„Tod und Leben, die kämpften unbegreiflichen Zweikampf“

Die österlichen Tage von Gründonnerstag bis Ostersonntag sind auch von besonderen Gesängen geprägt. Der Kirchenmusikreferent der Diözese Innsbruck, Manfred Novak, erschließt die Gesänge dieser Tage in einem Text.

Besondere Feiern bedürfen besonderer Gestaltung. Dazu gehört auch besondere Musik.

Ostern ist das wichtigste Fest der Christenheit. Feste begehen die Kirchen mit ihren Liturgien und Riten. Ostern ist so bedeutend, dass sein Inhalt auf mehrere Tage und Feiern, die sich dramaturgisch auf den Ostersonntag hin verdichten, aufgeteilt wird.

In den liturgischen Feiern der römischen Kirche gibt es einige Elemente, darunter auch Gesänge, die (fast) nur an diesen Tagen verwendet werden und den besonderen Charakter der Feste prägen. Teilweise stammen sie aus alten Traditionen, die sich nur in den Feiern der drei österlichen Tage erhalten haben. Manche der spezifischen Gesänge haben mit der Zeit eine musikbezogene Entwicklung genommen, die in teils eigenen Gattungen weit über die Liturgie hinauswirkt, musikhistorische Relevanz erreichte und in das allgemeine musikalische (Konzert-)Leben hineinwirkt. Einige dieser Gesänge werden ausgehend von ihrem Sitz in der Liturgie vorgestellt.

 

Gründonnerstag

Das geteilte Brot und die Fußwaschung: Beispiel für gegenseitige Hin- und Zuwendung.

„Vereinigt hat uns zur Einheit Christi Liebe. […] Weichen sollen böswillige Zankereien, weichen sollen Streitereien! Und in unserer Mitte wohne Christus Gott.“ Jesus ist sich nicht zu schade, den Seinen einen Dienst zu erweisen. In den Symbolhandlungen der Fußwaschung und des gebrochenen und geteilten Brotes, die in der Abendmahlsmesse am Gründonnerstag rituell bedacht und aktualisiert werden, erweist er ihnen Gastfreundschaft, die lebensnotwendige Gemeinschaft stiftet. Wird Gastfreundschaft verweigert, stirbt auch die Gemeinschaft – mit Fremden wie auch innerhalb der eigenen Gesellschaft.

Im Gesang Ubi caritas werden diese Gedanken poetisch verdichtet. In der älteren Liturgie wurde er während des Ritus der Fußwaschung gesungen, heutzutage ist er zur Gabenbereitung vorgesehen. Der Text resoniert mit der menschlichen Sehnsucht nach friedlichem, gemeinschaftlichem Zusammenleben; so wurde er auch öfters für Chöre vertont. Eine sehr berühmte Komposition stammt von Maurice Duruflé (1902-1986), in neuerer Zeit erfreut sich die Vertonung des Norwegers Ola Gjeilo (*1978) immer größerer Beliebtheit.

Am Ende der Feier wird mit Blick auf das Grauen des Karfreitags das heilige Brot aus der Kirche entfernt und der Tisch abgedeckt: Zeichen der Gottverlassenheit. Der traditionelle Gesang für diese rituelle Handlung ist der Hymnus Pange lingua gloriosi corporis mysterium, der Christi Gegenwart in Brot und Wein preist und zur Anbetung am Ort außerhalb der Kirche einlädt. Mehrstimmige Vertonungen sind vor allem aus der Renaissance bekannt: Guillaume Dufay (ca. 1400-1474), Josquin Desprez (1450/55-1521) und Giovanni Pierluigi da Palestrina (ca. 1525?-1594) haben entsprechende Kompositionen geschrieben; von Josquin ist uns sogar ein ganzer Ordinariumszyklus (Missa Pange lingua) überliefert, der eine der vielen Melodien zu diesem Text verarbeitet. Weitaus bekannter als der Beginn des Hymnus sind dessen letzten beiden Strophen (Tantum ergo sacramentum), die in der Liturgie als Gesang vor dem sakramentalen Segen eine eigene Tradition entwickelten und in der Musikgeschichte große Beachtung fanden: Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn, Franz Schubert, Giacomo Rossini und M. Duruflé sind nur einige Komponisten, die ein „Tantum ergo“, teils mehrfach, geschrieben haben. Von dem Innsbrucker Domkapellmeister Karl Koch (1887-1971) gibt es insgesamt fünf Vertonungen (op. 24, 31, 32a) zu diesem Text. Darüber hinaus fand der Hymnus auch Niederschlag in der Orgelmusik: Hier sind vor allem die französische barocke Tradition (Jean Titelouze, Nicolas de Grigny) aber auch der Oberösterreicher Johann Nepomuk David (1895-1977) zu nennen.

 

Karfreitag

Das Kreuz: Ort des Sterbens, Zeichen für Liebe und Treue bis in den Tod.

„Was hab ich euch getan?“ Die Perfidie des willkürlichen Mordens, getarnt durch einen Schauprozess einer an Gerechtigkeit und am Einzelschicksal des Menschen desinteressierten Staatsmacht, führt in die Gottverlassenheit eines gewaltsamen Todes.

Der Text der gesungenen Improperien („Vorwürfe“) gewinnt seine Spannung aus der Gegenüberstellung von den heilenden Taten Gottes mit undankbaren und zerstörerischen Handlungen der Menschen. Die anklagende Frage „Was hab ich euch getan?“ des Unschuldigen kehrt regelmäßig wieder, ebenso der Ruf der Missetäter:innen um Erbarmen, in dem sich noch die ältere griechische Liturgiesprache erhalten hat. Der Text und die Form aus dem 9. Jahrhundert haben unterschiedlichste mehrstimmige Kompositionen bis in unsere Zeit inspiriert, von den Renaissance-Komponisten Tomás Luis de Victoria (ca. 1548-1611), G. P. da Palestrina und Orlando di Lasso (1532?-1594) bis zu dem Polen Krszysztof Penderecki (1933-2020), der in neuerer Zeit die Improperien in seine symphonisch angelegte oratorische Lukas-Passion eingearbeitet hat.

Im nächtlichen Gebet der römischen Kirche werden am Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag die sogenannten Lamentationen (Klagelieder) gesungen. Mehrstimmige Kompositionen gibt es ab der Mitte des 15. Jahrhunderts, Johannes de Quadris (gest. vor 1457) schrieb eine der ersten bekannten Vertonungen der Klagelieder. Eine Blüte erlebten sie am Übergang von der Renaissance zum Barock (T. L. de Victoria, O. di Lasso, Lodovico Viadana); die Sätze wurden mitunter bis zur Achtstimmigkeit erweitert, wodurch ausdrucksvolle Kontraste unterschiedlicher Stimmkombinationen möglich wurden. Auf der Suche nach noch direkteren musikalischen Mitteln für den Textausdruck wurde die deutlich liturgisch geprägte Gattung der Lamentationen um das Jahr 1600 zu einem Vorreiter des neuen sprachbezogenen monodischen Stils (solistischer, sprachbezogen-expressiver Gesang mit Instrumentalbegleitung); beispielhaft dafür stehen die Lamentationes Hieremiae Prophetae von Emilio de‘ Cavalieri (ca. 1550-1602).

 

Osternacht

Das Licht: „Dies ist die Nacht, von der geschrieben steht: ‚Die Nacht wird hell wie der Tag, wie strahlendes Licht wird die Nacht mich umgeben‘“.

Die Osternacht ist die Nacht der Wache: Die Gläubigen warten auf Christus, der die Nacht des Todes hin zu neuem Leben durchschritten hat. Sie ist die Nacht der Befreiung aus aller Unterdrückung und Unrecht, die Nacht, die ihren Schrecken der Finsternis verliert.

Die Osternacht beginnt mit einem Lichtritus. Dieser findet seinen Widerhall im Brauch der Osterfeuer. Liturgischer Höhepunkt der Lichtfeier ist der feierliche Gesang des Exsultet: „Frohlocket, ihr Chöre der Engel, frohlocket, ihr himmlischen Scharen, lasset die Posaune erschallen“ hebt der Gesang an und fordert alle Wesen und die ganze Schöpfung zum lautstarken und mächtigen Jubel auf. Diese rhetorisch reich ausgestattete Kunstprosa aus dem 7. Jahrhundert, die staunend das Geheimnis der Befreiung aus Tod und Schuld besingt, wird als Kantillation (solistische, mit musikalischen Mitteln überhöhte Rezitation eines Textes) eines Diakons nicht mehrstimmig vertont.

 

Ostersonntag

Der Sieg des Lebens: „Tod und Leben, die kämpften unbegreiflichen Zweikampf; des Lebens Fürst, der starb, herrscht nun lebend.“

Auf diese Weise besingt die Ostersequenz Victimae paschali laudes den Sieg des Lebens über den Tod. Totschlag und Gewalt haben nicht mehr das letzte Wort.

Sequenzen waren im Mittelalter eine weit verbreitete Form freier liturgischer Dichtung (und Komposition) mit paarigen Strophen. Das Konzil von Trient (Mitte 16. Jh.) reduzierte ihre Verwendung in der Liturgie drastisch, heute werden nur mehr sehr wenige Festtage durch Sequenzen hervorgehoben. Die Melodie der Ostersequenz aus dem 11. Jahrhundert zitiert den Beginn einer gregorianischen Alleluja-Melodie und des dazugehörigen Verses Christus resurgens. Mit diesem melodischen Verweis verstärken die beiden österlichen Jubelgesänge einander. Das resonierende Zitieren geht jedoch noch weiter und erstreckt sich auf das bekannte deutsche Osterlied Christ ist erstanden, das seine Wurzeln im 12. Jahrhundert hat und wiederum den Melodiebeginn der lateinischen Sequenz aufnimmt.

Mehrstimmige Vertonungen von Victimae paschali laudes gibt es schon im Mittelalter als sogenannte Organa. Salopp beschrieben sind diese Organa eine durch Hinzufügung von parallel geführten Stimmen klanglich aufgemotzte Einstimmigkeit, die in mittelalterlichen Kirchen zweifellos eine faszinierende Wirkung erzielt. Aber auch im imitatorisch-mehrstimmigen Repertoire findet man früh Vertonungen der führenden Komponisten ihrer Zeit. Zu diesen zählen Antoine Busnoys (ca. 1435-1492), Josquin Desprez, Antoine Brumel (ca. 1460-1512), T. L. de Victoria, G. P. da Palestrina, O. di Lassuo, später Marc Antoine Charpentier (1643-1704) – der Komponist der Eurovision-Erkennungsmelodie, die er ursprünglich als „Te Deum“, ein anderer Klassiker der Kirchenmusik, komponiert hat – und J. N. David. Eine judenfeindliche Strophe der Sequenz, die man in älteren Vertonungen noch finden kann, hat übrigens schon Papst Pius V nicht in sein Messbuch (1570) aufgenommen.

Auch das deutsche Lied Christ ist erstanden hat seinen Weg in mehrstimmige Motetten, z. B des mit Innsbruck verbundenen Heinrich Isaac (ca. 1450-1517), und in manche Orgelkompositionen gefunden: K. Koch komponierte Osterpräludium und Fuge (op. 40) über das Lied, und Johann Caspar Ferdinand Fischer (1656-1746) verwendete das sich auf die Sequenz beziehende Anfangsmotiv als Thema eines imitatorischen Orgelstücks (Ricercar pro Festis Paschalibus super Initium Cantilenae: Christ ist erstanden). Auch in modernen Kirchenliedern (z. B. von Erna Woll) und Messvertonungen (Petr Eben, Deutsches Ordinarium) wird es zitiert. 

Auf vielfältige Weise verkündet die Musik der drei österlichen Tage den Sieg des Lebens über den Tod und trägt diese Botschaft in die Welt hinaus; „Wer Ohren hat, der höre“.

 

Manfred Novak