20 Jahre Synagoge Innsbruck: Bischof gedenkt der Schoah

Anlässlich der 20-jährigen Jubiläums der Synagog in Innsbruck erinnerte Bischof Manfred Scheuer an die Ermordung der Tiroler Juden und die Verwüstung der Synagoge im November 1938.

Innsbruck-KAP. Darf man nach der Shoah beten? Diese Frage stellte Diözesanbischof Manfred Scheuer zum 20-Jahr-Jubiläum der Wiedererrichtung der Innsbrucker Synagoge, die im Zuge der "Reichspogromnacht" vor 75 Jahren verwüstet und während des Zweiten Weltkrieges gänzlich zerstört worden war. Mit Blick auf die Shoah dürfe die Frage "Wo warst du, Gott?" nicht zum Abstreifen, bequemen Abgeben und Zudecken der menschlichen Schuld und Verantwortung führen. "Wirkliche Solidarität mit den Opfern des Bösen lässt sich nur in der Hoffnung auf Gott durchhalten", so Scheuer wörtlich. Würde man nach Auschwitz am Gott Israels verzweifeln, würde das Judentum gerade dadurch untergehen. Genau dies dürfe nie passieren. Zum Pessachfest vom 26. März bis 2. April überbrachte der Bischof Glückwünsche.

Die Erinnerung an die Ermordung der Tiroler Juden, an die Verwüstung der Innsbrucker Synagoge im November 1938 und an die Shoah sei für Christen durch die "Verstrickung in Schuldzusammenhänge", zugleich jedoch durch das "gläubige Vertrauen auf die erlösende Macht Gottes" und die "aufrichtige Bitte an Gott und an sein erwähltes Volk um Schuldvergebung" geprägt, so Scheuer anlässlich der 20-Jahr-Feier der wiedererrichteten Synagoge, für die sich auch der im Jänner verstorbene Innsbrucker Altbischof Reinhold Stecher besonders einsetzte.

Über Jahrhunderte hinweg seien in der christlichen Theologie antijüdische Stereotypen tradiert worden. Vor allem die theologisch unsinnige und diffamierende "Anklage des Gottesmordes trug zu einem Gefühl der Selbstgerechtigkeit der Christen" und zu einer Mentalität bei, die sich "vor der notwendigen Solidarität mit den ausgegrenzten und nach und nach auch dem Tod preisgegebenen Opfern des NS-Regimes drückte", so Scheuer mit kritischem Blick auf die Geschichte.

"Schmerzhafte Verstrickungen" der Kirche 

Auch die katholische Kirche in Tirol sei von dieser "schmerzhaften Verstrickung" in den Nationalsozialismus nicht ausgenommen. Der Bischof nannte den nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Tiroler "Antisemitenbund" oder den über Jahrhunderte forcierten, auf einer Ritualmordlegende basierenden Kult um Anderl von Rinn. "Auch Priester waren dabei. Das ist es, was uns immer zur Erinnerung zwingt: das Eingeständnis unserer Schwachheit und unserer Verführbarkeit", so Scheuer. Auch wenn es durch Persönlichkeiten wie die seliggesprochenen Jakob Gapp, Carl Lampert, Otto Neururer Widerstand gegen den Nationalsozialismus gab, - "es waren einfach zu wenige, zu wenig Gerechte".

Erinnerung, führte der Innsbrucker Bischof mit Verweis auf Simone Weil und Theodor W. Adorno aus, sei notwendige Voraussetzung für die Bildung von Humanität, ohne Erinnerung verfalle der Mensch in die Entwurzelung, Herabsetzung und Versklavung. Auch wenn Friedrich Nietzsche für das Vergessen plädierte , weil das "Wiederkäuen" des Vergangenen zum "Totengräber des Gegenwärtigen" werde, also entscheidungs- und handlungsunfähig im Hier und Heute mache, betonte Scheuer demgegenüber gerade die Unabdingbarkeit des Erinnerns für eine "humane Rationalität". Das Gedenken fördere den "Widerstand gegen Vergesslichkeit, Unempfindlichkeit und Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern".

Vor Gott ist keine Träne verloren 

Vor Gott sei nichts verloren, kein Leid und keine Träne, auch wenn die "Asche ungezählter gepeinigter, entwürdigter, ermordeter Menschen in alle Winde zerstreut" sein mag, sagte Scheuer. Aber darf man nun nach Auschwitz zu Gott beten? Schließlich sei etwa für einen Denker wie Günther Anders Auschwitz der Beweis dafür, dass es einen Gott nicht geben kann, weil ein Gott im Zulassen der Shoah nicht so unbarmherzig hätte sein können.

Doch damit stehenzubleiben, käme einer Verkürzung der Solidarität den Opfern und letztlich einem Abstreifen der Frage nach der menschlichen Schuldverstricktheit gleich, wie Bischof Scheuer unter Verweis auf jüdische Denker wie Franz Rosenzweig und christliche Stimmen wie Johann Baptist Metz erläuterte. Die Hoffnung auf Gott sei in Wirklichkeit der große Anker für die Hoffnung, dass die "Erschlagenen nicht in alle Ewigkeit erschlagen, die Vergessenen vergessen, die Opfer für immer besiegt, die Toten tot gelassen sind", so Scheuer. Ohne diese Hoffnung erliege man wiederum der Gefahr des Zynismus, der Selbstgerechtigkeit und der Flucht vor der eigenen Schuldfrage.

Israels Väter wiesen Weg in die Freiheit 

Bischof Scheuer, der ausdrücklich die Angewiesenheit des Christentums auf den jüdischen Wurzelgrund hervorhob, überbrachte mit seinen Worten der Besinnung und des Gedenkens zugleich Glückwünsche an die Tiroler Kultusgemeinde zum nahenden Pessachfest. Der damit gegenwärtig gehaltene Auszug aus Ägypten feiere den "Weg von Freiheit und Menschenwürde", den Israels Väter gewiesen hätten.

Die im Jahr 1909 in der Sillgasse 15 errichtete Innsbrucker Synagoge wurde in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 - von den Nazis verharmlosend "Reichskristallnacht" genannt - verwüstet. Im Zuge des Judenpogroms wurde auch in Innsbruck weit mehr als "Kristall" zerschlagen: Mehrere Juden, darunter auch der damalige Vorstand der Tiroler Kultusgemeinde, Richard Berger, wurden getötet, insgesamt 18 Juden festgenommen, viele von ihnen starben in weiterer Folge in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern. Die Grundsteinlegung für den Neubau der Innsbrucker Synagoge erfolgte 1991, zwei Jahre später wurde sie errichtet.

Am Festakt am Donnerstagabend in den Innsbrucker Ursulinensälen nahmen u.a. Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg, Oskar Deutsch von der Israelitischen Religionsgemeinschaft, Galit Ronen von der israelischen Botschaft, weiters der evangelische Superintendent Olivier Dantine sowie als Vertreter der Politik Landeshauptmann Günter Platter und Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer teil.

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