Absamer Gnadenbild: Ausdruck der Nähe Marias zu den Menschen

225. Jahrestag der Marienerscheinung vom 17. Jänner 1797 in Absam

Es war eine junge Bauerntochter, Rosina Puecher, die das Absamer Marienbildnis als erste bemerkt hat. Am 17. Jänner 1797 sah sie es zum ersten Mal in der Fensterscheibe der heimischen Stube – für die Menschen in Absam ein Wunder! Dass es nicht als solches anerkannt wurde, hinderte die Gläubigen nicht: Noch heute, 225 Jahre später, wird das Marienbildnis in der Wallfahrtskirche St. Michael verehrt. 

 

Natürliches Ereignis und unerklärt zugleich 

Die Nachricht des plötzlich erschienenen Marienbilds verbreitete sich schnell. Auch der Fürstbischof von Brixen hörte davon und ließ das Fenster von Experten in Innsbruck untersuchen. Diese kamen zum Schluss, dass das Glas ursprünglich wohl bunt bemalt war und es im Laufe der Zeit verblichen ist. Das Marienbildnis soll sich demnach in das Glas eingeätzt haben. 

 

Die offizielle Untersuchung änderte aber nichts an der Verehrung des Bilds. Es wurde – nachdem der Fürstbischof den Bau einer eigenen Kapelle untersagt hat – am 24. Juni 1797 feierlich in die St. Michaels-Kirche gebracht, wo es noch heute am rechten Seitenaltar zu finden ist. „Durch diese Übertragung des Gnadenbildes in die Pfarrkirche St. Michael drückte man nicht nur die Mutter-Kind-Bindung zwischen Maria und Jesus aus, der im Allerheiligsten Sakrament im Tabernakel gegenwärtig ist, sondern das Gnadenbild wird für die Gläubigen leichter zugänglich“, erklärt Pfarrer Martin Chukwu. 

 

Ein Gnadenort für alle Menschen 

Der Wunsch der Menschen nach einem Wunder war groß in einer Zeit von Krankheit und Krieg. Nur wenig später, am 2. April 1797, siegten Tiroler Verbände in der Schlacht von Spinges über napoleonische Truppen. Dies wurde von der Bevölkerung auf die Fürsprache der Gottesmutter zurückgeführt. „Das war zwar oft eine Vorstellung der Menschen, aber heute würden wir nie behaupten, dass Gott eine Seite bei einem Konflikt wählt. Maria ist erschienen, um allen Trost zu geben“, betont der Absamer Pfarrer. Er hebt belegend hervor, dass das Bildnis sie weinend zeigt. 

 

Unzählige Pilger kamen nach Absam. Mit der Zeit wurde der Ort zu einem der bedeutendsten Wallfahrtsorte Westösterreichs. Auch hohe Vertreter des Hauses Habsburg – bis hin zum Kaiser selbst – suchten das Gnadenbild auf. Eine große Zahl von Votivtafeln berichtet von erhörten Gebetsanliegen. 

 

Am 24. Juni 2000 wurde die Kirche St. Michael in den Rang einer Basilika minor erhoben. Dies geschah erstmals bei einer Kirche Tirols, die nicht an ein Kloster oder Stift angebunden war. Obwohl sie nicht der Gottesmutter geweiht ist, wird sie oft Marienbasilika genannt. Das Gnadenbild ist auch Teil des 1965 verliehenen Gemeindewappens geworden. Bischof Reinhold Stecher bezeichnete Absam im Zuge des 200-Jahr-Jubiläums der Erscheinung als „Brillant im Diadem der Heimat“. 

 

Verehrung heute 

Einzelwallfahrer und Gruppen kommen immer noch häufig in die Basilika. Zweimal im Jahr wird in der Basilika Absam mit Festmessen der Marienerscheinung gedacht: am 17. Jänner (Erscheinungstag) und am 24. Juni (Übertragung des Gnadenbildes in die Kirche). Am ersten Sonntag im Monat findet um 14.30 Uhr eine Wallfahrtsmesse (Heilungsgottesdienst) mit besonderen Anliegen für die Kranken statt. Das „Gebet zu Maria“, das im Gotteslob in der Basilika auf der letzten Seite eingeklebt ist, wird gerne gesprochen. 

 

Ein großes Festprogramm zum Jahrestag ist heuer aber nicht geplant. „Angesichts der Lage, in der wir uns aufgrund der Coronapandemie befinden, können wir anlässlich des 225. Jubiläums nicht viel machen, außer unsere übliche Festmesse zu feiern“, bedauert Pfarrer Martin.

Das Absamer Marienbildnis ist in der Wallfahrtskirche ausgestellt. Bildnachweis: Kapferer

Mariengebet in der Basilika in Absam

Mutter Maria,

unsere Schwester und Freundin im Glauben,

wir stehen vor Dir,Du Frau aus dem Volk,

bescheiden und voller Liebe zu allen Menschen.

Lass uns Dich zum Vorbild nehmen,

Dein offenes Herz,

Dein Vertrauen und Deinen Mut.

Bitte, stärke uns auf unserem Weg,

hilf uns in Krankheit und Sorgen,

heile unser verletztes Herz,

tröste unsere suchende Seele.

Führ uns auf den Weg des wahren Glaubens,

der wahren Nächstenliebe zu allen Menschen.

In der Gemeinschaft mit Dir

und unserem Bruder und Meister Jesus

können wir unserer Vollendung

in unserer Heimat bei Gott entgegengehen.

Wir danken Dir. Amen.

Was ist ein Wallfahrtsort?

Predigt von Bischof Reinhold Stecher am 17. Jänner 1997 – 200 Jahre Wallfahrt

Wir haben in Tirol keinen der großen, weltberühmten Wallfahrtsorte. Wir haben kleinere, intimere, familiäre Heiligtümer. Da gibt es Kirchen, deren schlanke Türme weit übers Land lugen, Heiligtümer in Felsenschluchten und auf Almwiesen, stille Kirchlein zwischen Fichten und Lärchen, Kapellen an steilen Berglehnen oder einen Platz wie Absam, wo das Bild Mariens im Stubenfenster erschienen ist. Und alle diese heiligen Plätze sind Brillanten im Diadem der Heimat. Aber es ist uns oft nicht so bewusst. Vielleich ist es in einem Wallfahrtsort oft besonders wenig bewusst, weil das alles zur Selbstverständlichkeit geworden ist, zu einer Art frommen Gästebetriebes. Darum habe ich mir gedacht, dass ich bei diesem Gottesdienst, der das 200-Jahr-Jubiläum beinhaltet, einmal zu einer kleinen Besinnung einladen darf:

 

Was ist ein Wallfahrtsort?

 

1.     Er ist zunächst eine stille Bucht im unruhigen Strom der Zeit. Unser Leben ist eine Wildwasserfahrt, auf der wir von Welle zu Welle, von Stein zu Stein, von Wirbel zu Wirbel geschleudert werden. Unser Leben ist im allgemeinen kein Feldweg mit Stationen, die zum Verweilen einladen, sondern eine Autobahn, auf der man nur zum Tanken hält. Auch Absam ist eine stille Bucht im Strom der Zeit. Auf der Dörferstraße ist heute zehnmal mehr Verkehr als damals, vor 200 Jahren durchs ganze Tal gefahren ist. Unsere Welt ist unruhig geworden – und wir alle mit ihr. Darum brauchen wir stille Buchten, wo wir zu uns kommen und wo wir zu Gott kommen können. Der Prophet Jesaia hat gesagt: „Mein Volk wird an einer Stätte des Friedens wohnen an stillen, ruhigen Plätzen … nur in der Stille und im Vertrauen liegt eure Kraft!“ (Jes 32,18)

 

2.     Wallfahrtskirchen sind Brunnen, die immer rauschen. Das heißt, es sind einfach Orte der Gnade, nie versiegende Quellen der göttlichen Hilfe, ein Ort, von dem Kraft, Dynamis ausgeht. Jeder, der im Leben in der rechten Gesinnung, ohne Wunder sucht und in Demut wallfahren gegangen ist, wird das früher oder später gespürt haben: Manchmal Lösung eines Konflikts, oder eine überraschende Wende zum Besseren, tiefere Einsicht, größere Geduld, neue Tragfähigkeit in einem Leid. Die Brunnen Gottes rauschen auch dort weiter, wo menschliche Hilfe am Ende ist. Wir können alle nicht erfassen, was vor dem Bild da drüben an menschlichem Schicksal, an Leid und Freude herangeflutet ist. Wallfahrtsorte wissen mehr vom Lauf der Welt als alle Informationszentralen und Bibliotheken. Die Brunnen Gottes rauschen. Es ist wie in der Vision des Propheten Jesaia: „Auf den Hügeln lasse ich Ströme hervorbrechen und Quellen inmitten der Täler. Und ihr werdet Waser schöpfen, voll Freude aus den Quellen des Heils …“

 

3.     Wallfahrtsorte sind aber auch Mülldeponien, die die Innenwelt und die Umwelt entlasten. Wie viele Ängste, Verbitterungen, Halbheiten und Vorurteile, Unfrieden und Sünden sind hierhergetragen worden, der ganze Giftmüll der Seele. Und hier kann man abladen, hier wird der Müll der Schuld in die Abgründe der göttlichen Barmherzigkeit gestürzt. Für alle, die bereuen, arbeitet Gottes Heilswille mit Schubraupen. Wenn ich könnte, würde ich die Beichtstühle der Wallfahrtskirchen besser besetzen. Aber diese heiligen Orte sind natürlich mit und ohne Sakrament die Arenen der Umkehr, der Verzeihung und des Friedens der Seele. Auch dazu hat Jesaia gesprochen: „Ich nehme diese Schuld von dir und bekleide dich mit festlichen Gewändern.“

 

4.     Unsere Wallfahrtsorte sind Plätze, wo ein mütterliches Verstehen wartet. Jesus hat gewusst, wie wenig Geborgenheit diese Welt bietet. Unsere Zivilisation hat immer mehr beunruhigende, verwirrende, isolierende und belastete Züge. Darum hat der Herr mit den letzten Worten am Kreuz uns auch seine Mutter geschenkt. Und zwar eine Mutter, die um den Schmerz und das menschliche Leid weiß. Auch die Muttergottes von Absam trägt die Züge der leidenden Madonna – eine Erinnerung an das Kreuz. Denn in der Ewigkeit gibt es nichts mehr zu weinen. Der Schmerz Mariens ist nur eine Erinnerung daran, dass sie mit allen Leidenden solidarisch ist, weil sie`s selber mitgemacht hat. Am Wallfahrtsort werden wir in den Mantel mütterlicher Geborgenheit gehüllt.

 

5.     Und schließlich sind Wallfahrtsorte wie Absam Wegweiser zur Ewigkeit. Wir sind das ja gewöhnt, auf allen Straßen und Autobahnen: Überall sind sie da, die Hinweise und Verkehrsschilder, die Verkehrszeichen und Reflektoren, die da leiten und stoppen, warnen und einweisen, erlauben und verbieten, orientieren und ankündigen, sperren und öffnen. Wir brauchen aber auch Wegweiser für die große Route des Lebens, für den Weg unseres Herzens und die Straße zum Heil. Wallfahrtsorte sind solche Wegweiser. Eure Kirche hat einen wunderschönen Turm – ich weiß, einen Turm, der euch viel gekostet hat, bis die Glocken wieder läuten konnten. Aber die Turmrenovierung war doch kein hinausgeworfenes Geld. Der Turm von Absam grüßt mich von weitem, von der Nordkette, dem Glungezer und den Stubaierbergen, er grüßte mich, wenn ich von Garzan und dem Thaurerschloss herunterwandere, am Morgen und am Abend. Selbst wenn ich einmal nicht zukehren kann, der Turm des Heiligtums der Muttergottes im Stubenfenster ist doch ein Wegweiser in die Ewigkeit, der weit ins Land schaut.

 

 

Ein Wallfahrtsort wie unser Absam hat viele Rollen:

Er ist eine stille Bucht im Strom der Zeit, wo das Bott der Seele anlegen kann.

Er ist ein Brunnen der Gnade, der immer rauscht, eine Mülldeponie, die das Herz und das Leben und die Welt entlastet, ein Ort, wo das mütterliche Verstehen wartet und die Fürbitte unserer lieben Frau, und ein Wegweiser in die Ewigkeit.

Darum ist Absam ein Brillant im Diadem der Heimat, für den wir dem Herrn in diesem Jubiläumsjahr danken, weil er seit 200 Jahren blitzt und funkelt.