Notburga - eine himmlische Asylantin
Am Sonntag, dem 13. September war es wieder soweit. 701 Jahre nach dem Todestag der Heiligen Notburga gedachte man in Eben am Achensee mit dem traditionellen Festgottesdienst in der St. Notburga Kirche am Vormittag sowie mit der Söllerpredigt und der anschließenden Prozession mit euristischem Segen am Nachmittag.
Univ,-Prof. Jozef Niewiadomski wurde zum dritten Mal eingeladen, die Festpredigt vom Söller (Balkon) des Mesnerhauses zu halten. Bei dieser Ansprache ist es erlaubt, auch aktuelle Zustände zu kommentieren, vielleicht aber auch Menschen anzuregen, ihre eigenen Sichtweisen zu überdenken.
Wortlaut der Söllerpredigt 2015 von Jozef Niewiadomski:
Fesch war sie schon! Und jung. Und so richtig cool. Das junge Madl, das da damals auf das Schloss Rottenburg kam. Fesch und ehrgeizig. Schließlich schaffte sie bald zur Schaffnerin, zur Chefin für andere Mägde, zur Chefin mit Schlüsselgewalt.
“Und woher weißt du das?” - könnte nun einer der Jungschützen fragen. “Woher weißt du das, dass sie fesch war? Hat man sie damals etwa fotografiert? Oder zumindest sie zu Lebzeiten gemalt?”
Nein! Dazu war sie zu unbedeutend. In der Sozialstruktur ihrer Zeit konnte sie gerade noch einen Platz auf der untersten Stufe ergattern. Als Dienstmagd. Ohne einen Arbeitsvertrag und auch ohne Sozialversicherung. Vom Anspruch auf Urlaub schon ganz zu schweigen. Unbedeutend und arm war sie. Besaßen doch die Dienstboten von damals so viel wie nichts. Nichts, abgesehen von dem, was sie am eigenen Körper trugen. Und diese Frau, - man könnte fast sagen - diese aus dem Nichts kommende Frau, ein Niemand also, hinterlässt Spuren. Spuren, die nicht nur für die damalige Zeit ihrer gleicher suchen. Man könnte sie zwar mit den großen Heiligen ihrer Zeit vergleichen: mit der Elisabeth von Thüringen etwa und auch mit Franz von Assisi, wenn die beiden nicht ganz hoch in der gesellschaftlichen Hierarchie und auch in der kirchlichen Welt ihrer Zeit stünden. Doch: sie war ein Niemand! Nichts, aber gar nichts ist überliefert von dem jungen Madl, das da irgendwann als Dienstmagd auftauchte und es zu einer einzigartigen Heiligen der katholischen Kirche schaffte, zum Star wurde, zu einer langjährigen Celebrity, zu einer Promi ohne Ablaufdatum.
Und doch steht sie im mittelalterlichen Himmel, im Himmel, der doch so reich bestückt ist: mit Bischöfen und Päpsten, mit Königen und Äbtissinnen, sie steht dort faktisch alleine da. Eine Fremde, man wäre fast geneigt zu sagen: eine himmlische Asylantin! Weder eine Monarchin, noch eine Nonne. Und auch nicht eine, die sich auf eine einflussreiche Familie verlassen konnte, um ihr himmlisches Bleiberecht damals abzusichern. Nur die Scharen jener Menschen, die genauso wie sie rechts- und mittellos waren, sie standen für sie ein: als fromme Verehrer. Verehrer, die selber meistens auch nichts besaßen, bis auf das Wenige, was sie am Leibe trugen. Menschen, die von Tag zu Tag um das nackte Überleben kämpften. Menschen, die hart arbeiten mussten. Ihnen wurde sie zu Schützerin in der Not, oder auch zur Schützerin vor der Not. Ihnen wurde sie zur Notburga.
Dabei wurde ihre Heiligkeit bloß mit den drei bestens bekannten Wundergeschichten plausibel gemacht: Mit der Geschichte von der Verwandlung der Brotreste in die Holzspäne, mit der Story vom Sichelwunder und dem Bericht über den wunderbaren Durchzug ihres Leichenwagens durch den Inn. Als Heilige tanzt diese Frau einfach aus der Reihe. Wir finden halt keinen Bericht von einer wunderbaren Bekehrung eines jungen und lebenslustigen Mädchens, das da einen feschen Burschen im Regen stehen ließ um alleine Gott zu dienen. Sie ist auch weder vom Pferd gefallen, wie der heilige Paulus, noch hat Jesus sie direkt in der Kirche angesprochen, wie dies bei Franziskus der Fall war, als das Kreuz von San Damiano zu ihm sprach: “Baue meine Kirche auf!” Noch hat sie jemals irgendjemanden gesehen, wie dies die vielen heiligen Nonnen taten, die heilige Theresia etwa, die einen Engel, einen Seraphim mit dem goldenen Pfeil in der Hand sah, dem Pfeil, der ihr dann in ihr Herz gestoßen wurde, auf dass ihre Liebe zu Christus richtig glühend werde. Nein! Wir wissen es nicht, wie sie den Weg zu ihrer Heiligkeit betreten hat. Wir wissen es nicht einmal, und dies trotz der Überlieferung vom Rattenberger Hutmacher und dem Haus in dem sie geboren sein sollte, wir wissen es nicht einmal, ob sie richtige Eltern hatte, eine richtige christliche Familie in ihrer Kindheit erlebte. Oder ob sie doch - wie dies der Fall war bei den meisten Dienstboten, die sich ja die Heirat nicht leisten konnten, wir wissen nicht, ob sie - nicht unehelich geboren wurde, den Vater auch nicht kannte. Ob sie nicht seit ihrer frühesten Kindheit mit ihrer Mutter aufs Feld musste. Mitgenommen auf dem Buckel, bald schon selber zur Sichel greifend, um der Mutter zu helfen.
Die Kinder der bettelnden Frauen betrachtend, Kinder, die im Schoß ihrer Mütter liegen, oder daneben auf der Straße schlafen, die Augen der Kinder der Flüchtlinge und der Migranten sehend, frage ich mich, ob auch die Notburga als Kind die Welt mit ähnlichen Augen wahrgenommen hat. Ob und bis zu welchem Ausmaß sie bereits in ihrer Kindheit diese Welt als eine Welt voll von Not und Leid gesehen hat?
- “Moment mal! Nichts so schnell, Herr Pfarrer!!” Das fromme Gefühl, das nur die gewohnten Bilder gerne hat, meldet doch schon längst einen Einspruch an bei vielen von Ihnen - liebe Schwestern und Brüder, und werte Pilgerinnen und Pilger -, die sie ja Jahr für Jahr zur Notburga-Wallfahrt kommen, diese Heilige regelrecht liebhaben und auch das vertraute Bildnis von ihr schätzen. -“Wie kommen sie denn dazu?” - werden sich etliche von ihnen gerade denken - “wie kommt der Prediger dazu, solche Vermutungen zu äußern? Von wegen fesch und cool. Von wegen unehelich und bettelarm und wer weiß noch, was da in der nächsten halben Stunde noch alles kommen wird? Die Älteren von uns, diejenigen, die vor 20 Jahren auch schon dabei waren, erinnern sich doch noch ganz klar wie schockiert damals einige Pilger von dannen gingen. Schockiert durch den provokanten Stil, einen Stil, der gar nicht zu einer Predigt passte, schockiert durch die äußerst derbe Sprache von Niewiadomski, mittels derer er damals die Botschaft von einer aufrechtstehenden Notburga vermittelt habe. Vielen Frommen blieb doch nur das Bild der gekrümmten Frau in Erinnerung, einer Frau, deren Lebenshorizont notgedrungen auf die Gürtellinie beschränkt blieb und so auch ihre Lebensphilosophie. Die Lebensphilosophie einer in sich selbst verkrümmten Person: misstrauisch, voll von Fremdhass und Selbstverachtung. Die Lebensphilosophie, eines Menschen, für den das Leben bloß nur ‘Scheiße’ sei und die anderen Menschen, die ja sowieso keinen Rückgrat haben, sich bloß dieser oder jener Scheißgruppierung anschließen und zu jeder Angelegenheit bloß diese oder jene Scheißmeinung haben. Die A...löcher!”
Gleichsam als Erinnerung an die zentrale Botschaft der damaligen Predigt will der Prediger heute nur noch daran erinnern, dass er auf diesem Hintergrund Notburga als einen begnadeten Menschen malte, dass er Notburga also zu jenen Menschen zählte, die von Gott aufgerichtet wurden, gar zu Menschen, die so aufgerichtet wurden, dass keine Macht auf dieser Welt ihren Rückgrat beugen, oder gar brechen kann. Dass also Notburga zu den Prototypen einer Christin fürs 21. Jahrhundert zu zählen ist. Ein Mensch, der nicht nur stramm stehen kann, sondern aufrecht. Eine, die gerade dann, wenn andere wegschauen, direkt dem anderen ins Gesicht blicken kann. Eine Frau mit Grundsätzen, eine, die ihr Knie vor Niemandem beugen wird. Vor Niemanden außer vor Gott. Deswegen auch die Werte nicht zu Argumenten degradiert, zu Schlagwörtern aus denen sie bloß politisches Kapital schlagen kann, um Menschen gegeneinander auszuspielen. Eben eine Frau, der das Kriterium der Unterscheidung von Gut und Böse niemals verloren gegangen ist.
Liebe Schwestern und Brüder, warum diese Erinnerung an eine Predigt, die hier vor 20 Jahren gehalten wurde, in dem Jahr als Pfarrer Erwin Corazza sich von der Pfarre verabschiedete? Ich muss ihnen etwas beichten. Als mich die Einladung erreichte, die Söllerpredigt nun bereits zum dritten Mal zu halten, da freute ich mich ungemein. Es ist doch eine Auszeichnung sondergleichen (eine Auszeichnung, die nur den Bischöfen und ähnlich bunten Vögeln zukommt). Doch je näher der Termin heranrückte, umso mulmiger war es mir im Bauch. Worüber soll ich denn reden? Im Jahre 2015. In einem Jahr in dem uns so vieles an Euphorie verloren gegangen ist. An Euphorie über die überwundenen Grenzen, die uns zuerst die Massen von zahlungskräftigen Touristen brachte, uns also zum Wohlstand verhalf und uns nun auch die bettelnden Menschen beschert, von den Massen der Flüchtlinge und Migranten schon ganz zu schweigen. Worüber soll ich predigen in einem Jahr, in dem die Euphorie der Globalisierung und des einen Europa bodenständig wird, für viele sich gar zu einem Albtraum verwandelt. - “Merke Dir eines: Du kannst dich selber nicht dopen!” - sagte ein Kollege zu mir. “Du kannst den Effekt vom 1995 nicht wiederholen, geschweige denn überbieten!” Je mehr ich mir den Kopf über die Predigt zerbrach, umso steriler und fader wurden meine Gedanken. “Scheiße!” - murmelte ich vor mich hin. Doch siehe da:
Eines Nachts, nach einem Abend mit Freunden, bei dem eine Menge Wein geflossen ist, da träumte es mir. Und ich sah in meinem Traum eine wunderschöne Frau. Sexy! -“Kein Wunder!”, werden die Jungschützen einwerfen, “der Alk hat deine Phantasie benebelt. Worüber soll und kann ein Mann deines Alters, ein alter Herr also, worüber soll er noch träumen? Wohl, von einer tollen Frau!” Je näher die Frau kam, umso deutlicher erkannte ich sie. Schon durch die Gegenstände, die sie in ihren Händen trug. So und nicht anders stand sie vor mir:
Niewi zeigt die Sichel und den Garben (Sichel in der rechten Hand, Garben in der linken)
- “Das ist doch... Das ist die Notburga von Eben!” Der Gedanke elektrisierte mich im Schlaf. Und sie? Die Frau? Sie fing an zu reden: - “Erinnere dich an deine Kindheit und erzähle ihnen bei der Söllerpredigt... Erzähle ihnen, wie es war..., in den kargen Nachkriegsjahren. Als deine Mutter sich den Kopf zerbrechen musste, ob sie euch durchbringt. Durch den Winter. Als es vorne und hinten nicht reichte. Was hast du denn in den Augen deiner Mutter gesehen? Angst und Sorge? Freilich! Vor allem aber die Hoffnung. Das Grundvertrauen. Erinnerst du dich daran, als du sie einmal tränenüberströmt - betend - in der Kirche gesehen hast. Sie glaubte, sie schafft es nicht mehr, hat gar daran gedacht, alles hinzuschmeißen, wegzurennen. Weil sie glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Doch dann? Dann fand sie neue Kraft. Kraft aus dem Glauben. Sie fand neue Kraft aus dem Gebet. Diese einfache Frau aus dem Volk, die nicht einmal eine Schulklasse absolviert hat. Diese Frau spürte doch bis in die letzten Fasern ihrer Haut, dass sie in ihrer Armut, in ihren Sackgassen, in ihrer Ausweglosigkeit, dass sie da getragen wird. Dieses Grundvertrauen hat sie doch dir geschenkt! Das ist das wertvollste Geschenk, das sie dir gegeben hat. Das Grundvertrauen, das ganz nach dem Motto funktioniert: ‘Ganz gleich, was dir im Leben widerfährt, du kann doch nicht tiefer fallen als in die Hand Gottes!’
Glaubst Du, dass es bei mir anders war?” - sprach die fesche Notburga zu mir in meinem Traum. “Weder Geld, noch gesellschaftliche Stellung hat mir meine Mutter hinterlassen. Bin auch weder in den Kindergarten gegangen, noch in die Schule. Vom Kleinen an musste ich arbeiten. Die Sichel: das war mein Spielzeug. Wie die meisten Flüchtlinge von heute, besaß ich damals in meinem ganzen Leben nicht viel mehr als das, was ich am Körper tragen konnte (und das war auch nicht so kostbar, wie die Kleider, die meine Reliquie in der Kirche von Eben zieren). Habe auch nicht viel mehr zu essen gehabt, als ich gerade erwirtschaften konnte. Doch: All das machte mir keine Angst. Das war bei mir so wie bei deiner Mutter. Die Not, die Entbehrung, der unsichere morgige Tag zogen mir nicht den Boden weg unter den Füßen. Ich schaute nicht ängstlich in die Zukunft und fragte mich auch nicht dauernd: Was kommt denn auf mich zu? Du kennst doch die Otillia - die Frau des jungen Grafen auf der Rottenburg, die mich damals von der Burg fortgejagt hat. Freilich hat sie geeifert, weil sie um ihren Mann fürchtete, schiech und frigid wie sie war. Das war aber nicht das eigentliche Problem: Sie erstarrte vor der Menge der Bettler, die da vor der Burg lagerten. Was wird es wohl sein, wenn die Bettler aus dem ganzen Land zu uns kommen, bloß weil diese blöde Kuh, weil diese Burgi, sie versorgt? Sie hat es nicht begriffen - ähnlich wie viele eurer Politiker und Kommentatoren in den Medien es nicht begreifen, was es bedeutet, in einer Krise einen festen Boden unter den Füßen zu haben. Einen Boden, der aus dem Vertrauen auf Gott kommt. Willst Du es klipp und klar hören: Ich tat nur das, was ich mit meinen Kräften (letztendlich bequem) leisten konnte. Füllte mich weder für ganz Tirol verantwortlich, noch für die ganze Welt und die Bettler der ganzen Welt. Ich leistete das, was ich leisten konnte. Und was ich nicht leisten konnte, das übergab ich dem Herrn, der ja alles vermag. Bin ja selber nur die Burgi und nicht der liebe Herrgott! Dieses Glauben wegen, des Glaubens, der mir Gelassenheit schenkte und die Angst, die mich lähmte abschnitt - so abschnitt, wie ich das Korn mit der Sichel abgeschnitten habe -, dieses Glaubens wegen geschahen ja die vielen Wunder des Alltags. Verblüfft entdeckte selbst ich, dass ich viel mehr tun konnte als ich ursprünglich dachte.
Klar, dass ich eure Einwände schon höre. Ich weiß, dass viele von Euch darüber nur schmunzeln, wenn gar nicht nur lachen können, weil sie meine Lebensphilosophie nicht begreifen, nicht einmal nachvollziehen können. Weil ihnen ihr Alltag abgesichert zu sein scheint. Tot sicher gemacht! Durch Versicherungen, durch das beneidenswerte soziale System. Ich sage das ganz ohne Neid und Ressentiment” - sprach die Notburga weiter zu mir - “seid froh und glücklich darüber, dass der materielle Wohlstand euch einen Lebensstandard gebracht hat, von dem eure Großeltern unmöglich träumen konnten. Seid glücklich darüber, dass eure Kinder die Sichel höchstens noch als Spielzeug kennen, dass sie Bildung genießen und eine glückliche Kindheit haben. Seid froh und stolz darauf, dass Tirol vielen Menschen dieser Welt wie ein Paradies erscheint. Doch über eines müsstet euch schon im Klaren sein und dies nicht nur deswegen, weil in euren Medien immer wieder ironisch vom “heiligen Land Tirol” die Rede ist. Wenn ihr glaubt, dass ihr mittelfristig auf Gott verzichten könnt, dass ihr eure Religion als unwichtig und gestrig über Bord werfen könnt, dann wird sich euer Leben unwillkürlich verkrampfen. Wie sagte es so trefflich vor Kurzen ein islamischer Schriftsteller: “Unterdrückte Tradition kehrt als Zombie zurück”. Euch werden die gläubige Gelassenheit und auch die Hoffnung immer mehr abhandenkommen. Jener unsichtbare Boden auf dem im Grunde jeder Mensch sein Leben lang steht, wird euch weggezogen. Ihr oder eure Kinder werden dann dem Albtraum verfallen, dass ihr allein dieses eure Leben in der Hand habt, deswegen auch das Paradies bloß absichern musst, damit euch die Zukunft nicht abhandenkommt. So paradox es klingen mag: gerade deswegen wird euch die Zukunft abhandenkommen. Als moderne Menschen, Menschen die nur noch modern sein wollen, werdet ihr schon mitten im Leben módern! Wie die Ottilia von der Rottenburg werdet ihr euch bloß euren Schweinen oder Hunden zuwenden, weil euch die Mitmenschen anwidern werden.”
Liebe Schwestern und Brüdern, werte Pilgerinnen und Pilger, ich wachte auf: mit einem Schrei! Zu derb und zu drastisch wurde es mir in meinem Traum zumute, dem Traum von der feschen Frau. Schweißgebadet suchte ich meine Gedanken zu ordnen. Und es fiel mir ein, dass ich die Gelegenheit verpasst habe sie zu fragen, was nun der Grund sei, warum die Menschen jahrhundertelang zu ihr pilgern. Warum sie so unterschiedliche Menschen fasziniert. Warum unterschiedliche Zeiten so unterschiedliche Akzente setzen können? Warum man in ihr einmal den Prototyp einer Sozialarbeiterin sieht, einer Aktivistin zur Umverteilung des Reichtums, ein andermal die Gewerkschaftlerin, die Vorkämpferin für den arbeitsfreien Sonntag, bald vielleicht eine himmlische Asylantin, eine Fremde, die einst bloß durch die Unterstützung seitens der rechts- und mittellosen Menschen in der abgesicherten himmlischen Gesellschaft ein Bleiberecht bekommen habe. Und da fiel es mir ein, wie sie mich im Traum angesprochen hat. Wie sie mir meine Mutter in Erinnerung gerufen hat und sagte: das Wertvollste an ihr war ihr Grundvertrauen. Ihr Gottvertrauen und ihre Hoffnung, dass sie im Leben getragen bleibt. Ganz gleich was passiert! So müsste es auch mit der Notburga gewesen sein. So ist es auch weiterhin mit der Notburg. Sie konnte und kann zur Schützerin vor der Not werden, zur Schützerin in der Not, ganz gleich welcher Art die Not auch sein mag, sie konnte und kann zur Notburga werden, weil sie sich selber in ihrem Leben von einer Notburg beschützt wurde und auch wird: von der Notburg, die mit dem lebendigen Gott identisch ist.
Ich komme endlich zum Schluss: Land auf, Land ab wurden - liebe Schwestern und Brüder und diesmal auch werte Jungschützen - Land auf, Land ab wurden in den letzten Wochen und Tagen unzählige Menschen unseres Landes zu einer Notburg für Flüchtlinge und Migranten. Eine beispiellose Welle der Empathie rollt immer noch durch das Land. Empathie, die aber begleitet ist durch Ängste vor der Zukunft. Ängste, dass uns die Fremden mittelfristig, den Boden unter den Füßen wegziehen werden. Man soll die Ängste nicht banalisieren, aber auch nicht weg reden. Von allem sollen es nicht diejenigen tun, die meinen, sie haben nichts zu verlieren. Migration von einem derart großen Ausmaß wird Opfern fordern. Wir werden diese Opfer freiwillig bringen, oder sie werden uns abgenötigt. Eine andere Alternative gibt es nicht. Und wer kann sich schon frei verschenken? Verschenken auch dort, wo es weh tut?
“Um das Christentum besorgt” - so lautete eine Schlagzeile in den vergangenen Tagen in einer großen Tageszeitung. Die vielen Muslime, die da nach Europa kommen, bedrohen die christliche Identität des Kontinents, so der Grundtenor etlicher Debatten. Deswegen auch hin und wieder der Vorschlag, wir sollen nur den Christen helfen.
“Moment mal!” - meldet sich diesmal Notburga selber zu Wort. “Wir helfen doch nicht, weil die Flüchtlinge christlich oder katholisch sind, sondern weil WIR christlich, oder katholisch sind! Und das Christentum in Europa wird es nur dann geben - Notburga zitiert nun ihre Schwester aus der Politik, sie zitiert die berühmte Angela - ‘das Christentum wird es in Europa nur geben, wenn WIR doch den Mut aufbringen zu sagen, dass wir Christen sind und selber auch öfters einen Gottesdienst besuchen, anstatt bloß Ängste vor Islamisierung zu pflegen’”
Und die fesche und resolute Frau hebt noch einmal ihre Sichel in die Luft und bittet Gott: Diese ihre Sichel möge unsere Ängste wegschneiden, diese ihre Sichel möge Löcher in die Sackgassen unseres Alltags bohren. Gott selber möge mit der Notburga-Sichel all das, was wir schon tun und auch zu tun gedenken abschneiden, er möge aber auch all die Anzeichen von Hoffnungen, von denen die Flüchtlinge und Migranten getragen werden, auch ihr religiöses Grundvertrauen, das ja meistens stärker ist als das unsrige, vom dem wir auch etwas für uns und unsere Religiosität lernen können, Gott möge all das abschneiden und zu Garben binden. Auf dass daraus Brot werde: Brot des Lebens, Brot der gegenseitigen Hingabe. Jenes Brot, das vom Himmel selbst gekommen ist und uns alle nährt auf unseren Wegen in unserem Tiroler Paradies, aber auch auf unserem Weg in das wahre Paradies, den Himmel selbst!
Ende
Die Heilige Notburga
Notburga wurde um das Jahr 1265 als Tochter eines Hutmachers im Tiroler Ort Rattenberg geboren. Als Dienstmagd und „Küchenchefin“ auf Schloss Rottenburg verteilte sie die Reste der Burgmahlzeiten und alles, was sie sich selbst vom Mund absparte, an die Armen der Umgebung.
Notburga starb heute vor 701 Jahren, am 13. September 1313. Bald setzten Wallfahrten zu ihrem Grab ein. 1735 erlaubte der Bischof von Brixen, Notburgas Skelett zur Ganzkörper-Reliquie zu machen. Ungewöhnlich: Sie liegt nicht, sondern steht aufrecht hinter einer Tafel des Hochaltars der St. Notburga-Kirche von Eben am Achensee.
Dargestellt wird Notburga als Brot austeilende Magd, mit Milchkrug und Sichel, gekleidet ist sie immer in Tracht mit Schürze. Daher bemühten sich die österreichischen Trachten- und Heimatverbände um ihre Ernennung zur „Trachtenheiligen“. Schließlich erteilte die österreichische Bischofskonferenz Im März 2008 den „Trachtlern“ offiziell die Erlaubnis, die Heilige Notburga als Patronin zu verehren. Angerufen wird Notburga als Patronin der Dienstmägde und der Bauern, in allen Nöten der Landwirtschaft (ihr Name bedeutet „Schützerin in der Not“), aber auch des Feierabends und der Sonntagsruhe.