Jägerstätter-Gedenken: Aufruf zu einer "Kultur des Lebens"

Jesuit Marte kritisiert bei Abschlussgottesdienst des Gedenkens in St. Radegund VfGH-Entscheidung mit Aufhebung des Verbots der Beihilfe zum Suizid - Ordensmann: Es braucht zu dieser gesellschaftlichen Entwicklung klares christliches Gegenprogramm

Zu einer "Kultur des Lebens" hat P. Christian Marte aufgerufen. Der Rektor des Innsbrucker Jesuiten-Kollegs stand am Montagabend dem Abschlussgottesdienst des diesjährigen Jägerstätter-Gedenkens in St. Radegund vor. Er kritisierte in seiner Predigt heftig die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zur Aufhebung des Verbots der Beihilfe zum Suizid. Marte sprach in diesem Zusammenhang von einer "Kultur des Todes".

 

"Bisher galt in Österreich die Suizidprävention: Suizide sollten verhindert werden. Jetzt gilt die Suizidassistenz, das Recht auf Unterstützung beim Suizid", so der Jesuit. Der logisch nächste Schritt sei die Erlaubnis zur Tötung auf Verlangen, die von einer Parlamentspartei auch schon verlangt werde, warnte Marte. Er halte das VfGH-Erkenntnis jedenfalls für ein echtes Fehlurteil, und es brauche zu dieser gesellschaftlichen Entwicklung ein klares christliches Gegenprogramm.

 

Dazu gehörten zuerst Empathie und Mitgefühl für Menschen, die sich mit Suizid-Gedanken beschäftigen; bei schwerer Krankheit, in scheinbar aussichtslosen Situationen, bei Depressionen und Schicksalsschlägen, bei Angst und Einsamkeit. Marte: "Wir helfen diesen Menschen konkret: durch Besuche, Gespräche und durch fachliche Hilfe, damit eine schwierige Lebenssituation wieder erträglich wird. Dazu gehören auch alle medizinischen Möglichkeiten der Schmerzlinderung, gerade in den stationären und mobilen Hospizen und Palliativstationen."

 

Zweitens brauche es bei den Christen Klarheit über das Fünfte Gebot: "Du sollst nicht töten." Marte: "Wir wissen, wie komplex medizinische Situationen sind, gerade auch am Lebensende. Und wir können damit auch umgehen. Die Hilfe bei der Tötung von Menschen ist aber für Christen nicht erlaubt, auch wenn sich jemand das für sich selbst wünscht oder wenn es das Gesetz ermöglicht." Beim Fünften Gebot gebe es wenig Spielraum: für einzelne nicht und auch nicht für katholische Institutionen.

 

Und schließlich brauche es drittens den öffentlichen Einsatz für den Schutz der Schwachen, der älteren Menschen, der finanziell Armen, der Behinderten, der Gefangenen und der schwer Kranken. Das sei heute aber nicht populär, kritisierte Marte: "Wichtig ist, dass man reich, schön und gesund ist. Man muss leistungsfähig sein, man muss stark sein - und man muss konsumieren können. Sonst geht angeblich die Menschenwürde verloren."

 

Der Sozialdarwinismus vergangener Zeiten sei wieder da. "Er kommt im Gewand der Selbstbestimmung daher", so der Jesuit: "Dagegen protestieren wir: als getaufte Christen und als Staatsbürger. Wer sich für die Tötung von Menschen einsetzt, der soll uns in dieser Sache als Gegner erkennen."

 

Wenn nun die Regierung hinsichtlich des assistierten Suizids einen Gesetzesvorschlag für das Parlament erarbeitet, dann sei es wichtig, "dass die besonders gefährdeten Menschen geschützt werden - vor dem Druck der Verwandten, vor innerem Druck, vor Geschäftemachern". Als Gefängniskaplan sei es ihm zudem wichtig, so Marte, "dass Häftlinge ausdrücklich keinen Zugang zur Suizidbeihilfe erhalten". Besonders kranke Gefangene sehe er als stark gefährdet an, den assistierten Suizid als Ausweg aus ihrer schwierigen Situation zu wählen.

 

Botschaft der Zuversicht formulieren 

Am Grab von Franz und Franziska Jägerstätter könne man die Kraft dafür bekommen, sich mit diesem schwierigen Thema auseinanderzusetzen "und eine Botschaft der Zuversicht zu formulieren, die uns von einer Kultur des Todes zu einer Kultur des Lebens führt". Franz und Franziska Jägerstätter seien gemeinsam durch sehr schwierige Zeiten gegangen und dabei immer ihrem Gewissen gefolgt, betonte der Ordensmann.

 

Im Nationalsozialismus sei versucht worden, mit allen Mitteln die Gesetze Gottes außer Kraft zu setzen. Franz und Franziska Jägerstätter hätten diesen Kulturbruch durch  die Nazis erlebt. Sie wussten, "was es heißt, wenn die Gebote Gottes nicht mehr eingehalten werden".

 

Ein besonders perfides Verbrechen der Nazis sei die Euthanasie, die Tötung von behinderten Menschen, von Kranken, Alten und Gefangenen gewesen. Doch das Euthanasie-Projekt der Nazis habe eine lange Vorgeschichte gehabt, erinnerte Marte. Es sei nicht plötzlich gekommen: "Die Stimmung in der Gesellschaft war schon ab 1890 so: Wer nichts leisten kann, wer der Gesellschaft nichts bringt und ihr zu Last fällt, dessen Leben ist wertlos. Es war die Zeit des Sozialdarwinismus: nur die Starken sollen überleben."

 

78. Todestag des Seligen 

Das Jägerstätter-Gedenken zum 78. Todestag des Seligen wurde mit einem Vortrag der Jägerstätter-Biografin Erna Putz über "Franziska - eine Frau in Beziehungen" eröffnet. Es folgten eine von Pax Christi gestaltete Andacht zur Todesstunde, eine spirituelle Wanderung sowie der Gottesdienst in der Kirche St. Radegund mit Pater Marte. Abgeschlossen wurde das Gedenken mit einer Lichtfeier am Grab von Franz und Franziska Jägerstätter.

 

Der Landwirt und NS-Gegner wurde am 20. Mai 1907 als Franz Huber in St. Radegund im Innviertel geboren. Er starb am 9. August 1943 im deutschen Brandenburg-Görden. Als Kriegsdienstverweigerer im Zweiten Weltkrieg wurde er wegen "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt und hingerichtet. Seit 2007 wird Franz Jägerstätter in der Katholischen Kirche als Seliger verehrt. Jägerstätters Ehefrau Franziska, die für seinen religiösen Glauben eine große Rolle spielte, verstarb am 16. März 2013, wenige Tage nach ihrem 100. Geburtstag.

 

 

Eine Meldung von www.kathpress.at