Kirche gibt dem Nichtgesagten Raum

Gedenken an Fluchthelferin Rosa Stallbaumer - Kunstwerk in der Kirche St. Peter und Paul in Heinfels bricht das Schweigen über das Schicksal von Fluchthelfenden und verfolgten Jüdinnen und Juden in der NS-Zeit in Sillian.

Viele Einwohnerinnen und Einwohner des Hochpustertals in Osttirol wissen es noch aus Erzählungen: In der NS-Zeit gab es einheimische Fluchthelfende, die unschuldig verfolgten Jüdinnen und Juden halfen, über die Grüne Grenze an den Südhänge des Tales nach Italien zu gelangen. Eine Podiumsdikussion beschäftigte sich Anfang November in Heinfels mit der Ostttiroler Fluchthelferin Rosa Stallbaumer. In diesem Rahmen wurde die Ausstellung "Protokoll des Schweigens" in der Kirche St. Peter und Paul eröffnet. Diese ist bis Samstag, 3. Dezember 2022, täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

 

Der Osttiroler Historiker und Leiter des Tiroler Fotoarchivs Martin Kofler hat die Ereignisse von damals erforscht und publiziert. Namentlich als Fluchthelfende nennt er: Hedwig Valyi, geb. Stallbaumer Josef Valyi, Anton Stallblaumer, Rosa Stallbaumer (ermordet im KZ Auschwitz 1942), Aloisia Bürgler, Michael Weitlaner, Gertraud Schneider, vulgo Perlunger, Georg Schneider, vulgo Perlunger. Beim Fluchtversuch von Wien über Sillian nach Italien 1942 verhaftet und in Maly Trostinez ermordet wurden die Jüdinnen Irene Sputz und Kornelia Sputz.

 

Nach eingehender Recherche zu Widerstand und Fluchthilfe in der NS-Zeit und Auseinandersetzung mit den Forschungsergebnissen von Martin Kofler dazu, nimmt die Künstlerin Annelies Senfter zusätzlich Bezug auf Zeitzeugenberichte, die der Journalist Michael Mayr in den 80er Jahren in Sillian aufgenommen hat. Darin kommen Verhörmethoden und Misshandlungen der Gestapo zur Sprache – vielmehr wird für die Künstlerin jedoch spürbar, was nicht mehr über die Zeit des NS-Regimes erinnert oder gesagt werden kann oder will.

 

Diese nach 80 Jahren in Sillian noch wahrnehmbare Kraft des Schweigens ist zentral in ihren beiden Arbeiten. Bezugnehmend auf erniedrigende Handlungen und Misshandlungen bei Verhören wählt sie für: Ein Garten im Wald und Protokoll des Schweigens erneut zwei Handlungen aus: Sie legt unzählige Pflanzenknollen des Dolden-Milchsterns (engl. Star of Betlehem), einer seltenen heimischen Wildpflanze, unter die Erdoberfläche und sie zerknüllt Papiere, um sie dann sorgfältig wieder zu glätten und in Form von Akten abzulegen.

 

So entstehen, analog zu den auf Schreibmaschine getippten und mit Durchschlagpapier vervielfältigten Verhörprotokollen aus den 40er Jahren, zu den 10 bekannten Fluchthelfenden und Opfern in Sillian neue Akten, die in ihrer Kraft und Fragilität das nicht mehr Aussprechbare erspüren lassen und aus dem, was jetzt verdeckt unter der Erdoberfläche liegt, erhofft sich die Künstlerin im folgenden Frühling an der Grünen Grenze zu Italien erste Blüten.

 

Bischof Hermann Glettler betont bei der Podiumsdiskussion im Rahmen der Eröffnung in Heinfels, dass das Gedenken an konkrete Personen, die innerhalb der herrschenden Tyrannei Widerstand geleistet haben, ein beredtes Zeugnis einer umfassenden und heilsamen Erinnerungskultur sei: „Das Ziel einer lebendigen Gedenkkultur, die sich einer Annäherung an das historische Geschehen verpflichtet fühlt, ist eine größere Wachsamkeit für das Heute.“

Die Ausstellung wird vom Seelsorgeraum Hochpustertal unter Dekan Anno Schulte-Herbrüggen ermöglicht.

 

Über die Künstlerin 

Annelies Senfter ist in Lienz geboren, lebt und arbeitet als bildende Künstlerin in Salzburg und Lienz. Das Werk von Annelies Senfter bewegt sich zwischen Fotografie, Recherche und poetischen Erforschungen. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien, darunter das Österreichische Staatsstipendium für künstlerische Fotografie (2018) oder den Tiroler Förderpreis für zeitgenössische Kunst (2021). Institutionelle Einzel- und Gruppenausstellungen hatte sie in den vergangenen Jahren unter anderem im Salzburger Kunstverein, Kabinett ("Coming to See", 2017) im Museum der Moderne, Salzburg Mönchsberg ("all natural. 100% Sammlungen", 2019), im Kunstpavillon und Neue Galerie, Innsbruck ("Convergence", 2020).

Annelies Senfter, Protokoll des Schweigens, 2022, 60 x 253 x 80 cm, Rauminstallation mit 10 Akten, Fotografie, Text