Bischof Hermann Glettler: Für eine österliche Leitkultur

Innsbrucker Diözesanbischof in seiner Predigt am Ostersonntag im Dom zu St. Jakob Innsbruck: "Wir brauchen den österlichen Geist des Auferstandenen."

Einstieg: Ostern? Emotional kein Burner, wie man heute sagt. Inhalt? Zu kompliziert. Schwer zu vermitteln. Übrig bleibt gelegentlich nur der nette Familientreff rund um die kindlichen Osternester, die von den kreativen Osterhasen gerichtet wurden. „Zu Ostern musste Jesus auf ein Kreuzung gehen“, schrieb ein Volkschulkind in sein Heft und zeichnete Jesus wie einen Polizisten, der auf einer Kreuzung den Verkehr regelt. Nicht schlecht, eine kreative Variante. Gibt es doch genug zu regeln in einer aufgepeitschten, nervösen Zeit. Fremdwort Geduld. Fremdwort Rücksicht. Fremdwort Anteilnahme über den eigenen Tellerrand der wunderbaren Osterspeisen hinaus. Kann uns Ostern erfinderischer machen im Guten? Sogar ein neues Leit-System, eine neue Leit-Kultur grundlegen? Nur mit einer Wiederbelebung des Brauchtums wird es nicht gehen. Ostern beginnt mit dem Staunen über Gottes Eingreifen – immer genial schöpferisch!

 

1. Zuerst: Gottes erfinderisches Eingreifen 

Zwölf Tage nach dem Tod von Alexej Nawalny war seine Witwe im EU-Parlament in Straßburg zu Gast. Julija Nawalnaja führte in ihrer 20-minütigen Rede aus, wie ihr Mann es trotz der Repressionen des Regimes geschafft habe, mit Kreativität zum wichtigsten Oppositionspolitiker des Landes zu werden. "Er war das genaue Gegenteil von langweilig. Wenn Sie Putin besiegen wollen, müssen Sie erfinderisch sein und aufhören, Langweiler zu sein", sagte Nawalnaja. Diesen Appell will ich aufgreifen: Ostern als ein Fest neuer Kreativität. Jesus lebt – und seine Botschaft inspiriert. Für Alexey Nawalny war es der Satz: „Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit“. Vor dem Moskauer Stadtgericht sagte er am 20. Februar 2021: „Ich bin ein gläubiger Mensch, und das hilft mir sehr bei dem, was ich tue.“ Österliche Kreativität!

Der Auferstandene überraschte seine verängstigten Jünger – ohne Vorwurf und mühsame Aufarbeitung, obwohl sie ihn alle verraten hatten. Stattdessen zeigte er ihnen seine Wundmale und sprach ihnen Frieden zu: „Shalom!“ Dann hauchte er sie an! Sein Geist, schöpferischer Lebensatem für die frustrierten, ausgepowerten Totalversager. Brauchen wir nicht auch diesen neuen Atem, diese österliche Inspiration und Versöhnungs-Kraft? Oft sind wir überfordert. Glauben mehr an unsere Ohnmacht als an die Möglichkeiten Gottes. Die Krisen der kleinen und großen Welt übersteigen uns – bräuchten zumindest mehr Kreativität und nicht die Langeweile der üblichen Abwehrreaktionen oder Verdrängungen. Voraussetzung für eine österliche Leitkultur ist allein die Bereitschaft, den „alten Teig“ des unerlösten Lebens zu entfernen.

 

2. Unbedingt: Den Sauerteig des Bösen entfernen  

„Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid!“ Damit wird auf die jüdische Fest-Praxis angespielt. Der alte Sauerteig musste vor dem Pascha entfernt werden. Paulus klärt die Voraussetzung für eine christliche Leitkultur im Brief an die Gemeinde in Korinth: Wenn Christus das neue Paschalamm ist, dann müssen wir uns doch vom „Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit“ distanzieren! Das Bild ist stark. Sauerteig meint die Dynamik des Bösen, die sich still ausbreitet und alles beeinflusst. Jesus warnte ganz explizit: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer!“ (Mk 8.15) Gemeint ist Heuchelei, krampfhaftes Festhalten an äußerlichen Ritualen und eine fromm getarnte Selbstgerechtigkeit. Christliche Leitkultur, wenn sie nicht nur ein folkloristischer Aufputz sein soll, geht anders. Es beginnt mit der Umkehr von Herz und Geist.

Nochmals Paulus: „Weg mit dem alten Teig!“ Neid, Hass, Unversöhnlichkeit, Verhärtung, Wichtigtuerei, Stolz, Hochmut, Gier, Missgunst und Bosheit aller Art. Der Widerstand gegen diese Klärung beginnt meist bei mir selbst. Wir nehmen gerne unsere Wohlstands-Mentalität und Wohlfühl-Spiritualität als Maß und lassen uns nicht gerne stören. Aber was ist mit dem Frust der „Abgehängten“ und dem Elend jener, die sich alleingelassen fühlen? Und mit den vielen tödlichen Kreuzungspunkten weltweit? Nach wie vor erschüttern uns die Berichte, wie brutal Flüchtende an den südlichen Grenzen Europas behandelt werden. Immer noch Sauerteig der Gleichgültigkeit? Verhungernde Kinder im Norden von Gaza und das Elend in der Ukraine. In der Karwoche hat uns ein ukrainischer Priester live berichtet: Ein Alltag in Angst und Bedrängnis.

 

3. Folglich: Grundelemente einer österlichen Leitkultur  

Ja, wir brauchen den österlichen Geist des Auferstandenen. Ohne ihn lässt sich keine christliche Leitkultur etablieren. Gottes Lebensatem weitet unseren Blick über die eigenen Interessen und Befindlichkeiten hinaus. Eine österliche Leitkultur ermutigt Menschen, Begegnungen zu suchen, niemanden auszuschließen oder fertigzumachen, wie dies im harten Diskurs der politischen Debatten immer öfter vorkommt. Österlich ist eine „Kultur der Begegnung“, wie sie uns vom Herrn des Lebens vorgelebt wurde. Er suchte die Entmutigten auf und tröstete sie mit seiner Gegenwart. Der lebendige Christus ruft auch uns zu: „Geht, schafft Neues! Seid erfinderisch!“ In dieser Hinsicht verwendet Paulus das Bild vom Sauerteig, um die positive österliche Dynamik zu beschreiben: „Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?“

 

Abschließend der Versuch, ein paar Grundelemente für eine österliche Leitkultur zu benennen: 

  • Auf einen neuen Geist setzen. Sich vom lebendigen Christus immer wieder inspirieren lassen. Der Geist entscheidet, ob eine Leitkultur „nach Zukunft schmeckt“ (F. Küberl)
  • Das Zerbrochene, die vielen "Schutt- und Shithäufen" (Hans Seifert) der kleinen und großen Welt als Herausforderung. Neues kann entstehen. Versöhnung ist möglich. 
  • Den Blick für das Gute schulen. Proaktiv das Gelingende benennen, auch bei den vielen, die nicht im „Kreis der Ö1-Kultur“ (Andreas Liebl) vorkommen. Lebenschancen für alle!
  • Sich die Hände schmutzig machen – im Dienst an denen, die mit materiellen oder psychischen Problemen zu kämpfen haben. Ostern ist kein folgenloses Schöngeplapper.
  • Den Perfektionswahn verwerfen. Es kann nicht sein, dass wir uns durch übertriebene Anforderungen fertig machen. Das Unvollkommene annehmen. Freude schafft Leben.  
  • Befreiung von erstarrten Reaktionsmustern. Vorsicht, wenn sich eine sterile Routine das einstellt, unser Agieren und Reagieren bestimmt. Erfinderisch im Guten bleiben.
  • Nicht aufgeben, schrittweise vorangehen. Der Auferstandene gibt uns immer das nötige Osterlicht für den nächsten Schritt. Der Verzweiflung keinen Raum geben.

 

Abschluss: Jesus ist kein Welt-Polizist, auch wenn er als solcher auf den vielen bedrängenden Kreuzungen viel zu tun hätte. Der Auferstandene vermittelt eine neue Lebens-Ordnung. Wir sollten seinen Geist für uns maßgeblich machen. Mit dem österlichen Sauerteig kann Neues beginnen. Unser Alltag mit Geduld und österlicher Barmherzigkeit verwandelt werden – immer in Verbundenheit mit denen, die in den vielen Karfreitagen unserer Zeit zu bestehen haben. Jesus lebt! Diese Wirklichkeit trägt. Sie ist Herzstück einer österlichen Leitkultur.

Kindlich kreativer Gedanke zum Osterfest. Foto: Glettler