Bischof Glettler: Franziskus ist ein Geschenk für die ganze Welt

10 Jahre Papst Franziskus – ein Zeuge berührender Menschlichkeit weit über die Kirche hinaus

Am 13. März 2013, also vor zehn Jahren, kam der argentinischen Kardinal Jorge Mario Bergoglio als Papst Franziskus aus dem Konklave. Kaum jemand ahnte, wie sehr der päpstliche Wirbelwind vom anderen Ende der Welt der Kirche Frischluft einhauchen wird. In den vielen Krisen unserer Zeit bezeichnet ihn der Innsbrucker Diözesanbischof Hermann Glettler als „Gestalt berührender Menschlichkeit, die weit über die Kirchengrenzen hinaus wirkt.“ Papst Franziskus sei „ein Geschenk für die ganz Welt“. Beginnend mit seiner ersten Auslandsreise ins Flüchtlingszentrum von Lampedusa war sein prophetischer Blick immer auf die unzähligen leidgeprüften Menschen in den globalen Armuts- und Krisenregionen gerichtet. „Papst Franziskus träumt nicht nur von einer weltweiten Geschwisterlichkeit, sondern wirft sich selbst unermüdlich in die Waagschale, um Räume des Dialogs und der Verständigung zu öffnen“, so Glettler.   

Bei allen persönlichen Begegnungen habe den Tiroler Bischof immer beeindruckt, dass „Papst Franziskus die einzelnen Menschen, die ihm im Augenblick gegenüberstehen, mit einer nahezu uneingeschränkten Aufmerksamkeit wahrnimmt.“ Diese Erfahrung haben auch die Tiroler Delegationen machen dürfen, ob das 2019 zur Jubiläumsfeier von ´Roll-On Austria´ war oder bei der großen Diözesanwallfahrt im Herbst 2022. Papst Franziskus agiert für Bischof Hermann „wie ein leidenschaftlicher Seelsorger, dem die Freuden und Verwundungen aller Menschen am Herzen liegen“. Die Kirche habe er nicht zuletzt deshalb gedrängt, ihre eigene Aufgabe neu zu überdenken. „Mit der Einladung zum Synodalen Prozess hat uns der 86-jährige Papst zu einer engagierten Weggemeinschaft mit allen Menschen verpflichtet“, erläutert Bischof Glettler und fährt fort: „Papst Franziskus mahnt seit Beginn seines Pontifikats alle kirchlichen Verantwortungsträger, nicht in den kircheninternen Themen und Befindlichkeiten steckenzubleiben.“ 

Franziskus ist nicht nur ein Mann des Wortes, wie ihn Wim Wenders im berühmten Filmportrait skizzierte. Der Bischof von Rom ist ein Mann des Gebets. Seine Kraft und Kreativität für die unzähligen Begegnungen, Audienzen, Reisen, Vorträge und Predigten schöpft er aus der Stille der persönlichen Begegnung mit Gott. Bischof Glettler: „Papst Franziskus ist mit seinen vielen spirituellen und gesellschaftspolitischen Impulsen ein sprudelnder Quell von Zuversicht“. Bei einer seiner ersten Audienzen nach der Pandemie habe er die geistvolle Spontanität des Papstes direkt erleben können. Eine Frau unmittelbar hinter der Absperrung rief ihm zu: „Heiliger Vater, das ist jetzt mein Sohn, den sie schon gesegnet haben, als ich zu ihm schwanger vor acht Jahren hier war.“ Franziskus hat dieses Wort aufgeschnappt und sich spontan dem 8-Jährigen zugewandt: „Weißt du, was segnen bedeutet? Segnen bedeutet, jemandem Hoffnung zusprechen!“ Gesagt und sogleich mit einer väterlichen Handauflegung herzlich gesegnet.

  

DATEN UND FAKTEN

 

Ein Rückblick auf zehn Jahre Papst Franziskus von Kathpress 

Oder: Wie sehr der päpstlicher Wirbelwind vom anderen Ende der Welt die Kirche verändern würde 

vor dem Konklave, das im März 2013 den Nachfolger von Benedikt XVI. wählen sollte, machte unter den Kardinälen in Rom auch der Name Jorge Bergoglio die Runde. Doch war der 76-jährige Erzbischof von Buenos Aires nicht zu alt? "Nein", meinte ein chilenischer Kardinal damals, "vier Jahre Bergoglio wären genug, um Dinge zu ändern." Inzwischen ist der erste Lateinamerikaner an der Spitze der katholischen Kirche fast zehn Jahre im Amt. Und hat viel verändert.

Ein Mann der Gesten
Der Papst aus Argentinien ist ein Mann der Gesten. Ob er sich auf der Loggia des Petersdoms verbeugt, um ein Segensgebet der Gläubigen entgegenzunehmen, ob er einen durch Krankheit entstellten Mann umarmt oder den Anführern südsudanesischer Bürgerkriegsparteien die Füße küsst, um sie um Frieden zu bitten. Unvergessen seine Andacht zu Beginn der Pandemie mit dem erstmals überhaupt sakramental erteilten Segen "Urbi et orbi" am 27. März 2020 auf dem dunklen, verregneten, völlig leeren Petersplatz.
Allein seine Namenswahl war ein Fanal: Franziskus - der Revoluzzer-Heilige aus Assisi! Etliche Kardinäle waren glücklich, versprach der Name doch ein Reformprogramm, das sich viele erhofften. Anderen schwante Böses: "Das wird ein Desaster!", soll noch in der Sixtina der slowenische Kardinal Franc Rode dem US-Amerikaner William Levada zugeraunt haben.
Neuer Wind und neues Denken
Franz von Assisi stand für Armut, Friedensdiplomatie und Liebe zur Schöpfung. Themen, die das Pontifikat Bergoglios seither prägen. Als Anwalt von Menschen am Rande, als Friedensdiplomat und Mahner für ökologische und soziale Nachhaltigkeit hat sich Franziskus immer wieder eingemischt. Mit unterschiedlichem Erfolg - ob in Zentralafrika, Myanmar, Südsudan, im Ukraine-Krieg oder in Pandemie und Klimakrise. Stärker als seine Vorgänger setzt er dabei auf die interreligiöse Zusammenarbeit.
Insgesamt brachte der Argentinier neuen Wind und neues Denken in das von mediterraner Mentalität und manch höfischen Mustern geprägte Zentrum der Kirche. Das zeigt sich auch an seinen Reisezielen und Kardinalsernennungen - mit Namen und Ländern, die es kaum in den medialen Mainstream Nordamerikas oder Europas schaffen. Die erste Reise unternahm Franziskus 2013 zu den ertrunkenen Bootsflüchtlingen vor Lampedusa. Um die Welt besser zu verstehen, müsse man sie von den Rändern her sehen, mahnte er wiederholt.
„Radikal, nicht liberal“
Aber während Franziskus in etliche Bereiche Bewegung bringt und für Umbrüche sorgt, bleibt er in anderen Fragen traditionell, beharrend, drängt auf Vertiefung. „Franziskus ist nicht liberal, er ist radikal“, sagte Kardinal Walter Kasper einmal mit Blick auf enttäuschte Reformerwartungen seiner Landsleute. Besonders deutlich ist das bei Franziskus' Mammut-Projekt für mehr katholische Synodalität.
Einerseits hat er die punktuellen Versammlungen der Bischofssynode zu einem längerfristigen Projekt mit Laienbeteiligung ausgeweitet. Doch während andere Reformer - nicht nur im deutschsprachigen Raum - auf konkrete Entscheidungen etwa in Sachen weiblicher Weiheämter, Pflichtzölibat oder Demokratisierung drängen, geht es Franziskus zunächst um einen anderen Umgangsstil in der Kirche. Welche konkreten Schritte daraus erwachsen und wann diese umzusetzen wären, kann sich für ihn erst später zeigen.
Berüchtigte Weihnachtsansprachen
Und während er manche Entscheidungskompetenz aus dem Vatikan den Ortsbischöfen zurückgibt, behält er vieles andere sich selbst vor. Was sich auch bei seiner Kurienreform zeigt. Beraten von einem externen Kardinalsrat, unter teils frappanter Umgehung der Kurie reformiert Franziskus die Zentralverwaltung der Weltkirche - schritt- und teils auch probeweise. Den Gesamtentwurf der im April 2013 angekündigten Kurienreform gab es erst im März 2022.
Dass Reform für Franziskus in Kopf und Herz beginnt - und weniger mit Strukturen und Paragrafen, machte er in berüchtigten Weihnachtsansprachen an die Kurie deutlich. Wenn er von kurialen Lähmungen, Schizophrenie und Alzheimer sprach, wurde klar, wie er bisher am anderen Ende der Welt den Vatikan wahrgenommen hatte. Allerdings haben in seiner Amtszeit Tempo, Transparenz und Kooperationsfähigkeit der Kurie sich noch nicht sehr viel verbessert. Das zeigt sich trotz eines großangelegten Anti-Missbrauchsgipfels 2019 und daraus folgender Maßnahmen auch bei diesem Thema. 

„Macht Lärm!“
Wichtigste Aufgabe des Mannes aus dem Stuhl des Petrus ist es, die Einheit der Weltkirche zu wahren. Zwar gab es auch unter Johannes Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) Proteste und Kritik. Doch kein Papst brachte so viel Unruhe wie Franziskus. Was für ihn nicht negativ ist.
„Fate chiasso!“ – „Macht Lärm!“, forderte er des Öfteren, wenn er zu jungen Menschen sprach. Nach zehn Jahren ist klar, wie sehr der Kardinal aus Chile Recht behalten hat: Die katholische Kirche unter Franziskus ist nicht mehr die gleiche. 

www.kathpress.at 

Begegnung von Bischof Hermann Glettler mit Papst Franziskus bei der Diözesanwallfahrt nach Rom 2022. Bild: Sigl/dibk