Befreiende „News“ – stufenweise Auferstehung

Die Osterpredigt von Bischof Hermann Glettler beim Radiogottesdienst am 12. April 2020 im Wortlaut und als PDF zum Download.

Wir hängen an den News. Die Corona-Krise hat uns in eine Bedrängnis geführt, in der „erlösende und befreiende Botschaften“ mit großer Sehnsucht erwartet werden. Die neuesten Entwicklungen der Epidemie-Kurve, die damit zusammenhängenden Verschärfungen oder Erleichterungen der Maßnahmen, u.v.m. wurden „verkündet“. Ja, der Begriff wurde bewusst gewählt, auch die mediale Inszenierung der Medienauftritte passte dazu. Wenn es um Überzeugungsarbeit für die ganze Bevölkerung geht, reicht Information und Erklärung nicht aus, es wird „verkündet“. Religion muss herhalten. Sehr kreativ war der Begriff von einer „stufenweisen Auferstehung“. Ich möchte noch darauf zurückkommen. Zuvor möchte ich jedoch fragen, worin die befreienden „österlichen News“ bestehen? Johannes und Petrus liefen zum Grab. Maria von Magdala sogar mehrmals. Schauen wir hin!

Schluss mit dem unerlösten Wettlauf zum Grab 

Die Jünger wurden durch die aufgebrachten News der Frauen, die schon beim Grab waren, aus ihrer Selbstisolation gelockt. Sie machen sich auf den Weg. Sie laufen. Eigenartigerweise wird das unterschiedliche Tempo der laufenden Jünger beschrieben – der eine schneller, der andere langsamer. Andeutung einer Rivalität? Ist das nicht vollkommen nebensächlich? Johannes lief schneller, unbeschwerter, getragen von einer ungetrübten Liebe. Petrus kommt später, betritt aber als erster das Grab. Hielt ihn sein Versagen zurück, seine Enttäuschung? Wir alle haben unterschiedliche Tempi. Viele sind ermüdet durch Schicksalsschläge. Andere sind innerlich belastet, Kränkungen und unversöhnte Lebenserfahrungen halten Menschen zurück. Aber warum laufen wir überhaupt? Ist es eine Restmenge Sehnsucht, die uns antreibt? Oder brauchen wir laufend Neues? Die beiden Jünger kehrten vorerst ohne Erkenntnis vom leeren Grab zurück.

Ist denn Ostern nicht die befreiende Botschaft, dass der Auferstandene uns entgegen läuft? Also genau die Umkehrung! Er kennt doch unser oftmals verkrampftes, ermüdendes Laufen. Am Ende nur Erschöpfung. Mit seinem Entgegenkommen unterbricht er unser Laufen zum Grab. Das Leben hat gesiegt! Ostern könnte uns durch die überraschende Begegnung mit dem Auferstandenen befähigen, den zerstörerischen Wettlauf unserer Zeit zu beenden – den Wettkampf um das Immer-Mehr, Immer-Schneller, Immer-Besser, Immer-Erfolgreicher. Genau diese Wettläufe bringen doch uns und die ohnehin schon verwundete Schöpfung ins Grab. Sollten wir nicht vielmehr in einen Wettlauf einsteigen, um die besten Ideen und kreativsten Lösungen für eine zukunftsfitte Gesellschaft – genügend soziale und menschliche Herausforderungen warten auf uns. Oder einen österlichen Wettlauf starten zur Achtung der Würde aller Menschen – unabhängig davon, ob sie fit, tüchtig und willensstark oder doch beladen, behindert, fremd, belastet, krank und verloren sind! 

Wir sind befreit vom sinnlosen Laufen im Kreis 

Maria von Magdala, die Aktivste am Ostermorgen lief im Kreis, völlig außer sich, sehnsuchtsvoll liebend, aber untröstlich. Sie kam als erste zum Grab und lief in Panik zurück zu den Jüngern. Vermutlich folgte sie diesen wieder zum Grab und harrte dort weinend aus. Mit Tränen in den Augen sieht sie in der Grabkammer zwei Engel, die sie fragen: Warum weinst Du? Sie gibt die bekannte Auskunft – emotional ganz fixiert auf den Gedanken, dass Jesus weggebracht wurde. Danach wandte sie sich zum ersten Mal um – und sieht Jesus dastehen, der sie ebenso fragt: Warum weinst Du? Sie meint es sei der Gärtner, der den Leichnam weggebracht hätte. Als sie der Unbekannte mit „Maria!“ anspricht, dreht sie sich nochmals um. Wohin jetzt? Das paradoxe Bild mit den mehrfachen Drehungen beschäftigt mich. Drehen wir uns denn nicht oft sinnlos im Kreis? Der wirkliche Dreh, der österliche Turn-Around kommt, als der Auferstandene Maria von Magdala persönlich ansprach. Sie brauchte viele Um-Kehrungen, um Jesus als lebendigen Herrn wahrzunehmen. Wir auch.

Der Auferstandene kennt uns bei unserem Namen und spricht uns an. Er weiß, was uns beschäftigt und unzählige Male in einen Wirbel hineinreißt. Jeder Streit, jede Lüge, jede Anwendung von Gewalt löst einen teuflischen Wirbel aus. Ostern heißt vom Lebendigen angesprochen zu werden. Auch wenn wir ihn oft mit Tränen in den Augen oder mit einer inneren Wut über gewisse Ereignisse kaum erkennen. Der Auferstandene befreit uns mit seiner persönlichen Zuwendung vom gefährlichen Kreisen um die eigenen Befindlichkeiten, Selbstgefälligkeiten und unzähligen Egoismen. Er erlöst uns vom sinnlosen Kreisen um weltfremde Träumereien. Ostern heißt die Welt bejahen. Der Glaube an die Auferstehung gibt uns eine neue Standfestigkeit, eine neue Mitte innerhalb der vielen, oft mühsamen Kehrtwendungen und Drehungen des Lebens. In der Mitte des größten Wirbels hören wir seine Stimme. Wenden wir uns ihm zu, ihm dem lebendigen Christus! Diese persönliche Zuwendung ist weit mehr als ein Stimmungs-Aufheller oder ein oberflächlicher „Kick“, damit wieder was läuft.

Die „stufenweise Auferstehung“ als Alternative 

Der Begriff „stufenweise Auferstehung“ wurde bei einer Pressekonferenz ins Spiel gebracht, um den Prozess der Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens nach den rigorosen Epidemie-Maßnahmen zu beschreiben. Ich verwende ihn, um den geistlichen Weg zu skizzieren, der durch Ostern ausgelöst wird. Aber Vorsicht – es geht nicht um eine spirituelle Kraftanstrengung oder um unseren selbstgemachten Aufstieg zu einer erhabenen Überzeugung – ja genau gegenläufig: Die stufenweise Auferstehung macht uns aufmerksamer für die vielen Möglichkeiten Gottes, dem Leben eine neue Kraft und Mitte zu geben. Die befreiende Nachricht lautet: Jesus lebt! Er ist nicht im Grab geblieben. Ihm zu begegnen passiert im Alltag, mitten in unserer schönen und verrückten Welt – in diesen Wochen tragisch „ver-virt“. Den wesentlichen inneren Antrieb zum neuen Lauf schenkt der Geist des Auferstandenen. Wir würden uns weiterhin zu Tode laufen oder uns sinnlos im Kreis drehen, wäre nicht Er die Impuls gebende Mitte. Worin also besteht die „stufenweise Auferstehung“?

Die erste Stufe ist die überraschende Begegnung mit dem Auferstandenen. In aller Verzweiflung nimmt er uns an der Hand. Auf der zweiten Stufe schwillt die Panik ab. „Fürchtet Euch nicht!“ Unzählige Male hören wir diesen Zuspruch, ob von den Engeln oder von Jesus selbst. Er geht zu Herzen. Die dritte Stufe ist die innere Reinigung von allen Selbstvorwürfen und Anklagen. Der Auferstandene heilt unsere inneren Verwundungen mit seinem Frieden. Auf der vierten Stufe geht es ums Loslassen. „Halte mich nicht fest!“ Der Auferstandene bittet uns, ihn nicht mit unseren religiösen Vorstellungen besitzen zu wollen. Ein geistvoller Abstand stärkt die innere Verbundenheit. Die fünfte Stufe heißt Auftrag. „Geht! Berichtet!“ Auferstehung ist kein Wonnegefühl für das Sonntagssofa. Wer beschenkt ist, wird dies mit anderen teilen. Die sechste Stufe heißt Demut. Allein können wir nichts. Immer brauchen wir die Aufstehhilfe des lebendigen Herrn. Die siebente Stufe ist die Ahnung von einem umfassenden Sinn. Ihn erkennen alle Liebenden, die anderen aufhelfen.