Bischof Glettler: Wesentlich ist die geistlich-menschliche Verbundenheit.

Zum Abschluss der diözesanen Wallfahrt nach Rom hat Bischof Hermann Glettler der Katholsichen Presseagentur Kathpress ein Interview gegeben. Er lässt darin die Reise revue passieren und geht auf aktuelle Fragen von Kirche und Gesellschaft ein.

CIC: Bischof Glettler, als Sie die Wallfahrt Ihrer Diözese planten, war die Versammlung der Kardinäle aus aller Welt in Rom noch nicht bekannt. Sie hielten sich also zu einem ganz besonderen Augenblick in der Ewigen Stadt auf. Wie empfinden Sie das? 

Bischof Hermann Glettler: Schon aufregend. Eine Wallfahrt ist natürlich zuerst ein Weg zur persönlichen Glaubenserneuerung, auch wenn wir mit fast 500 Personen unterwegs waren. Wichtig war uns in Rom das Gebet an den Gräbern der Apostel und damit verbunden die Erinnerung an die Anfänge der Kirche. Die junge Gemeinschaft der Christen musste sich doch angesichts enormer Bedrängnisse in der multireligiösen Metropole bewähren. Zugleich war und ist Rom mit dem Papst das Zentrum für alles, was uns als katholische Weltkirche beschäftigt. Wir konnten dies durch die Anwesenheit der Kardinäle und vieler Pilgergruppen sehr deutlich spüren. Den spirituellen Reichtum, aber auch die Sorgen und Herausforderungen der weltweiten Kirche kann man kaum fassen. Das bewegt.

CIC: Nun ist sicherlich eines der Highlights der Wallfahrt die Generalaudienz mit Papst Franziskus. Wie haben Sie die erlebt? 

Glettler: Sehr erfrischend. In seinem Impuls hat der Papst über die Bedeutung der geistlichen Unterscheidung gesprochen. Eine wichtige Ermutigung, weil unser Leben ja kein „fertiges Produkt ist“, wie er gesagt hat. Danach hatten wir die Möglichkeit einer recht persönlichen Begegnung mit ihm. Immer wieder beeindruckend ist seine wache Präsenz und geistvolle Frische. Der Mensch, der ihm gerade gegenübersteht, hat absolute Priorität. Dass es einer Tiroler Bläserensemble gelungen ist, in der Audienzhalle ein Ständchen zu spielen, hat nicht nur Papst Franziskus sichtlich erfreut.

CIC: Also das Verhältnis Welt- und Ortskirche live und in Farbe. Wie empfinden Sie das grundsätzlich? 

Glettler: Diese Balance ist im aktuellen Synodalen Prozess eine ganz wichtige Fragestellung. Gelingt uns ein Hören aufeinander? Überall, wo eine Ortskirche versucht, das Evangelium in ursprünglicher Frische zu leben, findet Weltkirche statt – also nicht nur in Rom. Wesentlich ist die geistlich-menschliche Verbundenheit. Es kann keine katholische Nationalkirche geben. Vielleicht ist dies eine Ermutigung und ein Korrektiv, wenn in verschiedenen Kulturkreisen und Sprachgruppen diverse Themen anders und intensiver diskutiert werden als in der weltweiten Gemeinschaft. In dieser Kirche ein Glied zu sein, heißt mit anderen mitzuleiden, mitzudenken, sich mitzufreuen. Auf allen Ebenen brauchen wir eine Art „Pluralitätsfitness“ und zugleich die herzhafte Sorge um Einheit. 

CIC: Diskutiert wird derzeit viel. Am 12. September wird die Antwort zur Weltsynode von Österreichs Katholiken veröffentlicht. Wie nehmen Sie den synodalen Prozess in Ihrem Land wahr? 

Glettler: Zuerst waren es die bekannten Reformthemen, die mit großer Leidenschaft artikuliert wurden. In unterschiedlichen Zuhör-Formaten sind aber auch andere Herausforderungen für die heutige Kirche benannt worden. Synodalität bedeutet zuerst, dass Kirche eine Mit-Geh-Gemeinschaft sein muss, kein abgeschlossener Club. Es geht in dieser pastoralen Dimension der Synodalität genau um diese Bereitschaft, nämlich das Leben der Menschen zu teilen, an ihrem Alltag mit allen Sorgen, Freuden und Sehnsüchten teilzunehmen und darin dem Evangelium neuen Raum zu geben. Die Grundlage des Prozesses ist eine „spirituelle Synodalität“, also die Lebensgemeinschaft mit dem voraus-, mit und nachgehenden Jesus Christus. Ich würde sagen, dass es erst aufbauend auf diesen beiden Dimensionen um eine „strukturelle Synodalität“ geht, also um die Fragen nach der Leitung der Kirche, um Zulassung zum Weiheamt, um die Verteilung und Kontrolle von Macht, um Partizipation und Mitentscheidungsmöglichkeiten. Da sind viele herausfordernde Fragen offen, aber primär geht es um ein lebensrelevantes Mit-Sein und Mit-Gehen.

CIC: Sind denn viele Katholiken mitgegangen bei der Umfrage bzw. warum haben sich viele auch nicht beteiligt? 

Glettler: Die Beteiligung war unterschiedlich, in einigen Diözesen nicht aufregend, in anderen wieder sehr beachtlich. Für viele ist „Synodalität“ ein Fremdwort geblieben. Andere wiederum dachten, es geht erneut nur um die heiklen Themen – deren Nennung für die einen frustrierend ist, weil sie keine entsprechende Antwort auf der Ebene der Weltkirche erwarten, und für andere ebenso frustrierend, weil sie nicht das Zentrale des katholischen Glaubens benennen. Dennoch, es war ein wichtiger erster Schritt und wir werden sehen, wie es auf kontinentaler und weltkirchlicher Ebene weitergeht. 

CIC: Glauben Sie denn, dass Österreich einen wertvollen Beitrag für die Weltsynode leisten konnte? 

Glettler: Wir wollen es versuchen. Vielleicht können wir mit ein paar Ansätzen zeigen, mit welchen Fragen eine Ortskirche, deren Bevölkerung in ihrer kulturellen Tradition katholisch imprägniert ist, in einer Phase voranschreitender Säkularisierung zu ringen hat. Was fördert oder hindert einen Dialog in einer distanziert gewordenen Öffentlichkeit? Faktum ist, dass die Volkskirche zusehends an Substanz verliert, fast mit der erschreckenden Gletscherschmelze zu vergleichen. Aber es gibt auch Momente, in denen Kirche wieder Relevanz bekommt, meist dann, wenn sie neugierig und leidenschaftlich Begegnungen sucht und zulässt; mit Sicherheit nicht, wenn sie alten Privilegien und Machtstrukturen nachtrauert. Wichtig ist, dass wir nicht stehenbleiben – inspiriert vom Heiligen Geist ist immer ein kleiner Schritt möglich.

CIC: Apropos gesellschaftlicher Kontext: Der Krieg in der Ukraine, Menschen landen an den europäischen Küsten, suchen Asyl und ein besseres Leben. In Italien wird damit Wahlkampf geführt, es heißt „Landungen stoppen“. In Österreich stellte der Innenminister eine Online-Kampagne zur Abschreckung von Migranten vor. Wie sehen Sie das als Bischof im Herz von Europa? Was halten Sie von solchen Kampagnen? 

Glettler: Kann mich dafür nicht begeistern, obwohl ich verstehe, dass Aufklärung nötig ist. Migration fordert alle heraus und niemand hat dazu eine abschließende Lösung. Wir müssen uns dieser großen Herausforderung mit größtmöglicher Menschlichkeit stellen. Das geht nicht mit populistischen Thesen und unmenschlichen Konzepten zur Abschottung Europas. Menschen fliehen vor Terror, anhaltenden Kriegen, sie fliehen aus prekären wirtschaftlichen Lagen und zunehmend aufgrund der brutal voranschreitenden Klimaveränderung - das tut niemand aus Lust und Laune. Diesen Menschen muss das internationale Recht für Asyl gewährt bleiben. 

CIC: Wie kann eine kluge, menschengerechte Aufnahmepolitik aussehen?  

Glettler: Mir scheint, dass es längst notwendig wäre, im Ausland verbindliche Asylanträge stellen zu können. Flüchtende werden ja sonst ständig durch notwendige Grenzübertritte in die Illegalität getrieben. Mit Härte, abweisenden Parolen und einem kleinkarierten Populismus wird man dem Weltthema Migration 100%ig nicht gerecht. Es braucht in jedem Fall von Europa aus eine viel stärkere politische und wirtschaftliche Kooperation mit den Ländern des globalen Südens. Es dürfen nicht weiterhin ganze Länder auf die Verliererseite gedrängt werden.

CIC: Abschließend noch einmal zurück nach Rom: Sie selbst sind Künstler und Kunsthistoriker. Diese Stadt muss für Sie wohl ein Paradies sein. Welche sind Ihre Lieblingsorte oder Kunstwerke in der Ewigen Stadt? 

Glettler: Auf diese Frage ist es schwer, knapp zu antworten. Beim Jüngsten Gericht in der Sixtinischen Kapelle bewegt mich immer das Hereinbrechen des apokalyptischen Christus. Er reißt die Zeit auf. Beim Bild der Berufung des Matthäus von Caravaggio in der Kirche San Luigi dei Francesi habe ich mir bewusst Zeit genommen, als ich erfahren habe, dass ich Bischof von Innsbruck werden soll. Das Bild ist bewegend, weil die Berufung so vielfältig ausgedrückt wird. Der Ruf Jesu kann jeden erwischen. Diese Unklarheit macht Kunst so spannend. Gerne schaue ich auch zum Mose des Michelangelo in San Pietro in Vincoli. Die prophetische Wut und zugleich das Verständnis mit dem zögerlichen Volk hat der Renaissancekünstler einfach genial gebannt. Auch die Kirche San Clemente mit ihren drei Etagen aus unterschiedlichen Jahrhunderten ist immer einen Besuch wert – vom Mithraskult bis zum Lebensbaum im mittelalterlichen Mosaikbild ist so viel an Frischekraft und Antwort auf die Ursehnsüchte des Menschen zu erfahren. Die Lebensmitte, die Grünkraft ist Christus.