Bsichof Kräutler: Papst lebt Grundlagen der Befreiungstheologie

Bischof Erwin Kräutler erinnert sich in einem Interview für die Kirchenzeitung Tiroler Sonntag an den "uneitlen und ehrlichen Einsatz" Bergoglios für die Armen.

Der austrobrasilianische Bischof Erwin Kräutler (73) geht davon aus, dass Papst Franziskus der Kirche "noch einiges zum Auflösen gibt und für Überraschungen sorgt". Wie der Bischof der Amazonas-Diözese Altamira-Xingu und Träger des Alternativen Friedensnobelpreises im Interview mit der Kirchenzeitung Tiroler Sonntag betonte, habe der Papst in seiner Laufbahn nie Stellung zur Befreiungstheologie bezogen, habe deren Grundlagen jedoch vertreten und gelebt. "Und das zählt", so Kräutler, der sich zugleich gegen "europäisches Schubladendenken" wehrte.
Besonders hob Kräutler hervor, dass Franziskus die Armen nicht bloß zu trösten versuche, sondern ihre Situation mit wachem Blick hinterfrage, Verantwortliche und Strukturen hinter Armut und Ausgrenzung klar benenne. Auch glaube der Papst, dass Gott "unter diesem Volk ist und mit ihm geht", statt ein Gott in der Ferne zu sein. Die frühere Bezeichnung als "Bischof der Armen" sei nicht zufällig gewesen, doch auch mit seiner Namenswahl "Franziskus" habe er sich "die Latte hoch gelegt, die Armen stets im Blick zu haben".
Kräutler bescheinigte dem Papst, dem er bei der Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe 2007 begegnet war, Bescheidenheit. Bei diesem Treffen in Aparecida habe der damalige Kardinal Bergoglio einen "schwierigen Job" als Vorsitzender der Redaktionskommission für den 350-seitigen Schlusstext erfüllt. "Ich denke, es ist auch
Bergoglios uneitlem und ehrlichem Einsatz zu verdanken, dass zum Schluss ein Dokument herausgekommen ist, das ich mir kaum zu erhoffen wagte", so Kräutler, der hier auf die Bekräftigung der "Option für die Armen" von Puebla 1979 sowie der Bedeutung der
Basisgemeinden in Lateinamerika verwies. Auch in seinen bisherigen Äußerungen als Papst habe Franziskus viele Inhalte dieses Dokuments anklingen lassen.
"Große Echtheit" erblickt der Bischof von Xingu darin, dass der Papst ein in der Glaubens- und Lebensrealität Lateinamerika Verwurzelter geblieben sei, statt diplomatisch eine erwartete Rolle zu erfüllen. Er hoffe, so Kräutler, dass sich nun die Kirche "ein Stück von Europa abnabelt" und weltkirchliche Erfahrungen stärker zur Geltung kämen. Auch die Einladung des Papstes, der sich zunächst als Bischof von Rom vorstellte und die "Schwesternkirchen" zum gemeinsamen Weg einlud, sei "ein starkes Zeichen".
Worauf er persönlich hoffe, so Kräutler, sei eine Umgestaltung der Kirchenleitung nach dem Subsidiaritätsprinzip: Ortskirchen sollten aufgrund ihrer besseren Kenntnis der jeweiligen Situation mehr selbst entscheiden dürfen, wobei zur Förderung des Zusammenhalts zugleich die Kollegialität mit dem Papst gestärkt werden müsse. Gut vorstellbar sei es, dass zukunftsentscheidende Fragen "weltweit breit diskutiert werden und dass dann auf dieser Basis die Vertreter der Bischofskonferenzen gemeinsam mit dem Papst die notwendigen Entscheideungen treffen". Zudem wünschte Kräutler mehr internationale Experten und Laien - auch Frauen, wie er betonte - als enge Mitarbeiter des Papstes.
  

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