Symphonie, durch die innere Schönheit von Menschen. Einmal hast du etwas vom Geheimnis Gottes geahnt. Es gibt Sternstunden des Lebens, die wir nie vergessen. Da sind Taborstunden, Erfahrungen des Glücks, der Lebensfreude, der intensiven Beziehung, die zu uns gehören. Solche Erinnerungen sind Anker der Hoffnung; sie geben Zuversicht auch in dunklen Stunden und lassen nicht verzweifeln.

Wir dürfen uns berühren lassen von der Freundschaft mit Menschen, von der Freundschaft mit Gott. Das sind Erfahrungen von Güte, die tragen.

Wir dürfen uns berühren lassen von der Einfachheit des Geschehens in der Krippe, von der Armut und von der Not. „Ich muss ein Liebender werden, einer, dessen Herz der Erschütterung durch die Not des anderen offen steht. Dann finde ich meinen Nächsten, oder besser: dann werde ich von ihm gefunden.“ (Ratzinger, Jesus S.237)

 

Wer wir sind.... 

Manchmal sind wir wie die Hirten,

die in der Stille der Nacht auf die Geräusche hören,

die sie umgeben,

um aufzubrechen und der neuen Stimme zu folgen.

Manchmal sind wir wie die Weisen,

die den Himmel beobachten und einen Stern suchen.

der einganzes Leben verändern kann.

Manchmal sind wir wie die Wirte in Bethlehem,

belegt bis in den letzten Winkel,

und haben für das Entscheidende keinen Platz mehr.

Manchmal sind wir wie Maria und Josef

Auf der Suche nach einer Bleibe

nach dem Bleibenden 

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Weihnachtspredigt von Bischof Manfred Scheuer