Wie man Frieden schaffen kann: Nur gemeinsam!

Kardinal aus Ruanda besucht Tirol – über Schritte zur Versöhnung, Gerechtigkeit und Bildung für Alle

Kardinal Antoine Kambanda aus Ruanda, Mitglied der Bildungskongregation des Vatikans, besuchte in der vergangenen Woche im Rahmen von 100 Jahre Missio Austria Tirol. Am Donnerstag, 28. April 2022, traf er Priester aus der Diözese, am Abend hielt er einen Vortrag im Haus der Begegnung zum Thema „Geschwisterlichkeit lernen! Synodalität aus der Perspektive Ruandas“. Sein Gesprächspartner war Prof. Roman Siebenrock, Theologische Fakultät Innsbruck. (Berichte weiter unten)

 

Aus eigenem Erleben mit Versöhnung und Frieden auseinandergesetzt 

Mit dem Thema Versöhnung und Frieden hat der Kardinal sich ausgesprochen konkret beschäftigt – und ebenso mit der Rolle der Kirche im Konflikt und im Versöhnungsprozess. Kambanda war selbst Flüchtlingskind, seine Eltern und fünf seiner sechs Geschwister wurden im Völkermord von Ruanda 1994 ermordet. 2018 wurde er Erzbischof von Kigali, der Hauptstadt Ruandas, im Herbst 2020 nahm ihn Papst Franziskus ins Kardinalskollegium auf.

 

Im Welthaus Innsbruck begegnete er am Freitag, 29. April 2022, den Fragen der Tiroler JournalistInnen. Er erzählte vom Weg der Versöhnung, der mit Beteiligung der Kirche in seiner Heimat gegangen wurde. Ein Weg der nur möglich war, weil Täter und Opfer gemeinsam alles ausgeredet hätten – „synodal“ und direkt in den Dörfern, wie der Kardinal betonte. „Das Trauma liegt auf beiden Seiten“, erklärt er. Niemand habe gewonnen, alle aber verloren – dies zu erkennen und zu akzeptieren habe geholfen, nach allem einen Weg für ein neues Miteinander zu finden und die politisch konstruierten Einteilungen der Volksgruppen zu überwinden.

 

Wie Kambanda selbst die Gräben überwinden konnte und sich nicht im Hass auf die Täter verlor? Er habe gesehen, dass andere noch viel Schlimmeres erleiden haben müssen: „Wenn du die eigenes Leiden überwindest und anderen hilfst, dann heilst du!“ 

Foto: Cincelli/dibk

Bericht vom Priestertreffen mit Kardinal Kambanda in Tirol

am 28. April 2022 von MISSIO-Diözesandirektor Johannes Laichner

„Als ich zum Bischof in einem Land ernannt wurde, das darum kämpfte, die Folgen von Krieg, Völkermord und Exil zu überwinden, kamen mir die Worte Jesu aus dem Johannesevangelium in den Sinn: Ich bin gekommen, damit sie das Leben in Fülle haben.“ Die Priester und Ordensleute, die Kardinal Antoine Kambanda kürzlich bei einem MISSIO-Vortrag im Franziskanerkloster in Hall in Tirol zuhören konnten, spürten, wie tief der Erzbischof von Kigali in Ruanda in der hl. Schrift verwurzelt ist. Versöhnung könne nach einem grausamen Völkermord, wie ihn die Menschen in Ruanda 1994 erleben mussten, nur durch geduldiges Zuhören und in Demut gelingen. Doch erst der Blick auf Jesus Christus am Kreuz würde Opfer und Täter dieses Konfliktes auf einen heilsamen Weg des Mitleids führen, an dessen Ende Gott Vergebung schenke.

 

Kardinal Kambandas tiefe Weisheit beeindruckt. Schnörkellos einfach erzählt er von seiner Freundschaft mit Christus. Ihn als Priester während der hl. Messe in Händen halten zu dürfen, seien ihm größte Freude und Kraftquell zugleich. Die Bibel lese er wie den Brief von liebevollen Eltern, den das Kind in der Ferne mit dem verzehrenden Schmerz des Heimwehs unter dem Kopfkissen hervorhole und immer wieder Wort für Wort verinnerliche. Die Bibel müsse unser kostbarster Schatz im Leben werden.

 

Als ihn Papst Franziskus mitten in Krise der Covid-19-Pandemie zum Kardinal ernannt hat, seien ihm die Worte Jesu an Petrus eingefallen. „Ich habe für die gebetet, Simon, damit dein Glaube nicht versagt. Und wenn du umkehrst, stärke deine Brüder.“

 

Seine Mitbrüder zu stärken, das gelang Kardinal Kambanda tatsächlich auch bei diesem Vortrag in Tirol, zu dem MISSIO anlässlich 100 Jahre Päpstliche Missionswerke in Österreich geladen hatte. Auf die Frage, wie er aus afrikanischer Sicht den derzeit weltweit laufenden synodalen Prozess beurteile, antwortete der Kardinal mit einem vielsagenden Bildwort: Es sei wie eine Fahrt auf der Autobahn. Die Kirche habe mit der hl. Schrift und ihrer Glaubenslehre wichtige Leitblanken. Sie zu ignorieren, sei gefährlich. Dies geschehe dann, wenn nicht mehr der Wahrheit der Worte Jesu, sondern anderen Ideologien geglaubt werde. Um dies zu vermeiden, würden allen Beratungen in seiner Diözese immer das Gebet und die Bitte um den hl. Geist vorausgehen. Ohne Gebet und ohne die Bereitschaft, gemeinsam auf das Wort Gottes und die Lehre der Kirche zu hören, wäre der synodale Prozess fruchtlos. Eine kirchliche Debatte ohne Gott und seinem ewigen Wort sei letztlich eine Sackgasse. Er vertraue darauf, dass der hl. Geist die Synode begleite und erfülle. Es ginge in der Synode immer darum, die Freundschaft mit Jesus zu vertiefen.

 

Seine bestärkenden und zugleich ermutigenden Worte an die Priester in Tirol schloss Kardinal Kambanda mit einem großen Dank an Missio: „Seit ich Bischof geworden bin, und jetzt als Kardinal, arbeite ich mit den Priestern, die mit Hilfe von Missio Austria ausgebildet wurden. Missio Österreich hilft mir auch bei verschiedenen sozialen und pastoralen Projekten und Mess-Stipendien für die Priester, die im Dienst der Armen stehen. Dafür bin ich unendlich dankbar!“

  

Foto: missio

Foto: missio

Begegnung mit Kardinal Antoine Kambanda aus Rwanda: ein kurzer Bericht

Von P. Stephen Eyeowa SJ, Kaplan der Afrikanischen Katholischen Gemeinde der Diözese Innsbruck

Es war der 28. April 2022, 19.30 Uhr. Das Bildungshaus der Diözese Innsbruck, das Haus der Begegnung, empfing Gäste verschiedener Nationalitäten und Sprachen. Das Lächeln auf ihren Gesichtern war Ausdruck großer Erwartung und Aufregung. Der Kardinal Antoine Kambanda vom Erzbistum Kigali in Ruanda sollte einen Vortrag halten zum Thema: „Geschwisterlichkeit lernen! Synodalität aus afrikanischer Sicht.“ Um 20:00 Uhr griff der erwartete Gast endlich zum Mikrofon, und wie es für einen afrikanischen Ältesten typisch ist, sprudelte Weisheit aus seinem Munde, um die Seelen seiner Zuhörer zu erreichen.

 

Seine Vorstellung über die Förderung von Geschwisterlichkeit ist offensichtlich von der religiösen und soziopolitischen Geschichte seines Heimatlandes geprägt. Ende der 1950er Jahre tobte in Ruanda ein Bürgerkrieg und 1994 erlebte das Land einen grausamen Völkermord mit unzähligen Opfern. Für Kardinal Kambanda bedeutet Synodalität unter diesen Umständen, vor allem, sich die Verletzungen der Opfer und die Beichten der Täter anzuhören, ohne zu verurteilen. Jeder hat das Recht, angehört zu werden, sowohl die Opfer als auch die Täter. Das Zuhören fördert bei den Betroffenen echtes Mitgefühl, Versöhnung, Geschwisterlichkeit und sozialen Frieden.

 

Kardinal Kambanda verglich den damaligen „Synodalitätsprozess“ in Ruanda mit dem Konzil von Jerusalem (Apg 15,28), bei dem die Apostel nach gebetserfüllten Überlegungen ihren Beschluss so begründeten: „Wir und der Heilige Geist haben entschieden.“ Für Kardinal Kambanda diente das gegenseitige Zuhören und der Respekt vor der Heilsgeschichte als Grundlage für diesen Anspruch. Mit anderen Worten: „Synodalität bedeutet, auf den Heiligen Geist zu hören, der uns befähigt, einander zuzuhören.“ Der Kardinal schlägt vor, den aktuellen synodalen Weg in der Weltkirche maßgeblich durch das Zuhören zu gestalten.

 

Kardinal Kambanda betonte auch: Das gegenseitige Zuhören sollte allumfassend sein. Er skizzierte die vielen Ebenen des Hörens, die in seiner Erzdiözese (Kigali-Ruanda) als Reaktion auf den aktuellen synodalen Weg unterschieden wurden. Die Synodalität begann mit dem Hören auf den Heiligen Geist durch eine neuntägige Novene in allen Pfarreien. Dann folgte in den kleinen christlichen Gemeinden, unter Priestern und Ordensleuten, unter den kirchlich Engagierten, in den Schulen und den Priesterseminaren ein ausgiebiges Gespräch und Hören aufeinander. Der Prozess erstreckte sich auch auf das Anhören von Straßenkindern, Prostituierten, Gefangenen und Menschen anderer Religionen. Das Ziel der Konsultation war klar: Einheit, Teilhabe und Mission.

 

In seiner Antwort auf den Vortrag von Kardinal Kambanda unterstrich Prof. Siebenrock von der theologischen Fakultät Innsbruck, dass der synodale Prozess eine Tatsache bezeuge: „Die Kirche ist zwar alt, aber sie wächst.“ Synodalität würde bedeuten, auf das Wirkung des Heiligen Geistes in uns und auf unsere Heilserfahrung zu hören und diese zu respektieren, einschließlich unserer Erfahrung des Gebetes Jesu am Kreuz: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Mit anderen Worten, Synodalität führt zu Mitgefühl und Geschwisterlichkeit dann, wenn wir auch auf die Äußerungen der Enttäuschung hören. Prof. Siebenrock, konzipierte den synodalen Weg als kontinuierliche Antwort der Kirche auf offene Fragen (Lk 24,26).

 

In seiner Schlussbemerkung war die Weisheit von Kardinal Kambanda in seinen Antworten auf Fragen zum Anhören von unreuigen Übeltätern in einem synodalen Prozess spürbar. Er stellte fest, dass Synodalität in diesem Sinne nichts anderes bedeute als das Erzählen von persönlichen Geschichten, einschließlich unserer Heilsgeschichte und Leidensgeschichte. Mit Blick auf den ruandischen Versöhnungsprozess nach dem Völkermord unterstrich er, dass „das Erzählen von Leidensgeschichten in einem respektvollen und mitfühlenden Umfeld zur Reinigung der Erinnerung, zur Versöhnung mit Gott, mit sich selbst und anderen führt“. Prof. Siebenrock stimmte dem zu und sagte: „Vergebung ist keine ethische Leistung, sondern bietet Freiheit.“

Foto: Cincelli/dibk.at

Foto: Cincelli/dibk.at

Kardinal: Ruandas Genozid-Aufarbeitung auch heute beispielgebend

Erzbischof von Kigali, Kambanda, im Kathpress-Interview: Im Ukrainekrieg zuerst auf Leidende sehen - Afrikas Kirche hat mit Synode bereits viel Erfahrung

Ruanda hat nach dem entsetzlichen Völkermord des Jahres 1994 ein Modell etabliert, von dem einzelne Elemente auch zur Überwindung heutiger Konflikte genutzt werden könnten: Das hat Antoine Kambanda (63), Erzbischof von Kigali und seit November 2020 erster Kardinal seines Landes, am Dienstag im Interview mit Kathpress dargelegt. "Wo ethnische Differenzen zu Kriegen führten, ist Versöhnungsarbeit notwendig, damit die Gewaltspirale unterbrochen wird. Dass dies gelingen kann, hat Ruanda der Welt vorgezeigt", sagte Kambanda, der sich derzeit aus Anlass des 100-Jahr-Jubiläums der Päpstlichen Missionswerke (missio) in Österreich aufhält.
Besonders verwies der Kardinal auf die offiziell bis 2012 tätigen "Gacaca"-Tribunale, in denen die Kriegsgräuel des Genozids - bis zu einer Million Menschen wurden damals binnen 100 Tagen grausam ermordet, darunter auch Kambandas gesamte Familie - auf traditionelle Weise aufgearbeitet wurden. In von Dorfältesten geleiteten Sitzkreisen wurden damals die Opfer wie auch Täter angehört, zur Wahrheitsfindung und zum Beschluss von Wiedergutmachungs-Maßnahmen. "Im Unterschied zur gewöhnlichen Rechtsprechung lag dabei der Fokus nicht auf Bestrafung, sondern auf Versöhnung, sozialem Frieden und Überwindung des Hasses, der sonst über Generationen fortdauern kann", sagte Kambanda. Leitend sei dabei das Bewusstsein dafür, dass ein Mensch nicht ohne Gemeinschaft leben könne.
Derselbe Blick, der zur Überwindung des Konflikts in Ruanda beigetragen habe, wäre auch für ein Ende des Krieges in der Ukraine vonnöten, zeigte sich der Kardinal überzeugt. "Vor allem muss die Perspektive auf die Leidenden gerichtet werden. Das Evangelium sagt klar: Tu anderen nichts, was du nicht willst, dass sie dir antun. Mit anderen Worten: Willst du selbst nicht leiden, so füg auch anderen kein Leid zu. Denn auch wenn man zum Täter wird, kann man dadurch nicht in innerem Frieden leben." Probleme müssten auf andere Weise gelöst werden als durch Gewalt gegen Unschuldige, Frauen und Kinder, forderte der Erzbischof. 

Kirche mit Synoden-Erfahrung
Die katholische Kirche in Ruanda habe mit einer solchen auf Versöhnung fokussierten Vorgehensweise bereits viel Erfahrung, erklärte Kambanda. Dies komme nicht zuletzt deshalb, weil im Völkermord die Trennlinien mitten durch die Gläubigen verlief und sogar manche Priester zu Tätern wurden. So habe die Kirche einst als Vorbereitung auf das christliche Jubiläumsjahr 2000 eine Synode veranstaltet, in der Aussprache möglich war. "Jeder konnte seine Leidensgeschichte erzählen, die anderen hörten zu. Denn durch das Zuhören können Sympathie und Mitgefühl entstehen, was für den gemeinsamen Weg zum Frieden die Vorbedingung ist", erklärte Kambanda. 

Parallelen zog der Kardinal hier auch zu dem im Vorjahr von Papst Franziskus ausgerufenen synodalen Prozess der Weltkirche. Dieser enthalte jedoch noch ein entscheidendes weiteres Element, "nämlich das Hinhören auf den Heiligen Geist", so der Kardinal. Aus afrikanischer Perspektive leuchte die Vorgabe des Papstes sehr ein, dass beim gegenseitigen Zuhören in den Aussagen des Gegenübers die Inspiration durch Gott gesucht werden soll. "So wie beim Feuer der Osternacht kann die Kirche erst dann vom Licht Gottes erhellt werden, wenn es jeder weitergibt", so der Erzbischof von Kigali. Die Synode könne somit ein "Weg, um den Glauben wiederzubeleben" werden - was er für das aktuell von einer Glaubenskrise betroffenen Europa als besonders vonnöten und durchaus für möglich halte.

Hauskirchen bewährten sich in Pandemie
Sein Heimatland erfahre derzeit eine "Blütezeit" der Kirche und des christlichen Glaubens, berichtete der Kardinal. In Ruanda gibt es derzeit 50 Priesterweihen pro Jahr, Tendenz steigend. "Wir müssen stark selektieren, denn hätten wir mehr finanzielle Mittel für die Ausbildung, könnten es mehr sein", sagte Kambanda. Gäbe es mehr Priester, könnten auch mehr Pfarren eröffnet und Missionare in andere Länder entsandt werden. Derzeit sind Ruandas Diözesen in Großpfarren gegliedert, in deren Dörfern meist Kapellen stehen. Ein- bis zweimal pro Monat kommt ein der Priester zur Eucharistiefeier vorbei, sonst sind Laien-Katechisten die Zuständigen und halten Wortgottesdienste, bereiten die Kinder auf die Sakramente vor und bringen den Menschen die Kommunion. 

Doch auch innerhalb der einzelnen Dorfgemeinden bestehen in Ruanda wie auch vielen anderen Teilen Afrikas noch kleinere religiöse Strukturen: Die "Kleinen Christlichen Gemeinschaften" (KCG), denen Kambandas Schätzung zufolge rund 60 Prozent der Katholiken des Landes angehören. In den von ihm als "Mini-Pfarren" bezeichneten Einheiten treffen sich bis zu zehn Familien regelmäßig, um gemeinsam zu beten, die Bibel zu lesen, sich auszutauschen und Hilfe zu leisten, wo Not ist. "Ist jemand krank, wird dessen Feld geerntet oder er wird zur nächsten Krankenstation getragen, wenn es ein entlegenes Dorf handelt", veranschaulichte der Kardinal.

Dass in Afrika darüber hinaus auch auf das religiöse Leben in der Familie - als "Hauskirche" - viel Wert gelegt wird, habe sich in der Corona-Pandemie als Segen erwiesen, erklärte der Erzbischof. "An Sonntagen war es so, dass das jeweilige Oberhaupt der Familie Wortgottesdienste zu Hause selbst leitete, mit dem Lesen der Bibel und Austausch. Fernsehgeräte zum Mitverfolgen der Messübertragungen gibt es ja nur in den Städten." Als es sieben Monate lang keine öffentlichen Messen gab und auch danach die Kirchen nur mit starken Einschränkungen - anfangs mit 30 Prozent der Kapazität, sowie weitgehend auch mit Beschränkung auf Geimpfte - öffneten, sei der Glaube somit "in den Familien weitergetragen worden", so Kambanda.

 

Eine Meldung von www.kathpress.at