Bischof Glettler: Gott versteckt sich nicht

In einer "kleinen Besetzung", dennoch mit bis zu 400 Mitfeiernden wurde heuer das Fronleichnamsfest mit einem Gottesdienst im Dom zu St. Jakob und einer Prozession zu Annasäule begangen.

In seiner Predigt verwies Bischof Hermann Glettler am Fronleichnamstag auf das Dasein Gottes. "Wir verstecken nicht, was uns von Gott anvertraut wurde: Seht, Jesus, den Herrn, das Lamm Gottes, so klein macht sich Gott, um sich uns und allen Menschen zu schenken. Wir wollen verständlich auf ihn hinweisen - Ihn zeigen", sagte Glettler.

Gott würde jetzt jene aufsuchen, die durch die Krise in eine schwere Depression gerutscht sind oder mit einer anderen Last zu kämpfen haben. Gott verstecke sich nicht im frommen Ritual, nicht in der Kirche, nicht in theologischen Spekulationen. Er sei  ein Gott des Lebens, der leidenschaftlich unterwegs ist, so Glettler.

Der Bischof mahnte, wir dürften uns nicht voreinander verstecken. "Die rigorosen Maßnahmen waren wichtig und - wie die ersten repräsentativen Studien auch zeigen - notwendig und richtig. Aber es darf daraus nicht eine Lebenshaltung werden. Wir müssen uns einander wieder zeigen." Zum Zeigen des Menschen gehöre auch das Wissen um die eigene Fehlerhaftigkeit. Niemand sei perfekt und über alle Grenzen belastbar. Außerdem kenne jeder von sich, was es heiße, wenn plötzlich Lieblosigkeit, Zorn und ähnliches den Ton angeben. Das Paradigma der Unversöhnlichkeit dürfe nicht den Umgang prägen - weder im Privaten, noch im Politischen.

Glettler machte das u.a. an Begrüßungsformen anschaulich. Es sei wunderschön zu sehen, dass in der Akutphase der Krise anstelle des Händeschüttelns plötzlich andere Formen des Grüßens populär geworden sind.

Niederknien hat Kraft 

Der Bischof kam in seiner Predigt auch auf die "brutale" Ermordung von George Floyd in Minneapolis und die Protestwellen zu sprechen. "Wir haben schockierende Begleitbilder von Verwüstungen auf der Straße gesehen, aber auch die wesentlich stärkeren Bilder, wo sich Polizisten vor den Demonstranten niedergenkniet haben. Sie wurden dafür mit Applaus und Umarmungen bedankt. Diese Bilder werden bleiben, weil sie einzigartig sind. Die wohl stärkste Geste ist das Niederknien."

Niederknien habe Kraft; sich klein machen, um auf die Ohnmacht von Menschen hinzuweisen, die in ihrer Würde missachtet werden. "Heute knien wir uns bewusst nieder. Wir knien uns nieder vor Jesus, dem allmächtigen und allbarmherzigen Gott. Wir knien uns nieder vor Jesus, der sich nicht geschämt hat, den Jüngern und damit auch jeden von uns die Füße zu waschen. Wir knien uns nieder vor dem, der gekommen ist, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen. Wir knien uns nieder vor dem lebendigen Gott, der auch heute noch in einfacher und wirksamer Weise mitten unter uns ist. Wir knien uns nieder vor dem Menschgewordenen und damit auch vor der Würde jedes Menschen, die unantastbar ist. Wir knien uns nieder vor Gott, der auch heute noch seine Wunder tut."

 

Die Predigt im Gesamttext 

Gott versteckt sich nicht

Predigt von Bischof Hermann Glettler zu Fronleichnam, Maria-Theresien-Straße Innsbruck, 10.6.2020 

Einleitung: Die gezwungenermaßen einfachere Fronleichnamsprozession ist eine Chance – bewusster dabei zu sein, weniger Aufwand, weniger Dekor, mehr geistliches Da-Sein für die Stadt, für das Land, für die Menschen. Wir machen keine Macht-Demo, keinen Folklore-Schaulauf, so wertvoll uns die Teilnahme aller Traditionsverbände, der Musikkapellen, Studentenverbindungen sonst ist. Also, was tun wir hier im öffentlichen Raum unserer Stadt?

  1. 1.       Bewusstes Hinausgehen

Zum Glück ist es möglich geworden, dass diese sorgfältige Form öffentlichen Feierns wieder stattfinden kann. Das Fronleichnmas-Fest ist ein bewusstes Hinausgehen auf die zentralen Plätze eines Ortes, einer Stadt, um den eigentlichen Schatz des Glaubens allen zu zeigen. Wir tun dies mit einer Monstranz, einem goldenen Zeige-Gefäß, in dem sich das kleine, fast unscheinbare Stück Brot befindet. Es wurde gesegnet und gewandelt in der Feier der Heiligen Messe. Es ist Jesus selbst, den wir allen Menschen zeigen wollen. Wir verstecken nicht, was uns von Gott anvertraut wurde: Seht, Jesus, den Herrn, das Lamm Gottes! Seht, so klein macht sich Gott, um sich uns und allen Menschen zu schenken! Wir wollen verständlich auf ihn hinweisen – Ihn zeigen.

Wir gehen bewusst hinaus ins Öffentliche unseres Lebens, weil Jesus selbst dies unablässig getan hat. Er hat Menschen gesucht, sich einladen lassen, unaufhörlich Gemeinschaft gestiftet – über alle üblichen Barrieren hinweg. Gott versteckt sich nicht im Tempel. Mit Jesus hat er sich auf den Weg gemacht, um in erster Linie denen zu begegnen, die sich verstecken mussten, weil sie sich auf Grund ihres Versagens geschämt haben. Er hat zuerst jene aufgesucht, die von anderen in die Isolation gedrängt wurden. Er hat Gemeinschaft gestiftet, die es in dieser Form nicht gegeben hat – durch Versöhnung, durch Vergebung. Er tut dies auch heute. Vor allem würde er jetzt jene aufsuchen, die durch die Krise in eine schwere Depression gerutscht sind oder mit einer anderen Last zu kämpfen haben. Gott versteckt sich nicht im frommen Ritual, nicht in der Kirche, nicht in unseren theologischen Spekulationen. Er ist ein Gott des Lebens, der leidenschaftlich unterwegs ist.

Wir gehen bewusst hinaus, um uns als Menschen zu zeigen. Wir dürfen uns nicht voreinander verstecken. Die rigorosen Maßnahmen waren wichtig und – wie die ersten repräsentativen Studien auch zeigen – notwendig und richtig. Aber es darf daraus nicht eine Lebenshaltung werden. Wir müssen uns einander wieder zeigen. Zum Zeigen des Menschen gehört auch das Wissen um unsere Fehlerhaftigkeit. Niemand von uns ist perfekt und über alle Grenzen belastbar. Außerdem kennt jeder von sich, was es heißt, wenn plötzlich Lieblosigkeit, Zorn und ähnliches den Ton angeben. Menschliche Fehlerkultur heißt, dass es notwendig ist, bei Bedarf sich zu entschuldigen und, dass es ebenso notwendig ist, Entschuldigungen anzunehmen, wenn sie glaubwürdig sind. Das Paradigma der Unversöhnlichkeit darf nicht unseren Umgang prägen – weder im Privaten, noch im Politischen.

  1. 2.       Bewusstes Grüßen

Es war wunderschön zu sehen, dass in der Akutphase der Krise anstelle des Händeschüttelns plötzlich andere Formen des Grüßens populär geworden sind. An erster Stelle das Verneigen mit gefalteten Händen – verbunden mit dem aus dem Indischen stammenden Gruß: Namaste! Eine mittlerweile sehr populäre Geste, die einen schönen Respekt ausdrückt. Es bedeutet wörtlich übersetzt „Verbeugung zu dir“, zusammengesetzt von náma (Verbeugung) und –aste (zu dir). Aufmerksamkeit für die Begegnung, weil Gott, der in mir Wohnung genommen hat, sich vor dem Nächsten verbeugt, der auch von Gott bewohnt ist. Es ist in jedem Fall eine Geste der Sammlung. Die aneinandergelegten Handflächen sind Zeichen für ein Sich-Zusammen-Nehmen, weg von der Zerstreuung. Die gefalteten Hände setzen auf der Brust in der Nähe des Herzens auf und weisen vom Betenden weg – auf das Du.

Die gefalteten Hände sind eine Gebetshaltung, die ein Sammeln des Herzens und all seiner Kräfte signalisiert. Sehr tröstlich, denn das Entscheidende hängt nicht von unserer eigenen Leistung ab. Es war ursprünglich die Handhaltung, mit der bei der mittelalterlichen Lehensübergabe der Eid gesprochen wurde – mit den gefalteten Händen in den Händen des Lehensherren. Es wird damit gesagt, dass das Wesentliche, das wovon wir eigentlich leben, immer ein Geschenk ist. Ein Lehen. Das wird zumindest so dargestellt, was nicht bedeutet, dass sich in dieser uralten Praxis nicht auch viel an Unterdrückung von Untertanen versteckt hat. Dieser Ritus findet sich noch bei der Priesterweihe. Es berührt mich jedes Mal, wenn der Weihekandidat in dieser Weise seine gefalteten Hände in jene des Bischofs legt. Eine Geste des Vertrauens, die zur Verantwortung verpflichtet.

Als Zeichen einer wohlwollenden, erfreulichen Begegnung hat sich in der Corona-Zeit auch der Ellbogen-Gruß durchgesetzt. Manchmal mit höchster spielerischer Eleganz, manchmal ein etwas härteres Andocken. Diese Ambivalenz ist auch selbstredend. Wir kennen ja durchaus die Ellbogen-Technik unter anderen Vorzeichen. Sich durchsetzen und dominieren auf Teufel komm raus. Der Stärkere hat Vorrang. Diese Art des Grüßens kann uns zumindest zeigen, dass es auch anders ginge – ja, Konkurrenz wird es immer geben und auch brauchen, aber Vorsicht, wo wir uns selbst und einander Schaden zufügen. Es ist kein Ruhmesblatt, jemanden zu übervorteilen und zu verdrängen. Gerade jetzt in der zweiten Phase der Corona-Bekämpfung braucht mehr verlässlichen Händedruck als Ellbogen. In unserer gereizten Gesellschaft ist das Miteinander immer gefährdet.

  1. 3.       Bewusstes Niederknien

Anlässlich der brutalen Ermordung von George Floyd in Minneapolis ist eine weltweite Protestwelle entstanden. Als Reaktion auf das unfassbare Geschehen, in dem durch Polizeigewalt einem am Boden liegenden Afroamerikaner mit dem Knie im Nacken der Lebensatem abgewürgt wurde, gingen in fast allen US-Bundesstaaten Massen auf die Straßen. Auch hier bei uns gab es beeindruckende Bewegungen von Protest und Solidarität. Wir haben schockierende Begleitbilder von Verwüstungen auf der Straße gesehen, aber auch die wesentlich stärkeren Bilder, wo sich Polizisten vor den Demonstranten niedergenkniet haben. Sie wurden dafür mit Applaus und Umarmungen bedankt. Diese Bilder werden bleiben, weil sie einzigartig sind. Die wohl stärkste Geste ist das Niederknien.

Es geht in seiner jetzt verstandenen Symbolik auf den American-Football Quaterback-Player Colin Kaepernick zurück, der sich 2016 bei einem entscheidenden Spiel während des Abspielens der amerikanischen Hymne niederkniete. Ca. ein Jahr später wurde diese Geste, die als Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt von vielen Spielern übernommen wurde, von Präsident Trump in brutaler Weise verurteilt. Er beschimpfte Kaepernick und alle anderen als „Hurensöhne“, die gefälligst der Nation als wahre Heroes ihre Ehre erweisen sollten. Die leider ungebremst weitergehende Unversöhnlichkeit ist hinlänglich bekannt. Niederknien hat Kraft. Sich klein machen, um auf die Ohnmacht von Menschen hinzuweisen, die in ihrer Würde missachtet werden.

Heute knien wir uns bewusst nieder. Wir knien uns nieder vor Jesus, dem allmächtigen und allbarmherzigen Gott. Wir knien uns nieder vor Jesus, der sich nicht geschämt hat, den Jüngern und damit auch jeden von uns die Füße zu waschen. Wir knien uns nieder vor dem, der gekommen ist, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen. Wir knien uns nieder vor dem lebendigen Gott, der auch heute noch in einfacher und wirksamer Weise mitten unter uns ist. Wir knien uns nieder vor dem Menschgewordenen und damit auch vor der Würde jedes Menschen, die unantastbar ist. Wir knien uns nieder vor Gott, der auch heute noch seine Wunder tut.

Aufgrund der Coronabestimmungen wurde die Fronleichnamsprozession vom Innsbrucker Dom im kleineren Rahmen begangen. Im nächsten Jahr soll es wiede die Landesprozession werden. Bild: dibk/Gstaltmeyr