Bischöfe gedenken der Novemberpogrome von 1938

Festgottesdienst im Rahmen der Herbstvollversammlung der heimischen Bischofskonferenz in Stiftskirche Michaelbeuern

Österreichs Bischöfe haben der Novemberpogrome von 1938 gedacht. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Wohnungen und Geschäfte geplündert, verwüstet und zerstört. Zahlreiche Juden wurden verprügelt, beraubt, enteignet, inhaftiert, in Konzentrationslager verschleppt, verletzt oder ermordet, erinnerte der Linzer Bischof Manfred Scheuer in seiner Predigt.

 

Politische Naivität, Angst, eine fehlgeleitete Theologie, die über Jahrhunderte hinweg die Verachtung des jüdischen Volkes gelehrt hatte, und mangelnde Liebe hätten viele Christen 1938 veranlasst, gegenüber dem Unrecht und der Gewalt zu schweigen, "die jüdischen Menschen in unserem Land angetan wurden", so Scheuer: "Wir Christen bekennen mit dem jüdischen Volk den Gott Israels. Wir erkennen heute beschämt, dass mit der Zerstörung der Synagogen, dass mit der Shoah der Name des Ewigen geschändet wurde, ohne dass viele unserer Vorfahren im Glauben dies gespürt hätten."

 

Das Ausreißen der jüdischen Wurzel wäre aber ein Akt der Selbstzerstörung für die Kirche, warnte der Bischof. Wer sich von der Wurzel trennt, nehme sich nicht nur seine Herkunft, sondern, "sich selbst austrocknend, auch seine Gegenwart und Zukunft".

 

Die Messe in der Stiftskirche Michaelbeuern war der liturgische Höhepunkt der Herbstvollversammlung der heimischen Bischofskonferenz, die noch bis einschließlich Donnerstag anberaumt ist. Dem Gottesdienst stand der Salzburger Erzbischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Franz Lackner, vor.

 

Bischof Scheuer verwies in seiner Predigt auch auf den seligen Franz Jägerstätter (1907-1943), der in seinen Briefen und Aufzeichnungen u.a. den Umgang der Nationalsozialisten mit kirchlichen Gebäuden und mit dem Glauben in den Seelen aufgegriffen hatte. Jägerstätter habe äußere und innere Gebäude sowie äußere und innere Zerstörungswerke verglichen: "Stillschweigende Kompromisse der Kirche mit den Nationalsozialisten, die erreichen, dass das kirchliche Leben weitergeht, sind schlechter als die Zerstörung oder Schließung der Kirchengebäude. Das listige Zerstörungswerk der Seelen ist schlimmer als das Abreißen der Kirchengebäude." 

 

Umbrüche in Kirche und Welt
Scheuer erinnerte in diesem Zusammenhang auch den verheerenden Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame. Der Brand einer Kathedrale sei eine Wunde für die Seele von Menschen, aber auch für die kulturelle und religiöse Identität von Völkern, sofern es sie noch gibt. Oder aber, so Scheuer skeptisch: "Wird da sichtbar, was sich in den Herzen und in den Beziehungen schon längst abgespielt hat, nämlich die Destruktion von Religion und Kultur? Ist Notre Dame so etwas wie ein Phantomschmerz Europas?" 

 

"Die verlorene Hoffnung auf Auferstehung hinterlässt eine spürbare Leere", zitierte der Bischof den Philosophen Jürgen Habermas. Mit dem Verlust der Auferstehungshoffnung entstehe ein Sinn-Vakuum, das nicht gefüllt werden könne.

 

Leider müsse man heute feststellen, so der Bischof, "dass die Kirche in den Seelen vieler Gläubigen stirbt". Kirchlich sehe man sich gegenwärtig zudem einer "unübersichtlichen Gemengelage" gegenüber: "Da ist der Ruf nach Veränderung und nach Reformen, da ist der gegenseitige Vorwurf, die Kirche zu zerstören. Da wird die Dekonstruktion von Liturgie, Amt, Theologie, kirchlichen Strukturen postuliert."

 

Scheuer fügte hinzu: "Ja, wir sind verwundet. Und andere sind durch uns verwundet worden!" Letzteres etwa durch den Missbrauch in der Kirche.  Und: "Es ist eine Misere und auch eine Ohnmacht, die wir zu beklagen haben, nicht nur im Hinblick auf das Personal. Abschied und Sterben gehörten fast schon zum kirchlichen Alltag. Und doch, so Bischof Scheuer: "In diese Erfahrungen hinein feiern wir die Schönheit des Glaubens, die Freude an Gott und seinem Evangelium. Im Angesichte Gottes dürfen wir die eigene Lebensgeschichte wieder erkennen und verantworten." Wichtige Lebenserfahrungen müssten weder tabuisiert noch ausgeklammert werden, auch nicht Leid, Schuld, Krankheit oder Tod. "Vielleicht wächst gerade darin eine geistige und geistliche Sensibilität und die Teilnahme am Lebensdrama anderer", so der Bischof.

 

Mit Verweis auf den Apostel Paulus plädierte der Bischof für ein rechtes Verständnis der unterschiedlichen Charismen und Berufungen: "Alle Ämter und Gnadengaben sind auf die Ehre Gottes und den Nutzen, das Heil und die Auferbauung der anderen bzw. der Kirche hin geordnet." Aufgabe der Leitung sei es, Charismen zu entdecken und die notwendigen Dienste in den Gemeinden zu entwickeln. Diese Hinordnung jeder Berufung auf die Gemeinschaft bzw. den Aufbau der Kirche gelte gerade auch für das priesterliche Amt, betonte der Bischof.

 

Eine Meldung von www.kathpress.at 

Foto: kathpress/Wuthe