Appell bei Sant'Egidio-Friedenstreffen zu mehr Partizipation
Mit Aufrufen zu mehr Partizipation und Demokratie hat das Internationale Friedenstreffen "Imaginge Peace" der katholischenGemeinschaft Sant'Egidio in Paris am Dienstag seinen Abschlusstag erreicht. Kurz vor einer erwarteten Botschaft von Papst Franziskus an den Gipfel mit 150 Führungspersönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft und Religion sowie über 4.000 weiteren Teilnehmern sprachen sich Experten bei unterschiedlichen Foren unter anderem dafür aus, auch positive Entwicklungen in Europa und anderen Kontinenten zu erkennen und zu fördern. Insbesondere das wahrnehmbare Bedürfnis nach mehr Teilhabe müsse von der Politik aufgegriffen werden.
Vor einer allzu "autoritären Interpretation" gesellschaftlicher Tendenzen warnte der Historiker und Soziologe Marc Lazar. Zwar hielten laut aktuellen Vertrauens-Barometern fast jeder zweite Pole und mehr als ein Drittel der Italiener, Deutschen und Franzosen es für sehr positiv, einen "starken Führer zu haben, der sich nicht um das Parlament und Wahlen kümmern muss". Ein eindeutiger Wunsch zu mehr Autoritarismus sei dies jedoch nicht.
Vielmehr seien auch sieben von zehn Personen aus den genannten Ländern der Meinung, die Demokratie funktioniere besser durch direkte Beteiligung von Bürgern bei allen wichtigen Entscheidungen, etwa durch Petitionen und Volksbegehren. Eine "deutliche Mehrheit" in diesen Ländern denkt laut Lazar, die Demokratie würde durch stärkeren Einbezug von Verbänden und Gewerkschaften in Entscheidungsfindungen besser funktionieren, zudem sei das grundsätzliche Interesse an Politik mit zwischen 50 und 77 Prozent eigentlich hoch. "Diese Daten deuten auf eine wachsende Nachfrage nach partizipativer Demokratie hin, die neue Formen finden muss", so der französische Sozialforscher.
Dass es sich dabei nicht nur um eine europäisch-westliche Forderung handelt, zeigte in Paris der Vortrag des kongolesischen Kardinals Fridolin Ambongo. Der Erzbischof von Kinshasa gab einen Überblick über den Einsatz der katholischen Kirche in seinem Land für die Demokratie. "Starke Institutionen" seien heute vonnöten, während der bloße Rückgriff auf "starke Männer" allzu vereinfachend sei. Als besondere Herausforderung der Demokratie sah der Kardinal, den "armen, aber weisen Menschen" Gehör und damit Wert zuzugestehen.
"Blut und Boden" bis heute
Es wäre jedoch ein "Fehler" zu glauben, "dass Blut und Boden Gespenster der Vergangenheit sind", warnte die Philosophie-Professorin Donatella Di Cesare von der römischen "La Sapienza"-Universität. Vielmehr würden diese heute dank "neuer Verführungen" wieder wüten: etwa, wenn Ausländer und Migranten "im Namen der angeblichen Homogenität der Einwohner" vertrieben werden von jenen, die sich als "Kinder des eigenen Bodens" sehen. Führe Demokratie zur "Verwurzelung in der zur Schau gestellten heimatlichen Herkunft", sei sie keine Demokratie mehr, sondern Ethnokratie als eine ihrer "totalitären Pathologien", so Di Cesare, Nachsatz: "Denn das Volk ist eine dynamische politische Form und setzt sich ständig neu zusammen."
Besonders starke Beteiligung von Jugendlichen gab es bei einem Panel am Montag zur Zukunft Europas. Giorgio Silli, Italiens Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, forderte dabei eine Ausweitung der EU auf den Westbalkan. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten hätten die "Pseudoruhe" in Europa unterbrochen und grundlegende strukturelle Ungleichgewichte aufgezeigt. Zugleich sei der Kontinent dadurch "um ein gemeinsames Ideal geeint" worden und müsse angesichts der heutigen und künftigen Herausforderungen noch geschlossener Einheit zeigen. Die französische Europa-Abgeordnete Nathalie Loiseau verwies auf die deutsch-französische Aussöhnung und die Handreichung zwischen Francois Mitterand und Helmut Kohl. "Wir hoffen, eines Tages ein ähnliches Foto von israelischen und palästinensischen Führern zu sehen."
Gebet als "Gegengift zum Hass"
Ein weiteres Forum von Sant'Egidio beschäftigte sich mit der Überwindung des Hasses durch das Gebet. Ein beeindruckendes Zeugnis legte hier der syrisch-katholische Erzbischof Jacques Mourad ab, als er von seiner Entführung durch die Terrormiliz IS und der darauffolgenden mehrmonatigen Geiselhaft in einem winzigen Raum - einer Toilette - berichtete. Das Gebet habe ihm in dieser Zeit innere Kraft und Freiheit geschenkt, er habe "in Symbiose mit Gott, gestützt durch den Rosenkranz" gelebt, seine Sanftmut und sein Lächeln trotz der Schläge nicht verloren und seine Entführer mit einem Blick der Liebe in die Augen gesehen, sagte er. Das Gebet überwinde Hass und das Böse, ebenso wie der Glaube jungen Menschen zu innerer Freiheit verhelfe.
Eine "diplomatische Kraft" nannte der französische Bischof Emmanuel Tois das Gebet. Sie entfalte sich, "wenn sich der Mensch arm vor Gott erkennt". Auch muslimische Vertreter wie Abu Al-Qasim Al-Dibaji aus Kuwait betonten diese Wahrnehmung: Gebet schaffe ein "inneres Klima, das den Hass bekämpft", so der Generalsekretär der World Organisation of Pan-Islamic Jurisprudence, der indische Ramakrishna Swami Amarananda sprach von einem "Gegengift zum Hass". Die deutsche evangelische Pfarrerin Angela Kunze-Beiküfner erklärte in diesem Zusammenhang, die Kraft des Fastens habe in Berlin den Fall der Mauer bewirkt. "Je mehr wir Menschen des Gebets sind, umso mehr fühlen wir uns für die Welt verantwortlich", vertrat der anglikanische Prior der ökumenischen Gemeinschaft Taize, Frere Matthew.
Plattform für Frieden
Das Internationale Friedenstreffen wurde erstmals 1986 veranstaltet, als der damalige Papst Johannes Paul II. Vertreter der großen religiösen Traditionen nach Assisi einlud und die Gemeinschaft Sant'Egidio beauftragte, dafür in der Vorbereitung mit muslimischen Vertretern zusammenzuarbeiten. Jeweils in einer anderen Stadt veranstaltet, bringt es religiöse, politische und kulturelle Führungspersönlichkeiten zusammen, um über Frieden, Dialog zwischen den Religionen und die Lösung von Konflikten zu sprechen. Besonders auf die Vernetzung und die interreligiösen Bekanntschaften sind dabei wichtig. Die katholische Friedensbewegung Sant'Egidio mit ihren Schwerpunkten Gebet, Einsatz für Arme und Förderung des Friedens wurde bereits 1968 gegründet. (Infos: www.santegidio.org )
Eine Meldung von www.kathpress.at
