Caritas-Studie: Versteckte Armut trifft meist Frauen

Kürzungen verschärfen Armut und soziale Ungleichheit, betont Caritas Tirol

Armut – in all ihren Facetten – ist auch in Tirol Realität: Laut Armutsbericht des Landes sind in Tirol mehr als 111.000 Menschen armutsgefährdet. Mehr als 18.000 Personen gelten als arm. Österreichweit lebten im vergangenen Jahr 336.000 Menschen in absoluter Armut – ebenso viele wie im Jahr zuvor. Das bedeutet: Armut hat sich verfestigt. Hinzu kommt die versteckte Armut – also jene, die auf den ersten Blick nicht erkennbar ist bzw. durch unterschiedliche Faktoren verdeckt wird. Davon sind vor allem Frauen betroffen, die mit anderen Menschen in einem Haushalt zusammenleben und ohne deren Einkommen arm wären. Eine aktuelle Studie, die von der Caritas Österreich in Auftrag gegeben wurde, belegt, dass Frauen in gemeinsamen Haushalten ein dreimal so hohes Risiko haben als Männer, in Armut zu geraten.

 

„Die Teuerung ist allgegenwärtig – und gerade jetzt sind stabile soziale Netze wichtiger denn je. Doch stattdessen stehen Kürzungen bei zahlreichen Sozialleistungen im Raum. Besonders hart trifft das jene, die ohnehin schon mit dem Wenigsten auskommen müssen. Als Caritas sehen wir es als unsere zentrale Aufgabe, diesen Menschen zur Seite zu stehen. Doch auch unsere Möglichkeiten sind begrenzt – ohne ausreichende verlässliche, finanzielle Unterstützung geraten Projekte unter Druck. Hilfe für die Schwächsten braucht verlässliche Rahmenbedingungen“, hält Caritas-Direktorin Elisabeth Rathgeb im Rahmen der Pressekonferenz zur nun beginnenden Inlandssammelaktion der Caritas der Diözese Innsbruck fest.

 

Während die Armut wächst, nehmen Unterstützungsangebote ab – öffentliche Gelder werden gekürzt: Die Neuregelung der Sozialhilfe, die Streichung der Familienbeihilfe für Sozialhilfebezieher*innen, der Stopp der Inflationsanpassung von Familienleistungen oder die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags auch für Mindestpensionist*innen. Alles Maßnahmen, die die Ärmsten treffen – jene, denen das Geld zum Leben bereits fehlt. Am meisten davon betroffen: Frauen und Kinder. Und sie bezahlen nicht nur monetär – sondern auch mit ihrer Sicherheit, ihrer Gesundheit und ihren Perspektiven. „Kürzungen dürfen nicht zu Lasten von Kindern und Jugendlichen gehen – etwa bei den Familienbeihilfen. Bereits 2024 wuchsen 79.000 Kinder und Jugendliche in Österreich in absoluter Armut auf. Jede weitere Einsparung droht, diese traurige Zahl weiter in die Höhe zu treiben.“

 

Erleichtert ist Caritas-Direktorin Rathgeb über die Rücknahme der angekündigten Einsparungen im Behindertenbereich durch das Land Tirol: „Sie hätten gerade jene Einrichtungen getroffen, die eine Tagesstruktur für Menschen mit Behinderungen bieten – so wie das Caritas Zentrum-Zillertal.“ In der dortigen Tagesstätte werden erwachsene Menschen mit Behinderungen betreut. Viele von ihnen besuchen die Einrichtung seit Jahrzehnten. Durch das Angebot der Tagesstätte können diese Menschen weiterhin zuhause leben. „Hier leisten Eltern ohnehin schon einen großen Beitrag in der Betreuung. Alternative Angebote sind kaum vorhanden. Und die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben darf nicht zusätzlich eingeschränkt werden. Und: Eine dauerhafte Sicherstellung der Finanzierung ist auch in unserem Interesse. Daher begrüßen wir den vom Land Tirol angekündigten gemeinsamen Prozess.“

 

Auch andere soziale Einrichtungen der Caritas sind auf Unterstützung der öffentlichen Hand angewiesen: Sozialberatung, Obdachlosenarbeit, Jugendarbeit und Notschlafstellen wie die Mentlvilla können nicht ausschließlich über Spenden finanziert werden. Gerade diese Angebote richten sich direkt an jene Menschen, die ohnehin wenig haben – etwa Alleinerzieher*innen, wohnungslose Menschen oder Jugendliche ohne familiären Rückhalt. „Wenn hier gespart wird, trifft es jene, die am dringendsten Unterstützung brauchen. Kinder und Jugendliche verlieren damit nicht nur einen sicheren Ort, sondern auch Perspektiven für ihre Zukunft. Es droht eine Abwärtsspirale, die schwer zu stoppen ist“, warnt Rathgeb und ergänzt: „Wir sprechen hier nicht von Projekten, die gerade erst anlaufen – sondern von laufenden, bewährten Angeboten, die seit Jahren Sicherheit und Stabilität in unserer Gesellschaft gewährleisten. Umso wichtiger ist ein starkes soziales Netz – es bildet die Grundlage für eine stabile, sichere und solidarische Gesellschaft.“

 

Neue Caritas Studie zeigt: Versteckte Armut bei Nicht-alleinlebenden Frauen
Eine Studie, die tags zuvor von der Caritas Österreich in Wien präsentiert wurde, zeigt: Besonders nicht-alleinlebende Frauen sind in Österreich von Armut gefährdet – deutlich stärker als Männer. „Üblicherweise wird dieses Risiko stark unterschätzt. Die ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit ist ein wesentlicher Grund dafür. Vor allem Care-Arbeit ist und bleibt bei uns im Land hauptsächlich Frauen-Aufgabe“, erläutert Rathgeb. Auch die Familiengründung trägt zu einem erhöhten Risiko bei und verstärkt das Ungleichgewicht: Mit jedem Kind wird das Armutsrisiko für Frauen größer, während jenes für Männer sinkt. 

 

Was kann getan werden, um Frauen gezielt zu unterstützen? „In der Sozialberatung geben wir Lebensmittelgutscheine ganz gezielt an Frauen aus, die sich selbst und ihre Kinder nicht ausreichend ernähren können – und nicht an den Mann in der Familie, der meist die Hoheit über die Finanzen hat“, erklärt Mag.a Somi Jochum, Leiterin der Caritas Sozialberatung. So kommt die Hilfe direkt an. Ein Fokus liegt auch darauf, Alleinerziehende zu unterstützen – mit Beratung, Sachspenden und Lebensmittelgutscheinen.

 

Sozialberatung ist wichtige Anlaufstelle
Generell erlebt die Caritas Sozialberatung weiterhin einen hohen Bedarf an Beratungen: Mit knapp 4.000 Beratungen bis Ende September bleibt die Zahl konstant hoch. Anders als in früheren Jahren blieb heuer die Nachfrage nach Unterstützung auch in den Sommermonaten ungebrochen.
Ein zentrales Thema, das die Sozialberatungsstellen in allen Regionen beschäftigt, sind die hohen Mieten und die Energiekosten. Viele Menschen können ihre laufenden Kosten nicht mehr decken, Rückstände häufen sich – und das, bevor die eigentliche Heizsaison überhaupt begonnen hat. Geholfen werden kann hier zum Beispiel mit einer Energiesparberatung, die über die Energieagentur Tirol angeboten wird. Außerdem bekommen die Klient*innen Unterstützung in der Beantragung von Förderungen und Informationen zu möglichen Zuschüssen. 

 
Die finanzielle Belastung in unserer Gesellschaft ist für manche so groß, dass selbst der Kauf von Suppe, Nudeln, Öl oder Mehl zur Herausforderung wird. In der Caritas-Zentrale in Innsbruck wurden daher für Klient:innen der Sozialberatung Regale mit Grundnahrungsmitteln zur freien Entnahme aufgestellt – sie sind regelmäßig leer. „Viele unserer Klientinnen und Klienten kaufen in Sozialmärkten ein – aber gegen Monatsende reicht selbst dafür das Geld oft nicht mehr“, so Jochum. 

 

Besonders fordernd ist die Zeit rund um den Schulbeginn für Familien. „Wir beobachten – besonders bei höheren Schulen – einen dramatischen Trend: Immer öfter scheitern Schulkarrieren an finanziellen Hürden – die Schülerinnen und Schüler bringen zwar die notwendigen schulischen Leistungen, die Eltern können sich die Anforderungen für die Ausbildung – zum Beispiel spezielle Laptops oder Softwareprogramme – nicht leisten und die Kinder müssen die Schullaufbahn beenden.“ Manchmal ist es auch die Grundausstattung, die Familien vor Probleme stellt: Deshalb werden über die Caritas recycelte Schultaschen und gespendetes Material verteilt. Heuer waren es rund 130 Schultaschen, die bedürftigen Familien zugutegekommen sind. Außerdem bekommen berechtigte Familien Unterstützung über die Aktion „Schulstartklar“, bei der Familien mit Gutscheinen für Schulmaterial versorgt werden. Während dieser Service vom Bundesministerium heuer zum zweiten Mal auch komplett digital angeboten wurden, wird beobachtet, dass viele eine persönliche Anlauf- und Ausgabestelle brauchen.

 

Herbstsammlung startet
Im Rahmen der Inlandssammlung sammelt die Caritas der Diözese Innsbruck für Menschen in Not in Tirol. Die Spenden kommen jenen Menschen zugute, die Hilfe am dringendsten brauchen. Damit bekommen sie nicht nur das Nötigste, um den Alltag zu bestreiten, sondern auch ein großes Zeichen der Solidarität und Hoffnung.
Spendenmöglichkeit:
Raiffeisen Landesbank Tirol
IBAN: AT79 3600 0000 0067 0950
Kennwort: Armut in Österreich
Oder unter www.caritas-tirol.at/armut 

 

Zahlen & Fakten 

  • Laut Armutsstatistik des Landes galten im Durchschnitt der Jahre 2021 bis 2023 in Tirol 111.453 Menschen als armutsgefährdet. Daraus ergibt sich eine Armutsgefährdungsquote von 14,8 Prozent.
  • 336.000 Menschen in Österreich lebten 2024 in absoluter Armut. Das sind ebenso viele wie im Jahr zuvor.
  • Kinder und Jugendliche sind ebenso stark von Armut betroffen: 79.000 Kinder und Jugendliche wuchsen 2024 in absoluter Armut auf.
  • 36 Prozent - rund ein Drittel - aller Alleinerziehenden lebt unter der Armutsgefährdungsschwelle.
  • In Österreich ist jede dritte Frau, die mit anderen zusammenlebt, ohne das Einkommen anderer im Haushalt armutsgefährdet. Sie haben ein dreimal höheres Armutsrisiko als Männer in Haushaltsgemeinschaften.
  • Mit der Familiengründung erhöht sich das Armutsrisiko von Frauen deutlich und mit jedem Kind stärker, während jenes der Männer sinkt: Frauen mit drei Kindern: 65 %; Männer: 12 %.
  • Sozial- und Steuerleistungen in Österreich gleichen die ökonomische Benachteiligung nach Geschlecht nicht aus. Sie reduzieren das Armutsrisiko von Männern in Haushaltsgemeinschaften sogar stärker als das der Frauen. 
Caritas-Studie: Versteckte Armut trifft meist Frauen
Für viele reicht das Geld für das Grundlegendste nicht mehr. Caritas Direktorin Elisabeth Rathgeb (l.) und Somi Jochum, Leiterin der Caritas-Sozialberatung, informierten über die aktuelle Lage in Tirol und präsentierten ein Regal mit Grundnahrungsmitteln für die Klient:innen der Sozialberatung. Foto: Caritas Tirol/D. Giesinger