Theologe Siebenrock: Märtyrer sind gewaltfrei und versöhnungsbereit

Angesichts von Selbstmordattentaten entwirft der Innsbrucker Dogmatiker Roman Siebenrock in theologischer Fachzeitschrift Kriterien für eine christlich verstandene Lebenshingabe.

Wahre Märtyrer sind gewaltfrei und versöhnungsbereit: Darauf hat der Innsbrucker Dogmatiker Roman A. Siebenrock vor dem Hintergrund zeitgenössischer Selbstmordattentate aufmerksam gemacht, die den Begriff Martyrium bzw. Märtyrer in Verruf geraten ließen. In seiner Kriteriologie für ein Martyrium aus christlich-theologischer Perspektive, veröffentlicht in der jüngsten Ausgabe der "Theologisch-Praktischer Quartalschrift" (ThPQ), schreibt Siebenrock, christliche Märtyrer seien jenseits jeglicher Bluttaten Glaubende, "die gewaltfrei bis zum Ende für Christus und die Würde der Menschen eintreten". Der Märtyrer wende nicht nur keine Gewalt an, "sondern wird durch die Gnade Christi dazu befähigt, den Kreislauf der Gewalt durch seine an Gott gerichtete Vergebungsbitte zu unterbrechen".
Christliches Martyrium sei die Vergegenwärtigung des Erlösertodes Jesu in der Geschichte, so der Theologe. Wenn dies als Kriterium aus dem Blick gerate, "dann wird das Kreuz als Zeichen des Heils selbst unkenntlich". Der "scheinbar ewig gültige Satz" aus dem Johannesevangelium - "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt" (Joh 15,13) - sei kritisch zu prüfen.
Siebenrock erinnerte an den traditionell ersten Märtyrer, den gesteinigten Diakon Stephanos. Nach biblischem Zeugnis wurde ihm mit bestellten Zeugen der Prozess wegen Mose- und Gotteslästerung gemacht. Von den Steinen getroffen habe er Gott sterbend für seine Mörder um Vergebung gebeten, wie der gekreuzigte Jesus selbst. "Der Märtyrer ist eine Person, die gewaltsam getötet wird oder an den Folgen der Haft und der Folter stirbt": Diese bleibend gültige Beschreibung des frühchristlichen Bischofs Polykarp (ca. 69-155) mindert laut Siebenrock nicht die Qualität des Bekenntnisses von Menschen, die nicht getötet worden sind, sondern unter Umständen ein Leben lang unter Haft und Verfolgung gelitten haben.
Wichtig ist nach den Worten des Dogmatikers, dass es sich um einen freien Glaubensakt handelt. "Das Martyrium ist ein Charisma, das nicht erzwungen, provoziert oder anderen durch Befehl und Ausbildung auferlegt werden darf." Es sei auch nicht zu suchen, sondern "so lange es geht zu vermeiden". Jede Deutung, derzufolge Gott Opfer benötige, sei zurückzuweisen.
Auch "politisches und soziales Martyrium"
Als "politisches und soziales Martyrium" wertet Siebenrock das Eintreten für Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und Würde des Menschen. Gerade die Kirchen in Lateinamerika erinnerten an diese implizite Konsequenz des Evangeliums. "Der Name von Erzbischof Oscar Romero steht stellvertretend für so viele." Dessen Ermordung stehe für "die Demaskierung der Mächte des Todes" und erinnere alle Gläubigen daran, "dass sich Christgläubige mit dem Status quo einer Welt, die im Argen liegt, nicht abfinden oder anfreunden können".
Dieser Glaubensakt könne auch von Nicht-Getauften als Eintreten für Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden vollzogen werden - sogar "in kritischer Wendung gegen die Christenheit selbst", wie Siebenrock anmerkte. Die Kirche könne Personen wie Mahatma Ghandi als Märtyrer dann anerkennen, "wenn sie das Kriterium der armen Liebe Gottes als Gewaltfreiheit und Vergebungsbereitschaft zu erkennen vermag und andere Gemeinschaften darin keine falsche Vereinnahmung sehen müssten".
Die in Linz erscheinende "Theologisch-Praktische Quartalschrift" widmet ihre neue Ausgabe dem Thema "Kultur des Sterbens". Behandelt werden darin u.a. das zuletzt auch die österreichische Politik beschäftigende Anliegen einer humanen Sterbebegleitung, eine christliche "Ars moriendi" sowie "Inszenierungen des Lebensendes im Film". www.thpq.at 

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