Bischof Scheuer: Humaner mit Leid und Opfern umgehen

Die Kirche muss in der akuten Missbrauchskrise zuallererst auf die Opfer schauen und humaner als früher mit ihrem Leid umgehen. Das betont Bischof Manfred Scheuer in einem Interview für die "Tiroler Tageszeitung".

(KAP) Die Kirche muss in der akuten Missbrauchskrise zuallererst auf die Opfer schauen und humaner als früher mit ihrem Leid umgehen. Erst an zweiter Stelle stünden durchaus wichtige Diskussionen um Reformen und Erneuerung in der
Kirche: Das hat der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer in einem Interview für die "Tiroler Tageszeitung" (Dienstag) betont.  

Wörtlich sagte Scheuer: "Dass man über den Zölibat als Lebensform reden muss, auch über die Sexualmoral, das halte ich auch für notwendig. Aber ich halte es nicht für einen angemessenen Umgang mit Opfern, wenn man deren Erfahrungen instrumentalisiert, um den Zölibat abzuschaffen."

Am dringlichsten sei, "dass bei den Opfer so etwas wie Heilung oder auch Vergebung, Versöhnung geschehen kann". Scheuer: "Es ist einmal wichtig, dass die Opfer sich mitteilen können, dass sie gehört und wahrgenommen werden, dass ihnen auch Hilfe zur Seite gestellt wird, im therapeutischen wie im rechtlichen Bereich." Das sei in der Vergangenheit viel zu wenig passiert.

Heilung oder auch Versöhnung lasse sich aber sicherlich nicht erzwingen, auch nicht mit Aufklärung, so Scheuer: "Das Modell 'Krimi' bringt den Opfern nichts. Am Schluss ist zwar immer klar, wer der Täter ist, aber das Opfer bleibt trotzdem tot." Die größere Herausforderung als die Frage der kirchlichen Erneuerung sei deshalb, "ob denn da wieder etwas zum Leben erweckt werden kann, was im Menschen kaputt gegangen ist".

Am wichtigsten sei ihm deshalb, "dass wir in der Kirche und in der Gesellschaft humaner mit Leid und Opfern umgehen, dass weniger ausgegrenzt wird, dass es eine Hinwendung zu benachteiligten Gruppen gibt und dass so etwas wie die Kraft der Hoffnung noch stärker da ist".

Er glaube nicht, so der Bischof, "dass man die Missbrauchserfahrungen in kirchlichen Einrichtungen verzwecken kann im Hinblick darauf, dass die Kirche erneuert wird oder die eine oder andere Reform durchgesetzt wird".

Im Hinblick auf den Zölibat sei zu fragen, "ob es Menschen mit pädophilen Neigungen zu bestimmten Berufen hinzieht. Es ist auch die Ausbildung zu hinterfragen, die psychische Reifung von Kandidaten - da haben wir uns Gedanken zu machen."

In Bereichen wie "viri probati", wiederverheiratete Geschiedene oder auch bei der Rolle der Frau bestehe ebenfalls Diskussions-, manchmal sogar Handlungsbedarf. "Aber ich würde mir die Erneuerung der Kirche auch in Tirol nicht von diesen Veränderungen erhoffen", so Scheuer wörtlich.

Die gegenwärtige Krise habe sich laut Bischof Scheuer über Jahrzehnte angestaut: "Es kommt jetzt viel hoch an Kränkungen und Erfahrungen, wie die Leute gerade in Tirol die Kirche oder kirchliche Amtsträger erlebt haben." Dabei gehe es nicht nur um Missbrauch, sondern auch um andere Bereiche, beispielsweise "wie nahe wir mit unserer Sexualmoral an den Erfahrungen der Menschen sind oder nicht". Die aktuelle Situation mache deutlich, dass es im
Bereich der Sexualität klar Normen und Tabus braucht, zugleich müsse man sich aber fragen, "wie es mit der Lebbarkeit von Lebensmodellen auch nach Scheitern ausschaut. Da hat es in den letzten Jahren einen Stau gegeben", so Scheuer. 

Zur Frage nach finanzielle Forderungen von Betroffenen oder Zuwendungen an Opfer meinte der Innsbrucker Bischof, dass es zunächst entscheidend sei, Betroffenen Hilfestellung zu leisten und auch Begleitmaßnahmen im therapeutischen Bereich anzubieten. Die personale Verantwortung trügen in erster Linie die Täter selbst. Was Schadenersatzansprüche anbelangt, sei einiges im zivilrechtlichen Bereich noch einer Klärung zuzuführen.

Auf den Image- und Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche angesprochen, sagte der Bischof, dass der "große Befreiungsschlag, der das alles unvergessen macht", nicht gelingen werde. Scheuer: "Wir werden, und das sage ich durchaus bewusst, ärmer." Er verstehe das im finanziellen Sinn wie auch in der Hinsicht, "dass der öffentliche Einfluss der Kirche schwächer wird".

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