Motivation und Erfrischung für einen gemeinsamen Weg

„Sonntag der Völker“ und „Welttag der Migranten und Flüchtlinge“ im Innsbrucker Dom

Ein Miteinander im Glauben über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg: So präsentierte sich auch heuer wieder der „Sonntag der Völker“. Zugleich wurde der „Welttag der Migranten und Flüchtlinge“ begangen. Beide Gedenktage stehen im Zeichen der internationalen Solidarität und Vielfalt der Kirche und rufen dazu auf, sich weltweit für würdige Lebensbedingungen einzusetzen. Zur hoffnungsvollen Ermutigung wird dabei das Motto von Papst Franziskus: „Gott ist mit seinem Volk unterwegs“

 

Muttersprachliche katholische Gemeinden Innsbrucks feierten im Innsbrucker Dom zu St. Jakob mit dem neuen Propst Jakob Bürgler. Der Gottesdienst wurde mit Liedern, Gebeten und Tänzen aus den Heimatländern der muttersprachlichen Gemeinden gestaltet. Im Anschluss fand ein "Begegnungsfest" auf dem Domplatz statt. 

 

Predigt von Propst Jakob Bürgler

Ganz so vorbildlich benehmen sich die Jünger Jesu nicht. Zuerst ist es Petrus, der seinem Meister ordentlich und heftig widerspricht. Und heute folgt ihm Johannes. Er will nicht, dass jemand im Namen Jesu auftritt, der nicht der Gruppe der Jünger nachfolgt. Jesus soll ihm das untersagen.

Jesus überrascht – den Johannes und uns. Eigentlich ist das Anliegen des Johannes ja nicht unlogisch und schlecht. Wer wird denn schon froh darüber sein, wenn jemand einfach hergeht und im Namen eines anderen – ohne ihn zu fragen – auftritt. Jesus reagiert anders als erwartet: „Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden.“ (Mk 9,39)

Für Jesus ist es wichtiger, dass Heilung geschieht, dass Menschen wieder aufatmen können, dass niederdrückende Lasten beseitigt werden, als dass alles kontrolliert wird und eingeschränkt und den eigenen Prinzipien untergeordnet. Es geht ihm um das Prinzip der Menschlichkeit, das über allem steht.

Jesus denkt viel weiter als seine Jünger. Er weitet den Horizont. Er lässt sich nicht einschränken durch Traditionen, durch Gewohnheiten, durch Ängste – auch nicht durch noch so gut gemeinte Ordnungsrufe. Er will, dass sich seine gute Nachricht verbreitet und dass sie wirksam wird, auf welchen Wegen auch immer.

Und deshalb dreht er ein – menschlich gesehen – total nachvollziehbares Wort um. Wir Menschen denken so: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich! Wer sich nicht loyal zu mir verhält, der soll gehen!“ Jesus dreht den Satz um: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ (Mk 9,40) Das öffnet einen weiten Raum, einen Spielraum. Das macht viel mehr möglich.

Wer sich Christin oder Christ nennt, wird versuchen, diese Haltung Jesu zu leben, einzuüben, immer wieder neu zu lernen. Ganz einfach ist das nicht: Denn natürlich gibt es Ängste und Bedenken. Das Weiten und Auftun ist ein Risiko. Aber es ist auch eine Chance. Viele kleine und große Wunder können nur so geschehen.

Weiten. Auftun. Das Anliegen ist topaktuell. Überall werden wieder Mauern hochgezogen. Die politische Sprache ist zunehmend geprägt von den Themen Grenzzaun, Abschottung, Festung Europa, Schutz. Was damit an menschlicher Tragik und an Leid verursacht wird, das wird verschwiegen. „Sorgenvoll blicke ich dabei auf die stetig steigende Zahl der weltweit Vertriebenen, unter ihnen 47 Millionen Kinder, und die zugleich wachsende Skepsis, verhärtete Sprache sowie Abschottung gegenüber Geflüchteten und Migranten. Niemand verlässt seine Heimat aus Jux und Tollerei und begibt sich auf eine lebensgefährliche Reise ins Ungewisse.“

Natürlich gibt es auch Probleme mit der Integration, mit Menschen, die die Kulturveränderung nicht schaffen, die innerlich nicht „landen“ können. Und da braucht es klare Regeln, Mechanismen, die greifen, Konsequenzen. Aber alles mit Maß. Es gibt so viele Menschen, die eine Bereicherung für uns sind, für unser Land, nicht nur als Arbeitskräfte, aber auch. Menschen, die ganz wesentlich an der Zukunft unseres Landes mitbauen. Ich selber kenne etliche davon. Mit ihnen und für sie gilt es, für die Weite zu kämpfen, dafür, den anderen zuerst einmal das Gute zu unterstellen, ihren Wert zu sehen, ihre Chancen, die Chancen auch für uns.

Jesus lässt sich nicht lähmen von der Angst der kleinen Schar, die scheinbar die Macht verliert und nicht mehr alles kontrollieren kann. Jesus sieht das Potential. Wenn Menschen aufleben und aufatmen können, dann ist das Reich Gottes da.

Diese Weite und diesen Mut zur Freiheit brauchen wir auch in der Kirche. Zu vieles hat sich angestaut. Über zu vieles durfte nicht nachgedacht werden. Papst Franziskus bittet darum, weit zu denken, mit Freimut zu reden. Und trotz aller berechtigten Sorge über unrealistische Erwartungen an die zweite Synodalversammlung in Rom, hoffe und bete ich, dass weit gedacht wird, dass neue Möglichkeiten erschlossen werden, dass nicht die Angst vor der Freiheit siegt, dass der Freimut neue Wege weist.

Weiten. Auftun. Diese Haltung Jesu zeigt sich nicht nur in großen Worten und Taten. Sie zeigt sich oft im ganz Kleinen. Es gibt nichts, was zu winzig wäre, um die Haltung Jesu gründlich einzuüben. Im Kleinen beginnt das Große. Das steht hinter den Aussagen von der Hand, dem Fuß, dem Auge, die entfernt werden sollen. Achte darauf, was sich bei dir im Kleinen tut.

Der Talmud, die mündliche Lehre der Gesetze und der religiösen Überlieferungen im Judentum, kennt ein eindrückliches Motto: „Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.“

Wer möchte behaupten, dass wir in diesem Punkt nicht schon längst Grenzen überschritten haben? Die Sprache verrät uns. Vorwahlzeiten sind besonders dafür angetan, jede Hemmung zu verlieren. Eine Sprache, die verächtlich macht und erniedrigt, die die Menschenwürde für politischen Einfluss und Stimmenfang aufgibt, eine solche Sprache zerstört. „Menschlichkeit darf nicht unter die Räder politischer Scharfmacherei kommen.“ Im Kleinen beginnt das Große.

Umso wichtiger und schöner ist das, was wir heute tun und erleben. Menschen unterschiedlichster Herkunft, Prägung, Kultur feiern gemeinsam ihre Hoffnung, ihren Glauben. Jesus Christus ist das Fundament, das trägt. Das in allen Auseinandersetzungen die Richtung vorgibt und verbindet. Christus ist die Mitte. In ihm gehören wir zusammen und bauen an einer neuen Welt. Danke euch allen für dieses wunderbare Zeugnis!

Fotos: Sigl/dibk.at