Bischof Scheuer ruft zu mehr Solidarität in der EU auf

Im Interview mit der Nachrichtenagentur KATHPRESS mahnt Caritas-Bischof Manfred Scheuer mehr Solidarität im EU-Raum ein und plädiert für ein Quotensystem und finanziellen Ausgleich in der Flüchtlingsfrage.

Im Interview mit der Nachrichtenagentur KATHPRESS mahnt Caritas-Bischof Manfred Scheuer mehr Solidarität im EU-Raum ein und plädiert für ein Quotensystem und finanziellen Ausgleich in der Flüchtlingsfrage. 

 

Noch immer schlafen in Traiskirchen Menschen auf dem Boden? Verträgt Österreich wirklich keine Asylwerber mehr? Stichwort: Überforderung.
Ich möchte nicht von Über-Forderung sprechen. Österreich und Europa sind allerdings stark ge-fordert. Ja, es kommen viele Flüchtlinge nach Europa, nach Österreich. Zu den rund 500 Millionen Europäerinnen und Europäern werden nach aktuellen Prognosen rund eine Million Menschen dazukommen. Umgerechnet heißt das: auf 1000 Einwohner kommen zwei Schutzsuchende.
Im internationalen Vergleich kann man in Österreich wohl kaum von einem Flüchtlingsstrom oder einer Flüchtlingswelle reden, sehr wohl aber im Nahen und Mittleren Osten, in Katastrophengebieten in Afrika und anderswo. Echter Notstand herrscht beispielsweise im Nordirak, in Jordanien oder im Libanon, ein Land - so groß wie Tirol - wo es mehr als fast zwei Millionen Flüchtlinge gibt. Die EU und Österreich sind wohlhabend und erfahren genug, um Flüchtlingen zu helfen: mit ordentlichen Notquartieren, mit einer ordentlichen Grundversorgung, mit einer entsprechenden Integrationsbegleitung, mit einem Bildungsangebot, sicher auch mit entsprechenden temporären Beschäftigungsmöglichkeiten. Ich bin überzeugt, dass Österreich in Zukunft ein Vorbild in puncto Planung, Logistik und Solidarität sein wird. 

 

Die Welle an Flüchtlingen war angesichts der Lage im Nahen Osten absehbar. Hat die Regierung zu spät und nicht gut genug reagiert? Sich nicht gut genug vorbereitet?
Man konnte ahnen, dass es zu großen Migrationen kommen wird. Die vielen Flüchtlinge waren absehbar und sind eine Realität. Realitäten soll man weder verdrängen noch abschieben, besondere Probleme sind zu lösen. Wir müssen und können uns in den nächsten Monaten auf noch mehr Hilfesuchende einstellen. Das wird unser persönliches Leben und auch unsere Gesellschaft verändern. Zahlreiche Politiker und Hilfsorganisationen haben sich schon sehr frühzeitig engagiert, sehr angestrengt und Enormes geleistet. Dafür möchte mich ausdrücklich bedanken. Einige haben das Problem leider nur hin und hergeschoben, mit dem Zeigefinger auf die jeweils anderen gezeigt. Dann wurden auch sonstige Rechnungen beglichen und andere Strategien unter der Hand verfolgt. Viel Zeit wurde mit Kompetenz und Quotendiskussion vergeudet. Wertvolle Energie und auch Kreativität gingen damit verloren. – Zudem gibt es in bestimmten Bereichen Personalmangel. Das führt dazu, dass manche Asylwerber Monate oder sogar länger auf ein Erstinterview warten müssen. Unsere Gedanken dürfen sich nicht auf Abschottung und Dichtmachen richten, sondern auf die Problemlösung. Empörung und Anprangerung allein helfen noch keinem Asylwerber; es braucht die gute Verbindung von Hirn und Herz, von Empathie, Solidarität und Sachlichkeit, von Bewusstseinsarbeit, Technik und Bürokratie. 

Ganz besonders am Herzen sollten uns die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge liegen. Denn diese Kinder und Jugendlichen sind eine besonders verletzliche Gruppe, sie sind oft traumatisiert und allein, sie brauchen spezielle Betreuung und ein sicheres, kindgerechtes Umfeld. Wir müssen uns dieser Kinder annehmen, sie müssen von ihrem ersten Tag an in Österreich unsere Sprache lernen können und in die Schule gehen dürfen. Ein Kind ist ein Kind, egal wo seine Wiege stand.

 

Was wünschen Sie sich von der Politik? Vom Bundeskanzler bis hinab zum Bürgermeister einer 2000-Seelen-Gemeinde?
Zunächst: es gibt sehr viele Gemeinden mit weniger als 2000 Seelen. Und diese Seelen haben natürlich auch einen Leib. Auch in diesen Gemeinden geschieht viel. Ich hoffe, dass man gemeinsam, mit gutem Willen und auch einiger Kreativität die Herausforderungen löst. In dieser Frage ist Konsens möglich, in dieser Frage darf nicht politisches Kleingeld gemacht werden. Anstrengungen der Politiker auf Bundes- und Landesebene, Anstrengungen der Bürgermeister, der Beamten oder auch der NGO’s und jeder Privatperson brauchen zuallererst Wertschätzung. Wenn es gelingt Unterbringungen zu schaffen, Integration voranzutreiben, verdienen die Menschen zuallererst mehr Lob. Wenn etwas nicht funktioniert oder daneben geht, brauchen sie Hilfe und Unterstützung. Gemeinden und Bürgermeister verweigern sich fast nie und tun sehr viel. Bei diesen großen Herausforderungen braucht es vor allem Zusammenarbeit – also einen breiten Schulterschluss von Bund, Ländern, Gemeinden, auch Wirtschaft, Kirchen, Zivilgesellschaft und Medien. Wenn diese Zusammenarbeit funktioniert, werden auch die Quoten stimmen. 

 

 

Wie stehen sie zu einem Österreichweiten Flüchtlingskoordinator und zur Person Konrad an sich?
Ich sehe eine Chance, aus einer gewissen Sackgasse herauszukommen und weiter an einer zukunftsorientierten Kooperation bzw. Praxis zu arbeiten. Grundsätzlich ist das Einsetzen eines Koordinators zu befürworten, der engagiert, sachlich, pragmatisch, praktisch und lösungsorientiert an die Aufgabe herangeht. 

 

Wie beurteilen Sie die Asylpolitik (die Zusammenarbeit zwischen den EU-Ländern) in Europa?
In Europa wird sicher viel zu zögerlich reagiert und teils auch egoistisch regiert. Die EU kann sich als Solidargemeinschaft profilieren oder an nationalem bzw. eurozentrischem Egoismus scheitern. Eine gemeinsame europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik ist längst überfällig. Es wird zu einem zentralen Thema, auch wenn es einige Länder nicht thematisieren wollen, es braucht auch hier viel mehr Zusammenarbeit. Die Fluchtbewegungen des Sommers sind nicht nur ein Unterbringungsproblem. Manchmal hat man den Eindruck, als würde Europa den eigenen Werten Freiheit, Achtung der Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte nicht glauben. Es kann nicht akzeptiert werden, dass von zu vielen Ländern beim Thema Flucht und Asyl auf Zeit gespielt wird. Und es ist Klartext zu sprechen gegenüber rechten Demagogen, die Angst schüren und Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge betreiben. Es wären nicht nur die Quoten zu bedenken, sondern auch die Möglichkeiten, die Ressourcen (aber auch die Überforderungen), die einzelne Länder haben. Es braucht verlässliche und ausreichende Hilfe für die Menschen vor Ort, in den Nachbarländern Syriens, wo vier Millionen Menschen vor den Schrecken des Bürgerkriegs geflohen sind. Die Menschen verlassen diese Länder und machen sich auf den Weg nach Europa, weil sie verzweifelt sind und ihrer unmittelbaren Heimat keine Perspektive mehr sehen. Das Unglück auf der A4 ist eine Katastrophe, die deutlich macht, wie dringend nötig es ist, dass Europa einen gemeinsamen Plan für Menschen auf der Flucht ins Leben ruft, der der Genfer Flüchtlingskonvention und der humanitären Tradition dieses Kontinents entspricht. Jeder Tote ist eine Mahnung, zugleich gilt den Opfern und ihren Familien unser Mitgefühl. Das Sterben an den Grenzen und in Europa muss ein Ende haben! 

 

Wo sehen sie Probleme? Was würden sie ändern?
Das aktuelle „Dublin-System“ soll im Sinn eines effizienteren Menschenrechtsschutzes und einer solidarischen, gerechten Aufteilung der Asylverfahren zwischen den Mitgliedstaaten grundlegend reformiert werden. Wir brauchen mehr Solidarität in der Aufnahme und Unterbringung – sei es in Form von Quoten, die sich an der Größe und der wirtschaftlichen Leistungskraft eines Landes orientieren. Oder sei es in Form eines monetären Ausgleichs über einen entsprechenden Solidaritätsfonds, weil sich Geld leichter bewegen lässt als Menschen – (also Staaten mehr Unterstützung erhalten, wenn sie mehr Asylwerber physisch unterbringen). Und wir brauchen vergleichbare Verfahrensstandards und vergleichbare Anerkennungsraten. In allen EU-Staaten muss es eine menschenwürdige Betreuung bei Verfahren (Grundversorgung) und gleiche Chancen auf Asyl geben. 

Es wird wichtig sein, über die EU hinaus Verbündete und Mitträger der Flüchtlingshilfe, besonders bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen, zu suchen. Hier bieten sich der Europarat mit Türkei, Serbien und Makedonien als Mitgliedern, aber auch die OECD mit Kanada und den USA an, wo es wichtig wäre Initiativen einzufädeln, zur Solidarität einzuladen und Vereinbarungen auszuverhandeln. Klar ist meines Erachtens aber auch, dass manche dieser Länder möglicherweise zunächst auch selbst Hilfe und Unterstützung brauchen werden wie etwa die Türkei. Österreich und andere EU-Mitgliedsstaaten sollen keine Rückführungen nach der Dublin-Verordnung in Staaten durchführen, in denen menschrechtswidrige Aufnahmebedingungen herrschen oder kein Zugang zu fairen Asylverfahren gewährleistet ist. Oder es sind auch mehr Hilfen für jene Länder notwendig, die tatsächlich überfordert sind. Das sind derzeit neben Griechenland etwa auch Ungarn und Italien.

 

Braucht es auch mehr Maßnahmen in den Herkunftsländern?
Zunächst ist es natürlich wichtig, den Flüchtlingen, die zu uns kommen, menschlich zu begegnen. Es braucht aber auch den starken Willen, das Flüchtlingselend in Ursachen und Auswirkungen zu ändern. Solange die EU, mit ihnen insbesondere etliche Konzerne und Firmen Rohstoffe ausbeuten, sich der Warlords bedienen, um Profite herauszuholen gibt es wenig Friedenschancen. Die aggressive Rohstoffausbeutung provoziert Fluchtwellen. Waffenlieferungen provozieren Krieg und es entstehen wieder Fluchtwellen. Wenn arme Länder als Müllhalden für den Giftmüll aus den reichen Ländern verwendet werden, wenn die kleinen Märkte kaputt gemacht werden, provoziert dies - Fluchtwellen. Wenn etwa Exportzwiebel und andere Produkte aus der EU durch Dumpingpreise die wenigen landwirtschaftlichen Verkaufsprodukte eines armen Landes kaputt machen, wie ich es selbst in Mali gesehen habe, provoziert dies Flüchtlingswellen. Eine gerechtere Wirtschaftsordnung, eine Reduzierung der Ausbeutung und letztendlich die Maßnahmen einer Entwicklungszusammenarbeit sind die ersten Maßnahmen, die Hoffnung brächten. 

Es braucht also Hilfe in den Ursprungsländern selbst ­- niemand flieht ohne Grund -, sodass Menschen dort unter halbwegs vernünftigen Bedingungen leben können, also Sicherheit und Lebensperspektiven finden. Das heißt auch für Österreich eine bessere Entwicklungshilfepolitik. Erfreulich ist die Aufstockung des Auslandskatastrophenfonds; gefordert bleibt die Rücknahme der Kürzungen der letzten Jahre bei der EZA; auch steht der Stufenplan für die Erreichung des 0,7%-Ziels am BNE aus.

Die Hilfe der Staatengemeinschaft für Flüchtlinge in den Herkunftsländern und Nachbarländern ist nicht gesichert. Insgesamt 60 Millionen Menschen sind weltweit allein vor Kriegen auf der Flucht, davon 20 Millionen außerhalb ihrer Grenzen.

 

Wie schätzen sie die allgemeine Haltung der Bevölkerung zum Thema Asyl?
Die Hilfsbereitschaft und die Solidarität in der Bevölkerung sind wirklich ermutigend. Alleine die über tausend Helfer und unzähligen Einsatzstunden in den vergangenen Tagen auf den Bahnhöfen und Grenzübergängen zu Ungarn zeigen, dass Menschen berührt und zu Hilfe bereit sind.Vielleicht sollte man dennoch genauer benennen, was Flüchtlinge brauchen: Quartiere und Wohlwollen. Was die Bevölkerung und die Flüchtlinge am wenigsten brauchen, ist die Angstmache, Falschinformationen oder maßlose Übertreibungen. Menschen, die den Tourismus kennen, die mit Gästen und Besuchern aus aller Welt aufwachsen und leben, haben auch die besten Voraussetzungen Flüchtlinge kompetent aufzunehmen, um ihnen in einer schweren Lebensphase behilflich zu sein. Ich möchte ausdrücklich all jenen danken, die bereits ein Zeichen der Mitmenschlichkeit gesetzt haben – die mit Sachspenden geholfen haben, die ihre Zeit für Menschen in Not aufgewandt oder Wohnraum zur Verfügung gestellt haben. 

 

Was sagen sie Menschen, die mit dem Thema Asyl Abwehr und Angst in Verbindung bringen?
Begegnung nimmt Angst, Begegnung befreit... Wenn es zu Kriminalität kommt, sind Sorge und Angst normal. Kriminalität verdient keine Toleranz, egal, ob es sich um Asylwerber oder Tiroler handelt. Gott sei Dank sind fast alle Asylwerber und auch Tiroler sehr liebenswert. Die Gesichter der Fremden, Asylanten, Flüchtlinge tragen oft die Narben des Krieges. Wir wohnen in einem der reichsten Länder der Welt und haben auf lange Sicht weder das Recht noch die Chance, unser Land durch strenge Asylgesetze und zum Teil unmenschliche Abschiebepraktiken vor der Not von Flüchtlingen „sicher“ zu machen. 

 

Wie stehen sie zur Unterbringung von Flüchtlingen in Tirol? Tut das Land genug?
Ich bin dankbar für das, was in der Flüchtlingsfrage in unserem Land bereits umgesetzt wurde. Die Zusammenarbeit funktioniert gut, an einem Gesamtkonzept wird kontinuierlich gearbeitet. Dieses Gesamtkonzept muss kurz-, mittelfristige und langfristige Ziele haben. Notfallkapazitäten sind ebenso zu schaffen wie etwa schon jetzt im Sommer, ebenso sind Vorkehrungen für den Bedarf im Winter zu treffen. Zelte sind sicher keine nachhaltige Lösung. Hier ist die Öffnung leerstehender Kasernen ein wichtiger Punkt, etwa im Blick auf Familien mit kleinen Kindern. 

Länder und Gemeinden, die sich engagieren, brauchen aber auch eine entsprechende Unterstützung: Deutschland hat hier ein Sonderbudget beschlossen. Länder und Gemeinden, die sehr aktiv sind und viele Flüchtlinge aufnehmen, sollen eine Sonderunterstützung bekommen.

 

Wie läuft die Zusammenarbeit in Tirol zwischen Kirche und politischer Gemeinde und Landesregierung?
In Tirol kümmert sich das Land Tirol selbst um die Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben und auf den Ausgang ihres Verfahrens warten. Die Caritas der Diözese Innsbruck setzt sich im Inland besonders in der Vermittlung von Ehrenamtlichen und in der Integrationsbegleitung ein. In vielen Diözesen ist dies anders. 

Die Caritas der Diözese Innsbruck bemüht sich schon seit Jahren um Wohnungen für Asylberechtigte. In den vergangenen drei Jahren konnten so rund 300 Wohnungen für rund 1000 Menschen vermittelt und beim Start in Tirol geholfen werden. Zudem wollen wir dem Land Tirol Stellplätze für Container und Traglufthallen anbieten. Bei den Stellplätzen, die wir dem Land Tirol bereits angeboten haben, denken wir auch an Häuser in Holzbauweise, die rasch errichtet werden können.

Konkret arbeitet die Caritas in der Diözese Innsbruck beim Thema Asyl in drei Schwerpunktbereichen:

1.    Unterstützung der Flüchtlingsarbeit im Nahen Osten: Gemeinsam mit den acht anderen österreichischen Caritas-Organisationen unterstützt dieser Verbund 110.000 Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien. – Ich unterstütze auch die Flüchtlingsarbeit der Jesuiten im Libanon.

2.    Prävention: Wir helfen in den Partnerländern Burkino Faso und Mali. Aufgrund von Armut sind das klassische Emigrationsländer. Unsere Projekte helfen, dass Menschen vor Ort bleiben können. Im Jahr 2014 konnten mit unseren Partnern Lebensgrundlagen für rund 120.000 Menschen geschaffen werden

3.    Hilfe im eigenen Land

 

Der Vorwurf von leeren Pfarrhöfen und  leeren Klöstern? Tut die Kirche wirklich zu wenig? Gibt es im kirchlichen Bereich "Luft nach oben"? (Zitat Landau)
In den vergangenen Wochen haben wir eine gewaltige Welle der Solidarität seitens vieler Pfarren und Orden erlebt. Etwa aus dem Raum der Erzdiözese Wien haben wir in den vergangenen Tagen viele Wohnangebote von Klöstern und Pfarren erhalten. 

Man kann immer mehr tun. Jedes Angebot ist willkommen. Klöster, Pfarren haben Familien aufgenommen... es gibt noch Potential, egal in Gewerkschaftsheimen, in anderen Heimen oder Moscheen: da wären auch Mitbürger mit hilfreichen Sprachkenntnissen. Damit komme ich aber zu einem der großen Probleme, mit dem wir laufend konfrontiert sind: nach unserer langjährigen Erfahrung sind nur rund 10 bis maximal 15 Prozent der aus dem kirchlichen Bereich angebotenen Räume tatsächlich für Wohnzwecke geeignet, wenn diese die vorgegebenen Standards erfüllen sollen. Ohne Wenn und Aber sind wir im kirchlichen Raum nicht nur bereit, hier unseren Beitrag zu leisten. Mehr noch sehen wir uns im Auftrag des Evangeliums gefordert, Menschen auf der Flucht zu helfen, sie unterzubringen und auch weit über ein „warm, satt und sauber“ hinauszugehen. Das meint die konkrete Arbeit, beinhaltet jedoch auch eine anwaltschaftliche und politische Dimension.

 

 

Hat die Kirche hier einen durch das Evangelium geschuldeten Auftrag?
Von der Hl. Schrift her gibt es viele Erfahrungen von Flucht und Fremdsein. „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Lande lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“ (Lev 19,33-34) Auf alttestamentliche Erfahrungen geht die Mahnung im Hebräerbrief zurück: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ (Hebr 13,2) Dahinter steht vor allem die Erzählung der Gastfreundschaft Abrahams für Gott selbst, wie es die Kirchenväter deuten (Gen 18,1-8). Auch das Neue Testament ist voll von Beispielen und Hinweisen. „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“ (Mt 25,35) 

 

In den meisten Diözesen hat es durch den Bischof selber einen Aufruf an die Pfarren gegeben, leerstehende Quartiere zu melden. Wie ist die Situation in Innsbruck? Haben sie mit den Pfarren direkt gesprochen? Gibt es einen Aufruf ihrerseits?
Ich habe schon vor mehr als einem Jahr mit Ordensgemeinschaften und Pfarren gesprochen. Es wurde dann auch systematisch von unserer Finanzkammer gemeinsam mit Verantwortlichen vor Ort geschaut, wo es Unterbringungs- und Wohnmöglichkeiten gibt. Und es hat im August 2014 - also vor vielen anderen - einen gemeinsamen Aufruf unseres Caritasdirektors und von mir an die Pfarren, Ordensgemeinschaften und kirchlichen Gruppen gegeben. Es wurde daraufhin eine ganze Reihe von Plätzen geschaffen. Die Barmherzigen Schwestern haben sich stark engagiert. Minderjährige Flüchtlinge werden z. B. im Stift Fiecht oder bei den Benediktinerinnen in Scharnitz untergebracht. Freilich brauchen die notwendigen Adaptierungen Zeit. Wir sind zuversichtlich, dass wir bis Frühling 2016 für 450 bis 500 Flüchtlinge Quartiere bereitstellen werden. 

In den Tiroler Sozialmärkten, die teilweise auch von der Kirche mitgetragen werden, bekommen Flüchtlinge günstige Lebensmittel. In vielen Pfarren herrscht eine sehr positive Stimmung für die Menschen in den Flüchtlingsheimen: Freiwillige helfen beim Spracherwerb und der Alltagsbewältigung wie etwa Ämter- und Arztbesuche.

 

Was wünschen Sie sich von der Kirche (den Pfarren) und den Klöstern?
Ich bin dankbar um ein engagiertes Mitgestalten und eines wohlwollenden Klimas für Menschen auf der Flucht. Ich baue hier weiter auf die Mitarbeit in der positiven Stimmungsmache, das Evangelium gibt da klare Anweisungen. Bedeutsam erscheint mir die Pflege der Gastfreundschaft sowie Einbeziehung der Flüchtlinge in das Gemeindeleben, etwa auch bei Festen und Feiern oder bei Sportveranstaltungen. Es gibt da bereits schöne Beispiele. Und wenn es die Politik erlaubt und möglich macht, die Beschäftigung von Flüchtlingen in Form von gemeinnütziger Tätigkeit. Ich bitte weiterhin alle inständig, eine beherzte Prüfung anzustellen, ob im Einfluss- und Nahebereich Räume und Wohneinheiten für Flüchtlinge zu schaffen wären. Im Besonderen danke ich allen, die sich bereits in die Flüchtlingsarbeit eingebracht haben. (Interview: KATHPRESS) 

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Diözese Innsbruck - Aktuell