Fratelli tutti ist "theologisch-politisches Testament"

Bischof Glettler gegenüber "Vatican News": Schlüsselbegriff in Lehrschreiben ist "globale Geschwisterlichkeit", an der sich Zukunft entscheidet.

Mit "Fratelli tutti" hat Papst Franziskus "eine Art Testament" vorgelegt - ein "theologisch-politisches Testament", in dem er viele schon zuvor getroffene Aussagen zusammenfasst. Diese Einschätzung hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler in einem Interview von "Vatican News" abgegeben. Ein Schlüsselbegriff in dem Lehrschreiben sei "globale Geschwisterlichkeit", an der sich Wesentliches entscheidet, wie Glettler hinwies: "Nämlich ob wir als Söhne und Töchter dieses einen Vaters auf dieser Welt lernen, miteinander umzugehen oder nicht: Daran entscheidet sich die Zukunft. Ob wir fähig sind, als Geschwister, denn durch den Mensch gewordenen Gott sind wir Geschwister, in Geschwisterlichkeit zu leben, in einer verbindlichen Freundschaft."

Die katholische Kirche stehe als "Global Player und global Prayer" für ein Gegenkonzept zum weltweit beobachtbaren Erstarken des Nationalismus, betonte der Bischof. Dieser grenzüberschreitende Akzent sei begründet in der Glaubensüberzeugung, dass Christus in jedem Menschen "persönlich da ist", unabhängig von Lebensort, Kultur oder Hautfarbe. Bewegungen wie Sant'Egidio oder die Päpstlichen Missionswerke (missio) bilden laut Glettler ein globales Netzwerk und stünden für den "Atem des Katholischen, den wir jetzt brauchen". Für das Bewusstsein, "dass wir weltweit Geschwister sind und aus diese Geschwisterlichkeit niemanden ausschließen sollten", gebe es einiges zu tun, erklärte Bischof Glettler.

 

Die vom Papst kritisierte Re-Nationalisierung, bei der jedes Land nur an sich selber denke, verlange nach einem großzügigeren "Teilen von dem, was wir an Lebensmöglichkeiten haben". Glettler sprach hier auch die an Europa gerichtete Anforderung an, nicht an seinen Grenzen stehenzubleiben, sondern in Afrika zu investieren. "Das dürfen wir - wenn wir es rein wirtschaftlich sehen - nicht den Chinesen überlassen." Es gehe um ein "großzügiges Ermöglichen, dass auf diesem großen Kontinent Afrika Menschen nicht flüchten müssen". Über die Wirtschaft und Bildung gelte es dort Chancen zu eröffnen.

 

Inhalte "prophetisch und unbequem" 

Die Enzyklika "Fratelli tutti" ist nach dem Eindruck des Innsbrucker Bischofs ein mit Leidenschaft vorgetragenes Konzentrat des Denkens von Papst Franziskus. Die Inhalte seien so prophetisch wie unbequem, ein "Kreisen um Verwundungen unserer Zeit". Glettler: "Die prophetische Intensität des Schreibens ist gewaltig, [...] sich dem zu stellen und das auszuhalten und zu sagen, wir müssen wirklich unsere Lebensstile verändern, unsere Art und Weise des globalen Zusammenlebens verändern, das ist eine große Herausforderung."

In dem "vielleicht auch eine Spur langen" Text der Enzyklika (die deutsche Übersetzung umfasst 80 A4-Seiten, Anm.) kommen laut Glettler alle wesentlichen Themen vor, "möglicherweise nicht in der Differenziertheit" wie in vorangegangenen Dokumenten. Beim Thema Islam zum Beispiel fehle der Hinweis darauf, dass diese Religion die derzeit politisch "am stärksten missbrauchte ist" und dass es in islamistisch dominierten Ländern eine Verfolgung Andersgläubiger gebe. Andererseits sei es "beglückend", dass der Papst in "Fratelli tutti" ganz selbstverständlich einen Imam mehrfach zitiert - "man merkt, sie sind befreundet".

Bischof Glettler wünschte sich jetzt Konferenzen und Symposien, um sich dem Text zu stellen. "Man darf ihn nicht abtun und sagen, der Papst hat ja keine Ahnung von Wirtschaft." Und wenn Franziskus sage, dass eine spezifische Art des globalen Wirtschaftens so vielen Menschen die Lebensgrundlage raubt und so viele Menschen in den Ruin  bringt - "da ist tatsächlich etwas zu tun", befand Glettler.

Das gesamte Interview zum Nachlesen findet sich unter www.vaticannews.va/de/kirche/news/2020-10/glettler-fratelli-tutti-politisches-testament-papst-franziskus.html 

Eine Meldung von www.kathpress.at 

An der "globalen Geschwisterlichkeit" wird sich die Zukunft entscheiden. Bild: pixabay