Scheuer: Gesellschaft und Kirche brauchen 'Option für die Jugend'

Scheuer beim Eröffnungsgottesdienst des "Europäischen Forums Alpbach": Hohe Jugendarbeitslosigkeit ist "schwere Hypothek für die Entwicklung der Gesellschaft".

Zu einer "Option für die Jugend" hat der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer am Sonntag zum Auftakt des 68. "Europäischen Forum Alpbach" aufgerufen. Die Gesellschaft schulde der Jugend ein gutes Lebensfundament aus "Selbstwissen, Selbstachtung und Selbstvertrauen", so Scheuer in seiner Predigt beim Eröffnungsgottesdienst in der Pfarrkirche Alpbach. Und die jungen Menschen bräuchten die Möglichkeit, "das eigene Leben in die Hand zu nehmen und an einer Existenz zu bauen". Die heute hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Teilen Europas sei daher "eine schwere Hypothek für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft", warnte der Bischof.

Jugendliche brauchen einen Lebensplatz 

Scheuer weiter: 'Lebensplatz' ist analog zum 'Arbeitsplatz' mehr als nur 'Leben' so wie ein Arbeitsplatz mehr als nur Arbeit ist. Und doch bleibt die Arbeit und die Erwerbsarbeit eine Säule unserer Identität.Arbeitslose und Menschen ohne Erwerbschance werden buchstäblich wertlos gemacht. Das Ansehen eines Menschen in seiner Umgebung hängt nicht zuletzt von der Arbeit ab. Abwertung der Arbeit führt auch zu einer Abwertung der Menschen." Arbeit sei "eine Verankerung im Leben mit wichtigen Bezugspersonen, mit wichtigen Tätigkeiten, mit dem Wissen um Zugehörigkeit". Junge Menschen bräuchten Anerkennung durch die Gruppe von Gleichgestellten und durch erbrachte Leistung.

Anlass zur Sorge sind laut dem Bischof die Ergebnisse der letzten beiden Shell-Jugendstudien. Thesen wie "Die Erwachsenengeneration verbaut durch ihre Politik heute unsere Zukunft" oder "Die Erwachsenen denken nur an ihre eigenen Interessen, die Zukunft der Jugend ist ihnen egal" wurden darin von den befragten Jugendlichen überwiegend als zutreffend bezeichnet. "Viele Jugendliche haben demnach das Gefühl, dass die ältere Generation und besonders die Politiker die Bedürfnisse der jungen Menschen übergehen. Sie glauben, dass sie die Fehler und Versäumnisse früherer Generationen und der heutigen Erwachsenengeneration ausbaden müssen", so Scheuer.

Demgegenüber besagen andere Studien, dass das Verhältnis zwischen den Generationen besser sei als vielfach behauptet werde. Konflikte seien jedenfalls nicht das entscheidende Merkmal für die Beziehungen zwischen den Generationen. Während die einen eine Entsolidarisierung der Gesellschaft und einen "Generationenkampf" erwarten, sprächen andere von neuen Formen sozialen Engagements und einer neuen Solidargemeinschaft der Generationen. Der Bischof verwies dabei auf Aussagen von Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung.

Der Ruf nach Solidarität werde lauter, Familie und Freunde hätten neuerlich an Stellenwert gewonnen. Gerechtigkeit zwischen den Generationen bedeute nicht nur Pensionsreform und Überwindung der hohen Jugendarbeitslosigkeit, sondern auch Überwindung einer Altersdiskriminierung, auch bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, sowie gemeinsamer Einsatz für Umweltschutz und gegen Staatsverschuldung.

Zukunftsskepsis überwinden 

Eine "Option für die Jugend" empfiehlt Bischof Scheuer auch der Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil habe erklärt, die Kirche vertraut der Jugend, sie ist die "Hoffnung der Kirche". "Option für die Jugend" heiße, so Scheuer, hier und jetzt "Lobby" zu sein "für die und mit den Jugendlichen, nicht weil sie alle so nett und lieb sind, sondern weil Jugendliche Kirche sind, auch wenn sie anders sind und manches anders machen als die Erwachsenen. Es bedeutet, Jugendliche (so wie sie sind) als evangelisatorische Kraft anzunehmen, prophetisch, indem die Erwachsenen im Dialog mit Jugendlichen den eigenen Glauben neu lernen, neue Fragen aufnehmen, sie mit ihren Themen nicht alleinlassen, weil ihre Themen uns an die unseren erinnern. Es bedeutet, dass sich Jugendliche und Erwachsene gegenseitig anhören, sich gegenseitig stören und irritieren und manchmal auch ärgern, es bedeutet, dass nicht alles beim Alten bleiben muss."

Generell sieht der Bischof eine verbreitete Zukunftsskepsis als große Herausforderung für Kirche und Gesellschaft. Strukturen, Sicherheiten und Institutionen seien auf allen Ebenen fragwürdig geworden. "Man kann darauf depressiv mit einer Fixierung auf eine heile Vergangenheit reagieren oder sich auf Bewährtes beschränken.

Manche verstehen sich als Sterbebegleiter einer Verlierergesellschaft oder als Verwalter des Untergangs", stellte Scheuer fest. Wo aber nur noch der bisherige Betrieb aufrechterhalten wird, drohten "Leerlauf, Vergreisung und Müdigkeit:

Viele sind in der Kirche, in der Schule, in sozialen Berufen, aber auch in Politik und Kultur müde geworden. Das geht an die innere Substanz. Die Brunnen sind ausgetrocknet, die Quellen sind versiegt, das Leben kennt keine Spannkraft mehr. Vitalität, Lebenskraft, Phantasie und Kreativität gehen verloren."

Keine Generation fange beim Nullpunkt an und jede Generation gebe an kommende Generationen etwas weiter. Die Frage sei, was die gegenwärtige Generation der zukünftigen hinterlässt: "einen Schuldenberg, verbrannte Erde, einen Scherbenhaufen, oder können wir ein Wort von Hilde Domin anwenden: 'Fürchte dich nicht, es blüht hinter uns her?"

Jugendliche aus 50 Staaten 

Unter dem Generaltitel "Erwartungen - die Zukunft der Jugend" wird im Tiroler Bergdorf Alpbach bis 1. September von hunderten Politikern und Experten in unterschiedlichsten Arbeitskreisen diskutiert. Geleitet wird die Veranstaltung erstmals vom früheren EU-Kommissar Franz Fischler; er löst in dieser Funktion Erhard Busek ab, der die vergangenen zwölf Jahre das Forum präsidierte. Fischler hob in seinen Eingangsworten hervor, dass man auch angesichts des heurigen Generalthemas der Jugend bei den Diskussionen entsprechend Stimme geben wolle. An der ins Forum integrierten Seminarwoche werden Jugendliche aus 50 Staaten - von Albanien bis Vietnam - mitwirken.

Bereits im Laufen sind in Alpbach die Gesundheitsgespräche. Als nächste größere Veranstaltung beginnen am Montag die "Perspektivengespräche", die unter anderem mit dem US-Starökonomen Jeremy Rifkin aufwarten. Zu den Technologie-Gesprächen ab Mitte der Woche wird unter anderem Physik-Nobelpreisträger Robert B. Laughlin erwartet. Zu den politischen Gespräche werden Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer und seinen kroatischer Amtskollege Ivo Josipovic in Alpbach erwartet, zu den Wirtschaftsgesprächen EU-Kommissionspräsident Jose Emanuel Barroso.

"Edith Stein - Vision von Europa" ist das Thema einer Abendveranstaltung beim diesjährigen "Europäischen Forum Alpbach", bei dem Leben und Werk der bedeutenden Ordensfrau, Gelehrten und Glaubenszeugin im Zentrum stehen. Dazu referiert am Montag die Dresdener Religionsphilosophin und Vizepräsidentin der Edith Stein Gesellschaft, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, bei einem Kamingespräch unter Vorsitz Buseks. Am 9. August jährte sich der Todestag der heiligen Edith Stein, der "Mitpatronin Europas", zum 70. Mal. Die große Philosophin und Karmelitin wurde 1942 im KZ Auschwitz ermordet.

Ein Beitrag von http://www.kathpress.at

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