Martyrium: Über den schleichenden Wandel eines Begriffs

Mit dem schleichenden Bedeutungswandel des christlichen Begriffes des Martyriums befasst sich ein neues Buch, das an der Theologischen Fakultät vorgestellt wurde.

Ein bewusster Kontrapunkt zu einer schleichenden Umdeutung des Begriffes des Martyriums ist ein neues Buch, das der Dekan der Theologischen Fakultät der Uni Innsbruck, Prof. Jozef Niewiadomski, vor kurzem präsentiert hat. Eine Verschiebung der Bedeutung dieses Begriffs ortet Niewiadomski einerseits im Mythos rund um Andreas Hofer, noch aktuelle aber in den Selbstmordattentätern, die von islamistischen Gruppen als Märtyrer bezeichnet werden. In Wahrheit seien sie jedoch "Opfer, und nur Opfer, sie sind weder Helden noch Märtyrer", so Niewiadomski. Der Bedeutungswandel des Begriffs Märtyrer sei keineswegs zu verharmlosen, so der Theologe, schon allein deswegen, "weil viele Zeitgenossen, von den Kindern der nächsten Generation schon ganz zu schweigen, die katholischen Märtyrer in unseren Kirchen als Prototypen der heutigen Selbstmordattentäter anschauen werden.

Ernstfall des GlaubensDas Martyrium im christlichen Verständnis sei kein fanatischer Akt, sondern der Ernstfall des Glaubens: "Nicht das Getötetwerden, sondern die Gesinnung, in der man stirbt, macht den Märtyrer aus". Der Bedeutungswandel mache daraus ein "Schreckenswort und zum Synonym für die schrankenlose Ermächtigung zum Töten für den Glauben", so Niewiadomski.

Hingabe, nicht TodessehnsuchtDas Buch verfolge vor allem zwei Anliegen, stellt Niewiadomski fest: Zum einen gehe es darum, "die Pflege des Erbes von 1809 nicht dem Folklore-Ramsch im Andenkenladen zu überlassen: Das Projekt ist also Protest gegen das Verkitschen der Tradition." Andererseits wolle das Buch gegen das Vorurteil antreten, das Martyrium habe etwas mit Fanatismus zu tun. Niewiadomski: "Die Haltung der Märtyrer ist nicht auf den Tod fokussiert, sondern auf das Leben, auf die Hingabe. Nicht die Todessehnsucht und auch nicht das Töten der Gegender und der Feinde prägt ihr Geschick, sondern die Hingabe an einen Gott, der nicht identisch ist mit dem Teufelskreis der Gewalt, in dem sie stecken."

Erfundene Tiroler IdentitätIm Falle Hofers handle es sich um eine „folkloristische Selbstinszenierung von erfundener tirolischer Identität“, ergänzte Prof. Brigitte Mazohl. Das Wissen über die damalige Zeit sei längst verloren gegangen und durch eine Projektionsfläche ersetzt worden, die heute weitgehend leer ist. „Geblieben sind die sehr viel später erfundenen Ideale einer gelegentlich zur Folklore gerinnenden ‚Tirolität’, die es um 1800 in dieser Form niemals gegeben hat“, sagte Mazohl. Es sei Aufgabe der kritischen Geschichtswissenschaft, die Entstehungsgeschichte von Mythenbildungen solcher Art zu dekonstruieren und der Geschichte ihre Würde zurückzugeben.

"Armer Sünder"Prof. Roman Siebenrock von der Theologischen Fakultät stellte bei der Präsentation des Sammelbandes die Testamente Andreas Hofers und des Trappistenmöchs Christian des Chergé gegenüber. Das Testament des Trappisten sei eine „Perle des christlichen Martyriums“ , so Siebenrock, „das in Zeiten entfesselter Gewalt mit der armen, gewaltfreien Liebe Christi im Herzen und vor Augen versöhnen möchte.“ Die genaue Lektüre von Hofers Testament offenbare eine zerrissene und widersprüchliche Person, die so gar nicht zum Heldenbild der Folklore passen mag: „Der arme Sünder, in der Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes: Wo in unserer Öffentlichkeit und Erinnerungskultur hat er je einen Platz erhalten?“

Der Sammelband „Opfer - Helden - Märtyrer“, herausgegeben von Józef Niewiadomski und Roman A. Siebenrock in Zusammenarbeit mit Hüseyin I. Cicek und Mathias Moosbrugger, ist im Tyrolia-Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.

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