Bischof kritisiert "gefährliche Diskursunfähigkeit" in Pandemie

In "Tiroler Tageszeitung": "Wenn notwendige Corona-Maßnahmen mit Verordnungen aus der NS-Diktatur verglichen oder Menschen, die helfen, bedroht und angepöbelt werden, dann hört sich das Verständnis auf" - Plädoyer für Versöhnung: "Spätestens am Heiligen Abend ist es Zeit, sich die Hand zu reichen"

Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler spricht sich für die Corona-Impfung aus und hat kein Verständnis für Bedrohungen und Gehässigkeiten, die von Maßnahmenkritikern ausgehen. "Wir haben uns in eine gefährliche Diskursunfähigkeit hineingeritten. Wenn notwendige Corona-Maßnahmen mit Verordnungen aus der NS-Diktatur verglichen oder Menschen, die helfen, bedroht und angepöbelt werden, dann hört sich das Verständnis auf", so Glettler im Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" (Montag). Angesichts der "Gehässigkeiten", die man derzeit erlebe, "zweifle ich an so manchem Charakter", fügte der Bischof hinzu.

 

Auf die geplante Impfpflicht angesprochen, betonte der Bischof, dass es nicht an der Kirche liege, eine Impfpflicht zu empfehlen. "Regierung und Gesetzgeber müssen letztlich entscheiden, ob eine derartige Maßnahme notwendig ist." Gefallen an einer Impfpflicht habe niemand, die Bischöfe hätten sich freilich unmissverständlich für die Impfung ausgesprochen, so Glettler: "Sie ist nicht nur Selbstschutz, sondern auch ein Akt der Solidarität. Unser Gesundheitssystem ist an der Grenze der Belastbarkeit."

 

Zur Frage, ob die Bischofskonferenz die politische Entscheidung des Staates mittrage, unterstrich der Bischof: "Gesetzliche Vorgaben sind einzuhalten, sie sind dem Gemeinwohl verpflichtet." Die persönliche Freiheit sei ein hohes Gut, aber sie höre dort auf, wo die Freiheit eines anderen beeinträchtigt wird. Daher seine Bitte, so Glettler: "Runter vom Gaspedal der Empörung. Wir brauchen eine Zeit zum Nachdenken." Er danke zudem allen, "die sich nicht nur um ihre eigenen Befindlichkeiten kümmern".

 

Was die Diözese Innsbruck betrifft, seien die allermeisten Personen, die in der Seelsorge tätig sind, geimpft. Jene, die sich bisher noch nicht dafür entscheiden konnten, versuchen man "mit Aufklärung und persönlichen Gesprächen zu motivieren". Ein paar Ausreißer werde es immer geben. Wer in der Krankenhausseelsorge oder in Pflegeheimen Dienst macht, müsse aber jetzt schon geimpft sein.

 

"Versöhnung" sei für ihn das aktuelle Leitwort, so der Innsbrucker Bischof weiter: "Zu viele Beziehungen wurden in letzter Zeit nachhaltig beschädigt. Spätestens am Heiligen Abend ist es Zeit, sich die Hand zu reichen. Wir müssen einander in die Augen schauen und die innere Verbundenheit wieder stärken. Nur als versöhnte Menschen werden wir den Veränderungen gewachsen sein, die auf uns zukommen."

 

Kritik am assistierten Suizid
Der Bischof bekräftigte im Interview auch einmal mehr seine Kritik am assistierten Suizid, der ab Jänner in Österreich - unter Auflagen - möglich sein wird. Das neue Gesetz trage die irreführende Bezeichnung "Sterbeverfügung". Richtig wäre "Suizid-Verfügung", so Glettler: "Das Sterben gehört trotz aller Beschwerlichkeit zum Leben, es ist eine wichtige Erfahrung - der Suizid sicher nicht." Fachleute von Hospiz und Suizidprävention hätten vor dieser manipulativen Bezeichnung gewarnt. 

 

Zugleich sei im Gesetz eine Hintertür aufgemacht worden, die höchst problematisch sei, warnte Glettler. Die nach den ärztlichen Aufklärungsgesprächen im Gesetz vorgesehene Bedenkzeit von zwölf Wochen bis zur Errichtung der Sterbeverfügungsei strafrechtlich nicht abgesichert. Das wäre aber notwendig, weil sie entscheidend sei, um Suizidwillige vor einer übereilten Tat zu schützen, so Glettler: "Wir müssen uns aufgrund der neuen Gesetzeslage noch mehr für die Schwächsten in unserer Gesellschaft einsetzen. Hilfe zum Leben und nicht zur Selbsttötung ist das Motto."

 

Der Druck auf alte und gebrechliche Menschen werde wohl steigen, so der Bischof weiter: "Sie empfinden sich jetzt schon oft nur noch als Last für ihr Umfeld. Wir stehen doch alle unter einem hohen Leistungs- und Erfolgsdruck. Die Ansprüche sind enorm." Krankheit, Alter, Behinderung würden als Versagen angesehen. Die Option zur Selbsttötung mit Beihilfe werde ab jetzt immer im Raum stehen. Außerdem würden die Begriffe Hilfe, Würde und Freiheit immer mehr missbraucht.

 

Synodaler Prozess und PGR-Wahlen 2022
Zur Frage, wie sich die Pandemie bisher auf die Kirche ausgewirkt hat, räumte der Bischof eine teilweise Ermüdung ein; "weil Gottesdienste stark beeinträchtigt waren und wichtige Veranstaltungen nicht stattfinden konnten". Vor allem aber habe die persönliche Seelsorge gelitten. Es geht ja wesentlich um Begegnung. Dennoch gebe es in vielen Pfarren und auch im Jugendbereich ein kreatives Nachdenken und Ausprobieren. Es sei gelungen, Menschen trotz allem zu erreichen und in den vielen existenziellen Krisen zu stärken. Glettler: "Dort, wo schon vor der Pandemie eine gewisse Lebendigkeit geherrscht hat, werden die Leute wieder gerne zu den Gottesdiensten kommen. Ich bin da optimistisch. Wo es hingegen wenig Kommunikation gab, wird es einen stärkeren Einbruch geben." 

 

Im Blick auf den von Papst Franziskus angestoßenen synodalen Prozess meinte der Bischof: "Wir brauchen vor allem mehr Geist und Elan, um die Grundinhalte des christlichen Glaubens verständlich zu machen. Mehr Glauben! Und Orte, wo die Jesus-Botschaft erlebbar ist." Besonders wichtig sei ihm dabei die Kommunikation mit den 18-bis 25-Jährigen und die Sorge um junge Familien. Diese Zielgruppe werde in den nächsten Jahren das gesellschaftliche Leben und auch die Kirche maßgeblich gestalten.

 

Der Bischof zeigte sich auch zuversichtlich, dass es gelingen wird, für die Pfarrgemeinderatswahlen im kommenden März genügend Menschen zu motivieren. "Für den Aufbau lebendiger Pfarren braucht es Menschen, die Herz zeigen, ihren Glauben bezeugen und sich unaufgeregt für andere einsetzen", sagte Glettler.

Foto: Hölbling