Telefonseelsorge: Erhöhte Suizidgefahr bei älteren Menschen
Die Internationale Vereinigung für Suizidprävention (IASP) erinnert jährlich am 10. September daran, dass wir uns alle noch viel mehr bemühen müssen, dass Menschen in verzweifelten Lebenssituationen und ihre Angehörigen angemessene Hilfe und Unterstützung bekommen. In einem Pressegespräch erläuterten Mag. Astrid Höpperger, Leiterin der Telefonseelsorge Tirol, und Univ. Prof. Dr. Christian Haring, Leitung Primariat Psychiatrie und Psychotherapie B im Landeskrankenhaus Hall, vor allem die Suizidgefährdung von alten Menschen und die Präventionsmöglichkeiten.
Suizid bei alten Menschen
Suizid bei alten Menschen – speziell bei alten Männern - steht beim Suizidpräventionstag 2015 im Zentrum der Aufklärungsarbeit. Knapp ein Viertel der Anrufer und Anruferinnen im Jahr 2014 waren über 60 Jahre alt - eine wichtige Altersgruppe für die Telefonseelsorge. Es gibt fast nahezu gleich viele männliche wie weibliche Anrufer. Vordergründig sind dabei nicht Suizidanrufe, sondern die Themen Einsamkeit, Beziehungsprobleme und psychische Erkrankungen. Werden diese Probleme allerdings nicht bewältigt, können sie in Richtung Suizid führen.
Dazu Astrid Höpperger, Leiterin der Telefonseelsorge in Tirol: „Bei der Telefonseelsorge haben im vergangenen Jahr etwa 120 Mal Menschen angerufen, die so verzweifelt waren, dass sie so nicht mehr weiterleben wollten und ausdrücklich von Suizid gesprochen haben. Auch ältere und alte Männer rufen bei uns an, obwohl sich Männer dieser Generation schwer tun Schwäche einzugestehen und um Hilfe zu bitten. Aber es gibt sie, diese Anrufer. Die bestimmenden Themen bei ihnen sind Pensionierung und damit Verlust von Ansehen und Bedeutung, Verlust nahestehender Menschen und in der Folge Vereinsamung, körperliche Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit, Verlust der Selbständigkeit und Verlust der Bedeutung als Mann.“
Männer haben größere Schwierigkeiten, sich neue Aufgaben im Alter zu suchen
Höpperger weiter: „Mit zunehmendem Alter werden Menschen also mit Lebensereignissen konfrontiert, die Verlust mit sich bringen, der zu bewältigen ist. Vielen alten Menschen gelingt es aufgrund ihrer Lebenserfahrung diese Verluste zu bewältigen, sie auszugleichen, damit umzugehen. Sich weiter als wertvoll zu erleben. Aber nicht allen. Vor allem jene, für die es für ihre Lebenszufriedenheit unerlässlich scheint, ihr Leben selbständig und ohne Hilfe anderer bewältigen zu können, Leistung zu erbringen, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit wenig Zeit für Hobbys und Freunde hatten, ist es schwer. Bei Pflegebedürftigkeit ist es eine massive Kränkung, abhängig zu sein und sich ohnmächtig zu fühlen. Die Folge kann sein, dass es zu einer depressiven Erkrankung kommt. Auch Alkoholmissbrauch ist nicht selten - das Suizidrisiko erhöht sich noch weiter. Interessant ist, dass ältere und alte Frauen sich oft leichter tun als alte Männer. Das kann daran liegen, dass sie eher bereit sind Hilfe anzunehmen, dass sie sich eher auf neue Kontakte einlassen und dass sie im Laufe ihres Lebens gelernt haben sich nicht in erster Linie als wertvoll zu erleben, wenn sie beruflich etwas leisten. Ältere Männer haben auch größere Schwierigkeiten sich neue Aufgaben im Alter zu suchen. Traditionell sind es vorwiegend Omas, die sich um die Enkel kümmern und darin auch eine sinnvolle Betätigung finden.“
Suizidgefahr steigt mit dem Alter
Univ. Prof. Dr. Christian Haring (Leitung Primariat Psychiatrie und Psychotherapie B im Landeskrankenhaus Hall), untermauert die Ausführungen von Höpperger mit seinen Erfahrungen und mit deutlichen Zahlen: „Das Problem der Suizidalität älterer Menschen drückt sich auch in der Häufigkeit suizidaler Handlungen aus. Ist die Anzahl der Suizide in Österreich pro 100.000 Einwohner bei etwa 15, steigt diese Zahl bei Menschen über 65 auf rund 50, und bei Betroffenen über 85 sogar auf über 100 an. Diesem Problem wird im Österreichischen Suizidpräventionsplan (SUPRA) durch einen eigenen Unterpunkt Rechnung getragen. Dabei geht es darum, älteren Menschen die sich in einer Krisensituation befinden, möglich schnell Hilfe zukommen zu lassen.“
Wichtig sei auch, so Haring, dass sich Betroffene selbst aktiv um Hilfe bemühen. Erste Hilfe könne man bei Verwandten und Freunden finden, letztendlich ginge es aber darum, professionelle Therapie zu suchen.
Haring zur Telefonseelsorge: „Ein hoch kompetenter Ansprechpartner in solchen Fällen ist natürlich die Telefonseelsorge, da sie rund um die Uhr erreichbar ist und auf höchstem Niveau helfende Gespräche zu führen kann und auch über die möglichen anderen professionellen Helfersysteme Bescheid weiß. Man kann sich aber natürlich auch vertrauensvoll an den eigenen Hausarzt wenden, oder sich an eine/n niedergelassene PsychiaterIn oder PsychtherapeutIn wenden. Wer Hilfe braucht, soll sich einfach möglichst früh, ohne Angst vor Stigmatisierung, um Hilfe bemühen.“
Die Telefonseelsorge
Der Gründung der Telefonseelsorge liegt der Gedanke der Suizidprävention zugrunde. Der anglikanische Pfarrer Chad Varah war erschüttert, als er (1953) in London ein junges Mädchen, das sich aus Verzweiflung das Leben genommen hatte, beerdigen musste. Er veröffentlichte in der „Times“ ein Inserat: „Before you commit suicide, ring me up“. Daraus entwickelten sich weltweit die telefonischen Krisentelefone, in Österreich und Deutschland unter dem Namen „Telefonseelsorge“. 2016 wird die Telefonseelsorge in Österreich 50 Jahre alt. Die Suizidprävention ist für Telefonseelsorge also ein zentrales Anliegen.
Die Telefonseelsorge ist österreichweit unter der Tel. 142 erreichbar.