Frieden braucht Geschlechtergerechtigkeit in Religionen

Fundamentaltheologin Quast-Neulinger: Potenzial für Frauenrechte des Abu-Dhabi-Dokuments über Geschwisterlichkeit noch kaum erkannt

Geschlechtergerechtigkeit ist laut der Theologin Michaela Quast-Neulinger eine notwendige Voraussetzung für ein Zusammenleben in Frieden. Die Religionsgemeinschaften müssten dabei "einen wesentlichen Beitrag leisten", sagte die Innsbrucker Professorin für Fundamentaltheologie und Religionswissenschaft am Mittwochabend bei einem Vortrag an der Universität Salzburg. Auch Papst Franziskus I. und Großimam Ahmed Al-Tayyeb hätten dies in der sogenannten "Erklärung von Abu Dhabi" festgestellt bei ihrer Forderung einer "Kultur des gegenseitigen Respekts".

Eine Frau sei "kein anderes Wesen, sondern Mensch", betonte Quast-Neulinger. Dennoch fehle Frauen außerhalb Europas oftmals der Zugang zu theologischer Bildung - was unter anderem dazu führe, dass sie in der Religion zu wenig ernst genommen würden und in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt seien. So seien sie oft gezwungen, "von den Rändern her Theologie zu treiben", wodurch der Religionsdialog von Frauen oft an der Basis bleibt und nicht in höheren hierarchischen Ebenen möglich sei, analysierte die Expertin.

Als ein bisher noch kaum erkanntes Plädoyer für mehr Frauen-Mitwirkung bezeichnete die Expertin das interreligiöse Abkommen aus dem Jahr 2019. Es sei nicht nur ein "Meilenstein des christlich-muslimischen Dialogs", sondern habe auch Forderungen nach Freiheits-, Bürger- (Citizenship) und Frauenrechten formuliert. Adressaten seien außer die beteiligten Religionen - der Katholischen Kirche und des Islams - auch die "leitenden Persönlichkeiten in der Welt" gewesen, hob Quast-Neulinger hervor.

Dass bei einem interreligiösen Dokument erstmals explizit auch Frauenrechte hervorgehoben worden seien, habe die Rezeption des Dokuments bislang völlig übersehen, bedauerte die Theologin. Etwa bei der Forderung nach Gleichberechtigung geht es laut Quast-Neulinger darum, "unsichtbare Machtstrukturen" aufzubrechen. Viele Schritte seien dazu in der Umsetzung vonnöten, wie etwa die Öffnung von mehr Gremien für Frauen und die Erweiterung ihrer Zusammensetzung.

Kein Sonderrecht
Die genauere Lektüre des als "Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen" betitelten interreligiösen Textes zeige, dass der Papst und der Großimam sich diesbezüglich der "Unzulänglichkeit der eigenen Glaubensgemeinschaft" bewusst seien, sagte die Theologin. Ebenso, dass "alle als Gläubige vor dem einen Gott auf dem Weg hin zu einer Kultur universaler Geschwisterlichkeit sind".
Klar und deutlich bekenne sich das Dokument zu den "gleichen Rechten, gleichen Pflichten und gleichen Würde" aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Religion, Farbe, Ethnie, Sprache. In diesen Rahmen sei der Absatz zum "Recht der Frau" eingebettet. Freiheitsrechte wie Bekenntnis-, Gedanken- und Handlungsfreiheit, sowie das vollwertige, gleichberechtigte Bürgerrecht seien darin von Franziskus und Al-Tayyeb bestärkt worden. Dies zeige deutlich, "dass die Rechte von Frauen keine Sonderrechte sind, sondern eins sind mit den grundlegenden Menschen- und Bürgerrechten". 

Winkler-Lectures abgeschlossen
Der Vortrag bildete den 15. und letzten Teil der "Ulrich Winkler Lecture" der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg. Quast-Neulinger arbeitete in ihrer Zeit als Studienassistentin an der Salzburger Katholisch-Theologischen Fakultät mit dem 2021 verstorbenen Namensgeber der Reihe, Prof. Ulrich Winkler, zusammen, wie sie erklärte. Würdigend über Winkler äußerte sich auch Prof. Franz Gmainer-Pranzl, der als Leiter des Salzburger "Zentrum Theologie interkulturell und Studium der Religionen", die Vorlesungsreihe ausgetragen hatte. Er habe ihn erlebt als einen Kollegen, der vorbildhaft "mit Mut und Sturschädel gegen alle beharrenden Kräfte Akzente gesetzt hat", sagte Gmainer-Pranzl. 

Der Salzburger Dogmatiker Ulrich Winkler (1961-2021) war Assoziierter Professor am Fachbereich für Systematische Theologie und Mitgründer des Zentrums für Theologie Interkulturell und Studium der Religionen. Seine Forschungsschwerpunkte waren die Religionstheologie und die Komparative Theologie. Die Vorträge der "Ulrich Winkler Lectures" sollen am Ende der Reihe (2024) gesammelt in einem Buch der "Salzburger Theologischen Studien interkulturell" erscheinen. (Infos: www.plus.ac.at/ztkr/news-events-social-media/bthw2021/ulrich-winkler-lectures)

 

Eine Meldung von www.kathpress.at 

Michaela Quast-Neulinger, Assistenzprofessorin für Fundamentaltheologin und Religionswissenschaft an der Universität Innsbruck, bei den "Ulrich-Winkler-Lectures" - Foto: MIG-Pictures e.U. / Michaela Greil