Genetische Veränderungen des Erbgutes von Embryonen sind höchst bedenklich

Die Entscheidung der britischen Behörde für menschliche Befruchtung und Fortpflanzung, einem Forscherteam die genetische Veränderung des Erbgutes von Embryonen zu erlauben, hat heftige Diskussionen ausgelöst. Eine theologisch-ethische Stellungnahme.

Die Entscheidung der britischen Behörde für menschliche Befruchtung und Fortpflanzung (HFEA), einem Forscherteam des Francis-Crick-Instituts in London die genetische Veränderung des Erbgutes von Embryonen zu erlauben, hat europaweit heftige Diskussionen und ethische Bedenken ausgelöst.

Die Diözese Innsbruck bat den Moraltheologen und Ethiker Martin M. Lintner, PTH Brixen, um eine Beurteilung aus seiner Sicht. Nachstehend seine theologisch-ethische Erklärung und Stellungnahme. 

 

1. Worum geht es? 

Das Forscherteam will die genetischen Ursachen dafür erforschen, dass ein hoher Prozentsatz (ca. ein Drittel bis die Hälfte) der künstlich befruchteten Eizellen nicht entwicklungsfähig ist bzw. bereits innerhalb der ersten Woche abstirbt, an deren Ende ein Embryo das sogenannte Blastozysten-Stadium erreicht. Das Team erhofft sich, durch die Beobachtung der Entwicklung zur Blastozyste eines genetisch veränderten Embryos zu erkennen, welche Gene für eine erfolgreiche Entwicklung in dieser Phase verantwortlich sind, bzw. die Ursachen für Fehlentwicklungen zu erkennen, die nicht nur die Entwicklungsfähigkeit eines Embryos behindern, sondern in Folge auch Fehl- oder Totgeburten zur Folge haben können. Durch die Präimplantationsdiagnostik könnte verhindert werden, dass im Rahmen der künstlichen Befruchtung Embryonen mit bestimmten genetischen Defekten, die für die genannten Komplikationen verantwortlich sein können, einer Frau implantiert werden. Nach derzeitigem Ansinnen würden für die Forschungen ausschließlich sogenannte „überschüssige Embryonen“ verwendet, die im Rahmen der künstlichen Befruchtung „übrig geblieben“ sind und von den Eltern für die Forschung freigegeben werden. Nach dem Erreichen des Blastozysten-Stadiums ließe man die Embryonen abstreben und sie würden entsorgt.

 

2. Welches sind die ethischen Bedenken? 

Aus ethischer Perspektive sind diese Forschungen in mehrfacher Hinsicht problematisch.

 

a) Das Argument der Totalverzweckung 

 In Österreich und Deutschland ist die verbrauchende Embryonenforschung grundsätzlich verboten, d.h. die Forschung an überschüssigen Embryonen, die man dann abstreben lässt und entsorgt. Der Hauptgrund des Verbotes ist folgender: Es handelt sich um die Forschung an einem Menschen in der embryonalen Phase, aus der der betroffene Mensch selbst keinerlei Nutzen zieht, sondern die vielmehr seinen Tod zur Folge hat. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in mehreren Urteilen festgehalten, dass ein Organismus, der geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen, als menschlicher Embryo zu behandeln ist. Sowohl das Verbot der Herstellung von Embryonen für Forschungszwecke als auch der verbrauchenden Forschung an überzähligen Embryonen, die zwar für die Reproduktion hergestellt, jedoch nicht in die Gebärmutter transferiert werden, gründet darin, dass ein Mensch in keiner Phase seines Lebens total verzweckt werden darf. Genau dies geschieht aber durch die verbrauchende Embryonenforschung. Der Zweck eines Embryos besteht in diesem Fall ausschließlich darin, dass durch Forschungen an ihm ein Erkenntnisgewinn erzielt werden soll, der ihm selbst nicht zugutekommt, sondern ausschließlich Dritten.

 

b) Die Problematik des „Designerbabys“ 

Die ethische Problematik verschärft sich im Falle der gentechnischen Manipulation des Erbgutes eines Embryos. Zusätzlich zur Totalverzweckung eines Menschen kommt hier die Tatsache dazu, dass in das Erbgut eines Menschen eingegriffen wird. Selbst wenn die Forscher derzeit betonen, dass es ihnen nur um Grundlagenforschung geht und nicht darum, die genetisch manipulierten Embryos in die Gebärmutter zu implantieren und mit ihnen eine Schwangerschaft herbeizuführen, würden damit für die Zukunft Wege eröffnet, das Erbgut von Embryonen gezielt zu verändern. Dadurch könnten nicht nur genetisch bedingte Krankheiten verhindert, sondern auch konkrete Eigenschaften „hergestellt“ werden. Die umgangssprachlich als „Designerbaby“ bezeichnete Möglichkeit der Reproduktionsmedizin gewinnt hier eine neue Brisanz – wiederum mit all den ethischen Grundsatzfragen wie beispielsweise: Wird ein solches Kind um seiner selbst willen gewollt und gezeugt oder aber aufgrund von gewissen Eigenschaften, die durch genetische Manipulation hergestellt werden? Durch die Präimplantationsdiagnostik ist es bereits jetzt möglich, bestimmte genetische Merkmale festzustellen, beispielsweise das Geschlecht, und in Folge jene Embryonen auszusondern, die für die Implantation und Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden, weil ein Embryo den gewünschten Merkmalen entspricht. Das geschieht z. B. bei der Implantation von sogenannten „Rettungskindern“, die durch ihr Erbgut, das im Vorfeld auf seine entsprechende Tauglichkeit überprüft worden ist, einem kranken Geschwisterkind helfen sollen, etwa durch die Gewinnung von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut oder als Spender von Stammzellen aus dem Knochenmark. Auch hier handelt es sich um eine Verzweckung eines Menschen zugunsten eines Dritten. Seine Würde, die in der Anerkennung der Selbstzwecklichkeit Ausdruck findet, wird dadurch verletzt.

 

c) Die ethische Problematik des Gen-Editing: möglicher Eingriff in die Keimbahn 

Die Manipulation des Erbgutes wird durch Techniken möglich, die auch als Gen-Editing bezeichnet werden. Ein solches Verfahren ist z. B. die CRISPR/Cas9-Methode. Durch sie können Gensequenzen wie ein Text bearbeitet werden, das bedeutet, dass bestimmte Abschnitte eines Gens entfernt, verschoben, korrigiert oder neu codiert werden können. Dadurch können nicht nur Embryonen mit bestimmten genetischen Eigenschaften individualisiert, sondern diese Eigenschaften auch gezielt hergestellt werden. Der nächste mögliche Schritt ist die genetische Veränderung der Keimbahn, also des Genoms bzw. der genetischen Informationen, die bei der Zeugung eines Kindes weitervererbt werden und die damit nicht mehr nur das betroffene Individuum selbst betreffen, sondern auch künftige Generationen. Ziel wäre damit nicht mehr nur die Vermeidung einer genetischen Erkrankung oder deren Therapie, sondern die Optimierung des Genoms, das weitervererbt wird, weshalb Kritiker von einer „eugenischen künstlichen Evolution“ sprechen. Das würde einen ethisch höchst bedenklichen Eingriff in die physische Disposition und Integrität dieser Nachkommen bedeuten, der nicht nur ihrem Selbstbestimmungsrecht widersprechen, sondern auch eine eugenische Mentalität fördern würde mit all den negativen Konsequenzen auf individueller wie sozialer Ebene. Auch die Risiken solcher Eingriffe in die Keimbahn – etwa hinsichtlich der langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit – könnten nach derzeitigem Wissenstand nicht abgeschätzt werden.

Martin M. Lintner, PTH Brixen 

 

Lebenslauf von Martin M. Lintner unter http://www.hochschulebrixen.it/de/philosophisch-theologische-hochschule-brixen/lehrende/11-team-lintner-prof-dr-martin-m-osm.html

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