Gottes barmherzige Liebe zu bezeugen
Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler hat am Samstag zwei Männer zu Priestern geweiht: Stephen Dsouza und Johannes Seidel. Berufungen könnten oft überraschend verlaufen und keinem festen Plan folgen, sagte Glettler in seiner Predigt zu den beiden Neupriestern. Während Dsouza ursprünglich aus Indien stammt und nach einem Betriebswirtschaftsstudium den Ruf zum Priestertum verspürte, kehrte Seidel nach dem Tod seiner Frau und als Vater zweier erwachsener Töchter zu seinem ursprünglichen Berufungsweg zum Priester zurück. Beide Biografien zeigten, dass Gott immer einen Neuanfang schenke, "egal, ob Plan A, B oder C", meinte Bischof Hermann.
Berufungen seien auch keine Heldengeschichten, betonte der Bischof. So würden nicht die Perfekten zu Gott gerufen, sondern die Sünder. Priester bräuchten sich folglich auch nichts auf ihre Berufung einzubilden - "Es ist ein Geschenk - heilsam, überraschend, befreiend."
Der Innsbrucker Bischof ging auch auf die Ängste und Einwände im Zuge einer Berufung ein: So stelle sich immer wieder die Frage, ob man den vielen Anforderungen der heutigen Pastoral gerecht werden könne, auch die Rolle des Priesters scheine immer ungeklärter und unverständlicher zu sein. Hier helfe einerseits Gottes Zusage "Fürchte dich nicht, ich bin mit dir!", zudem sei das "Zeugnis meist fruchtbarer, wenn wir nicht aus der Position der Stärke heraus agieren", wies Glettler hin.
Auch angesichts von leeren Kirchenbänken und Kirchenaustritten stelle sich die Frage, was die Kirche dagegenhalten könne, so der Innsbrucker Diözesanbischof. "Die wundersame Methode, das geniale Konzept gibt es nicht. Die einzige Methode ist jene von Jesus selbst", die Glettler mit Freundschaft, Beziehung und Tischgemeinschaft beschrieb. Ähnliches tut laut dem Bischof bereits der Neupriester Dsouza, wenn er zum Stammtisch gehe und dort aus dem Leben der Menschen erfahre. So könne Vertrauen wachsen und es sei ein Zeichen, "von der Kirche ist jemand da, unaufgeregt, verlässlich und verständnisvoll", so Glettler.
Unterschiedliche Berufungswege
Auch wenn die beiden Weihekandidaten einen gemeinsamen Weg eingeschlagen haben, so unterscheidet sich ihr Berufungsweg wesentlich. Stephen Dsouza hat sich gegen Ende seines Betriebswirtschaftsstudiums entschlossen, Priester zu werden und kam deshalb aus Indien nach Innsbruck, um zu studieren. Johannes Seidel hat zwar schon früh den Wunsch verspürt, ein geistliches Leben zu führen, hat dann aber geheiratet. Mittlerweile Vater von zwei erwachsenen Töchtern und verwitwet, ist er seit 2021 Priesterseminarist in Innsbruck. Beide wurden gemeinsam am 9. März dieses Jahres zu Diakonen geweiht.
Eine Meldung von www.kathpress.at
Bilder der Weihe (Fotos: Sigl)
Predigt im Wortlaut – Videoübertragung zur Verfügung gestellt durch Tirol TV
Priester, Zeugen der Hoffnung
Predigt von Bischof Hermann Glettler zur Priesterweihe von Johannes Seidel und Stephen Dsouza am 21. September 2024, Dom zu Innsbruck. Lesung: Jer 1, 4-9; Evangelium: Mt 9, 9-13
Einleitung: Es war der 21. September 2017 – auf dem Weg zum Gespräch, bei dem mir mitgeteilt wurde, dass ich Bischof der Diözese Innsbruck werden soll, habe ich in der Kirche San Luigi dei Francesi einen Zwischenstopp eingelegt und das Gemälde „Die Berufung des Levi“ betrachtet. Dieses Gemälde von Caravaggio ist nicht nur ein überwältigendes Kunstwerk, sondern auch eine tiefe Reflexion über das Wesen von Berufung. Matthäus sitzt vor dem Haus, auf der Straße, vertieft in sein monetäres Geschäft – durch die überraschende Anwesenheit Jesu wird er aufgeschreckt. Unübersehbar ist der „schöpferische Fingerzeig“ Jesu, der noch durch den Fingerzeig des Petrus gedoppelt wird. Durch die persönliche Intervention Jesu läuft nicht mehr alles nach Plan. Jede Person in der Gruppe am Zoll fragt sich, was da eigentlich abgeht.
1. Berufung läuft meist nach Plan B, überraschend anders
Lieber Stephen, dein Plan A war das Studium der Betriebswirtschaft, das du in deiner Heimat Indien auch tatsächlich absolviert hast. Dann kam jedoch etwas dazwischen. Mit dem Besuch der Basilika Bom Jesu in Goa hat etwas Neues begonnen, Plan B sozusagen. Auf den Rat deines Onkels hin bist du 2017 nach Innsbruck aufgebrochen, um Theologie zu studieren, vorerst noch nicht im Priesterseminar. Deine Berufung ist gewachsen. Und wird weiter wachsen. Du hast auch Menschen gefunden, die dich ermutigt haben. Und du wirst nun andere begleiten.
In unserem Gespräch hast du erzählt, dass es vor allem der Blick Jesu war, der dich innerlich berührt hat – und immer noch begleitet. Wie im heutigen Evangelium: Jesus sah den Levi an. Vermutlich mehrmals, intensiv, zärtlich und herausfordernd – nicht nur einmalig, wie es im Evangelium beschrieben ist. Dem entscheidenden Blick Jesu sind vermutlich viele heilsame, vergebende, reinigende Blickkontakte voraus gegangen. Sich anschauen lassen – und ansprechbar werden, darum geht’s! Der Leipziger Soziologe hat in seinem berühmten Vortrag „Demokratie braucht Religion“ ganz eindrücklich davon gesprochen, dass wir aus dem „Modus der Aggression“, also der Distanz und inneren Abgeschlossenheit in einen „Modus der Ansprechbarkeit“ kommen müssen. Das gilt für unsere Zeit.
Lieber Johannes, du bist schon viel herumgekommen – nach einer langen aufregenden Lebensreise – wieder zu Plan A zurückgekehrt. Als junge Mann hattest du den Wunsch, Ordensmann oder Priester zu werden. Aber es kam anders. Plan B war die Gründung einer Familie, große Freude, aber brutal schmerzhaft dann der Tod deiner jungen Frau – und in Folge herausfordernd die väterliche Sorge für deine beiden Töchter. Ich habe dich vor vielen Jahren kennengelernt. Beeindruckt hat mich dein Dranbleiben an vielfältigen Freundschaften, gerade auch mit jenen, die es im Leben schwer haben. Ebenso positiv ist mir deine intensive Sorge aufgefallen, dass sich möglichst viele Menschen auf eine Freundschaft mit Jesus einlassen. Was du bezeugst, ist Gottes „kreative Barmherzigkeit“, weil mit ihr immer ein Neuanfang möglich ist – egal ob gemäß Plan A, B oder C.
2. Nicht die Perfekten, die Sünder werden von Jesus gerufen
Ganz deutlich wird uns heute vor Augen gestellt: Berufung ist keine Heldengeschichte. Gott ruft die Sünder, nicht die Perfekten! Auf unsere Berufung brauchen wir uns nichts einzubilden. Es ist ein Geschenk – heilsam, überraschend, befreiend. Den Zöllner Levi stellen wir uns mit Recht vor als jemanden, der in seinen Geschäften gefangen war – ertragreich war für ihn der Deal mit der römischen Besatzungsmacht, in deren Auftrag er Zoll und Steuern einhob. Ein Gefangener seiner hermetisch abgeschlossenen Welt. Jesus holt ihn aus dieser Blase und gefährlichen Sonderwelt heraus. Wie sehr brauchen auch wir diese Provokation Jesu, dass wir uns nicht abschotten mit „unseren Geschäften“ und uns heimisch machen „exklusiv“ im Kreis der Gleichgesinnten – womöglich noch urteilend über „die Anderen“. Ein ehrliches Eingeständnis der eigenen Hilfsbedürftigkeit, ja wenn nötig des eigenen Versagens macht uns menschlicher, barmherziger, verständnisvoller - und damit als Priester auch glaubwürdiger.
Papst Franziskus hat nicht zufällig für sein Pontifikat das lateinische Leitwort gewählt „eligendo atque miserando“. Dieses Motto ist schwer zu übersetzen. Aufgrund seiner Barmherzigkeit hat Gott uns/euch/mich berufen – nicht weil wir so toll, so begabt, so gebildet, so kommunikativ, so fromm, so multi-kompetent, so perfekt wären! Die Einwände des Propheten Jeremia, dessen Berufung wir in der Lesung gehört haben, sind uns vertraut: Mein Gott, ich kann doch nicht reden! Heutiger formuliert: Ich kann den vielen Anforderungen heutiger Pastoral nicht gerecht werden. Und die Rolle des Priesters scheint auch immer ungeklärter und unverständlicher zu sein. Die Antwort Gottes ist aber mindestens so stark wie alle Unsicherheiten und Ängste zusammen: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir!“ Das tröstet und trägt. Und außerdem ist unser Zeugnis meist fruchtbarer, wenn wir nicht aus der Position der Stärke heraus agieren.
3. Berufen und geweiht, um das Evangelium zu verkünden
Wie können wir heute Menschen für Christus gewinnen? Das Titelbild der TT vom vergangenen Donnerstag war ein herber Fingerzeig – Kirchenbänke leeren sich. Auch wenn die Zeitung drastisch überspitzt, was halten wir dagegen? Die wundersame Methode, das geniale Konzept gibt es nicht. Die einzige Methode ist jene von Jesus selbst. Er hat durch Beziehung evangelisiert. Evangelisation ist immer Begegnung, Aufbau von Beziehung und Freundschaft. Billiger geht es nicht. Und was soll der Priester – bei all dem, was ohnehin schon an pastoraler Arbeit zu tun ist? Menschen mitnehmen und befähigen, damit sie Tischgemeinschaft mit ihren Nächsten, Bekannten und Nachbarn bilden. Priester sind keine Alleinunterhalter. Neue Weg-Gemeinschaften braucht es, kleine Gruppen von Gläubigen, die sich um andere kümmern.
Darf ich ein Beispiel erzählen? An jedem Donnerstag Stammtisch in Fritzens. Unter den vertrauten Gästen im Fritzener Hof ist Stephen Dsouza. Er hört zu – und erfährt immer mehr Persönliches aus dem Leben der Menschen. Viel Freude, aber auch Sorgen und Momente von Einsamkeit werden mit ihm geteilt. Vertrauen wächst. Von der Kirche ist jemand da, unaufgeregt, verlässlich und verständnisvoll. Ähnliches haben wir heute im Evangelium gehört: Jesus zu Gast beim frisch bekehrten Levi im Kreis seiner Kollegen – am Tisch mit denen, die keinen guten Stand in der Gesellschaft hatten. Die Empörung war groß. Davon unberührt erklärt Jesus, dass er nicht gekommen sei, die Sünder zu rufen, nicht die Selbst-Gerechten. Starke Ansage!
Sich zum Priester weihen lassen, bedeutet, sich in die Hände Gottes zu begeben, sich fallen zu lassen und zu vertrauen, dass er uns alle brauchen kann – mit unseren Stärken und Eigenheiten. Wir können Kirche heute nicht machen, wir können uns nur zur Verfügung stellen. Liebe Weihekandidaten, Ihr seid Zeugen der Hoffnung, weil ihr nicht euer eigenes Wohlergehen sucht – in einer Zeit verkrampfter Sorge um den Erhalt des vertrauten Wohlstands. Aber: Das Gegenteil wäre nötig! Gerade jetzt braucht es Menschen, die Orientierung geben. Gerade jetzt braucht es Menschen, die trösten können – und behutsam neue Horizonte aufzeigen. Gerade jetzt braucht es Menschen, die Jesus in seiner Hirtensorge darstellen, seine Frohbotschaft verkünden und seine erbarmende Liebe im Sakrament der Versöhnung den Menschen zusprechen.
Zusammenfassung: Liebe Weihekandidaten, es ist für uns alle eine Ermutigung, euch heute weihen zu dürfen. Gemeinsam schauen wir auf Christus und lassen uns von ihm anblicken, formen und senden. Das ist der Kern unserer christlichen Berufung – und die Basis für unseren priesterlichen Dienst, den ihr mit Zuversicht ausüben werdet.
Hier wäre ein Youtube video
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Kurzportraits der Neupriester
Obwohl in seiner Familie Religion einen großen Stellenwert hatte, nahm Stephen Dsouza in seiner Jugend „den Glauben nicht mehr so ernst“. Sonntags besuchte er die Kirche eher, „weil es für meine Großmutter wichtig war“. Nach der Matura 2009 begann der aus Indien stammende Weihekandidat ein Betriebswirtschaftsstudium.
Gegen Ende seines Studiums besuchte er die Basilika Bom Jesu in Goa – „und dieser Besuch hat mich irgendwie innerlich berührt“. Der Glaube und das Gebet gewannen einen neuen Stellenwert für ihn. Auf den Rat seines Onkels hin begann er in Innsbruck 2017 Theologie zu studieren, ohne vorerst ins Priesterseminar einzutreten. „Erst als ich mir meiner Berufung zum Priester etwas sicherer war, bin ich ins Priesterseminar eingetreten,“ so der 33-Jährige. Derzeit macht Stephen Dsouza sein Pastoraljahr in Fritzens.
„Ich habe in meinem eigenen Leben gesehen, welche Kraft, Hoffnung und Freude mir der Glaube gegeben hat. Ich möchte versuchen, diese Liebe, Hoffnung und Freude, die ich von Jesus Christus empfangen habe, selbst zu leben und den Menschen weiterzugeben. Dabei möchte ich mich besonders an diejenigen wenden, die von der Kirche nichts mehr wissen wollen oder noch nie mit ihr in Berührung gekommen sind. Ich möchte den Menschen die Botschaft Jesu verkünden und versuchen, sie durch Verkündigung und gelebtes Wort näher zu Gott zu führen.“
Johannes Seidel
Im Jahr 1965 geboren, wuchs Johannes Seidel als zweites von drei Kindern in Niederhessen in Deutschland auf, nahe der ehemaligen innerdeutschen Grenze. In einer gemischtkonfessionellen Familie wurde er evangelisch getauft. “Durch eine wachsende Beziehung zur Heiligen Messe und der Kirche wurde ich mit 15 Jahren katholisch”, erzählt er. Wenig später zog er zur weiteren Schulausbildung nach Fulda und wohnte zwei Jahre im Konvikt. In dieser Zeit reiste er mit den Priesterseminaristen nach Rom und konnte Papst Johannes Paul II begegnen.
Nach seinem Abitur verbrachte er ein Jahr bei den Passionisten in der Oberpfalz, bevor er in München mit dem Studium der Philosophie und etwas später auch der Theologie begann. Vermittelt durch einen Jesuiten, mit dem er zur Schule gegangen ist, arbeitete Seidel in der Obdachlosenhilfe des Benedikt-Labre-Vereins mit: “Das war für viele Jahre ein Anker in meinem Leben.” Geprägt hat ihn ebenfalls ein Auslandsjahr in Paris: “Ich hatte ein Zimmer in einer Kirche neben der Orgel und habe erfahren, wie es ist, als Christen in der Minderheit inmitten einer kirchenfernen Gesellschaft zu leben.” Nach seinem Studium arbeitete er in einer Unternehmensberatung.
“Ein Wendepunkt in meinem Leben waren Exerzitien bei einem Priester aus Kerala, die schließlich dazu führten, dass ich für die nächsten 13 Jahre im für Neuevangelisierung und Alphakurse tätig war, dazu fünf Jahre für Pfarrerneuerung bei Pastoralinnovation in Graz”, so Seidel. In dieser Zeit wuchs seine Berufung zum Priestertum: “Ich bin verwitwet und habe zwei Töchter, die inzwischen beide erwachsen sind, so dass ich einen konkreten neuen Schritt machen konnte.” Seit Herbst 2021 ist er Priesterseminarist in Innsbruck. Zunächst als Pfarrhelfer in Lienz, ist er seit 2022 Pastoralpraktikant in Fließ. “Im letzten Herbst war ich für drei Monate in Indien, wo ich die Nöte der Menschen, aber auch ihre Freude und ihren ansteckenden Glauben kennenlernen durfte.”
Die beiden Neupriester - Fotos: Sigl