Dem Geist Neues zutrauen

Bischof Hermann Glettler zur Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils vor 60 Jahren

Am 25. Januar 1959 gab Johannes XXIII. überraschend bekannt, dass er ein Konzil für die Weltkirche einberufen möchte, dessen Ziel die „Erneuerung“, „größere Klarheit im Denken“ und „Stärkung des Bandes der Einheit“ sein soll. Auch wenn die Vorbereitungen recht rasch begonnen haben und am Weihnachtstag 1961 das Konzil offiziell für 1962 einberufen wurde, blieben viele skeptisch. Nicht wenige hofften, dass die wenigen offenen Lehrfragen rasch geklärt und damit das Konzil wieder vorbei sei. Dem war nicht so. Der Geist Gottes hatte anderes vor. Es wurden insgesamt vier Sitzungsperioden, in denen die katholische Kirche in allen Bereichen einer radikalen Frischzellenkur unterzogen wurde. Der Abschluss fand am 8. Dezember 1965 statt.

 

„Aggiornamento“ wurde zum Symbolwort der Einberufung des Konzils und beschreibt die Intuition von Papst Johannes XXIII.. Es ging ihm nicht um eine oberflächliche „Anpassung an das Heutige“, sondern um ein entschlossenes Öffnen aller Fenster und Türen der Kirche für das vielfältige Wirken Gottes in und trotz aller Veränderungsprozesse. Mit der Achtsamkeit auf die „Gotteszeichen der Zeit“ (Alfons Beil) sollte dem Heiligen Geist ein neuer Landeplatz bereitet werden. Und tatsächlich: Das Zweite Vatikanische Konzil wurde zu einem neuen Pfingsten für die Kirche!

 

In einem leidenschaftlichen Ringen der 2500 Konzilsteilnehmer, die sich vom Geist Gottes inspirieren ließen, wurden Wegweisungen für die Zukunft gefunden. Final waren es 16 Dokumente, in denen das Selbstverständnis von Kirche inmitten einer pluralen Welt geklärt und auch ein neues, dialogisches Verständnis von Mission und Apostolat grundgelegt wurde. Nicht nur im ökumenischen und Interreligiösen Dialog war „ein neuer Geist“ zu spüren – auch wenn wesentliche Aussagen des Konzils nach wie vor nicht entsprechend rezipiert sind. Vielleicht ist es 60 Jahre nach der Konzilseröffnung Zeit, mit einer verbindlichen Lektüre der geistvollen Texte neu zu beginnen. In jedem Fall täte uns eine echte „Begeisterung“ in Zeiten der Verzagtheit und krampfhaften Fixierung auf Defizite und Ressourcenmängel außerordentlich gut. Und auch ein „Geist der Unterscheidung“ in den vielen offenen Fragen, die heute anstehen. Die Beteiligung von Laien, Frauen und Männern, an allen kirchlichen Beratungen, wäre vermutlich so ein Anstoß vom „Geist des Konzils“ . Wir können es uns nicht leisten, eine Laien- und Klerikerkirche gegeneinander auszuspielen. Der Geist wirkt in dem einen Volk Gottes, das vom Wort Gottes, dem apostolischen Lehramt und den vielfältigen Lebens- und Glaubenserfahrungen der Gläubigen geleitet wird. Allen Separatismen, Schismen, angstgeleiteten Abgrenzungen und Polarisierungen fehlt es an Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes. Er ist doch die „neue Flamme“ der göttlichen Liebe, die in unseren Herzen immer neu entzündet werden sollte, wie es Papst Paul VI. in seiner Schlussansprache formuliert hat. Trauen wir diesem Heiligen Geist zum 60. Geburtstag des Konzils doch wieder Neues zu!

Foto: Aichner/dibk.at