Die Zeit des geduldigen Wartens geht zu Ende

Statement von Bischof Hermann Glettler vom 10. Jänner 2021 zum Flüchtlingselend auf der Insel Lesbos

Heute geht mit dem Fest „Taufe des Herrn" die Weihnachtszeit zu Ende. Erschüttert von den aktuellsten Berichten und Fotos aus dem Flüchtlingslager auf Lesbos habe ich heute aufgehört, an ein Weihnachtswunder der österreichischen Bundesregierung in der Causa Lesbos zu warten und auf ein solches zu hoffen. Jetzt braucht es ein entschlossenes Handeln. Alles andere verkommt zu einem unverantwortlichen Alibi. Ich wende mich mit diesem Statement an alle politischen Verantwortungsträger/innen, Hilfsorganisationen und Menschen guten Willens – an alle, die bereit sind, ihrem Gewissen zu und einer Ethik zu folgen, die einer Not-wendenden Verantwortung entspricht.

Die neuesten Fotos aus dem Notlager Kara Tepe verbieten allen, die sich eine Restmenge an Empathie bewahrt haben, ein politisches Taktieren. Eine Woche mit anhaltenden Regenfällen hat auf der Insel begonnen. Die Temperaturen während der Nacht werden laut Prognose in den kommenden Tagen auf 5 Grad fallen. Und in der 16-Tage Prognose bleiben sie auf diesem erschreckenden Tiefstand. Die Rede von einer „Hilfe vor Ort“ als Ersatz für eine Evakuierung des Lagers ist angesichts dieser winterlichen Temperaturen nur mehr zynisch. 

Wo ist denn die Hilfe vor Ort, wenn auf den Wegen zwischen den Zelten das Wasser steht, die Feuchtigkeit und Kälte nicht mehr aus den Notzelten zu entfernen ist und schlimmste Erkrankungen zu befürchten sind? Wo ist denn die Hilfe vor Ort, wenn sich über 7000 Menschen immer noch mit einem Kübel Wasser kalt duschen müssen, weil die 37 (!) Warmwasser-Duschen nicht ganz ausreichen? Wo ist denn die Hilfe vor Ort, wenn eine magere Mahlzeit pro Tag (an einigen Tagen ist diese auch noch kalt!) den Hunger der Menschen nicht wirklich stillen kann?

Es ist schon längst nicht mehr verständlich, dass unzählige Österreicherinnen und Österreicher, politische Gemeinden, Pfarren und kirchliche Gemeinschaften, Solidaritätsgruppen und unzählige Engagierte sich der politischen Haltung des Bundeskanzlers zu beugen haben.

Ich wiederhole eindringlich meinen Appell: 100 Familien jetzt aufnehmen – ohne Wenn und Aber! Über alle Parteigrenzen hinweg sollte Österreich den längst fälligen Beitrag zur Beendigung der elendigen Situation auf Lesbos leisten. Jedes politische Kalkül auf Kosten dramatisch notleidender Menschen ist ein Hohn jeder christlich sozialen Politik. Es geht nicht um diese oder jene Position in der Debatte um mehr oder weniger Flüchtlinge, die aufzunehmen sind, sondern um einen humanitären Anstand. Was gehört sich und was gehört sich nicht. Der humanitäre Anstand verpflichtet dazu, in einer akuten Notlage rasch und effektiv zu helfen. Diesen humanitären Anstand hat Österreich in vielen Katastrophenfällen seit dem Krieg immer gezeigt. Auch aktuell  geschieht dies Gott sei Dank in Kroatien. Es geht also nicht um eine Asyldebatte, sondern um die Notwendigkeit einer sofortigen „humanitären Aufnahme“ von Menschen in Not.

Die Aufnahme von 100 Familien (Man beachte: mindestens 250 Familien im Lager haben einen positiven Asylbescheid!) wäre ein deutliches Zeichen, dass ganz Europa handeln muss. Lesbos und die anderen griechischen Inseln, die eine ähnliche Misere zeigen, sind mittlerweile Synonym für das Versagen einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik. Das ist nicht mehr zu entschuldigen. Es geht um das Schicksal Tausender Menschen. Sie dürfen nicht der Spielball einer europäischen Abschreckungspolitik bleiben. Nach den positiv abgeschlossenen Asylverfahren müssen die Leute fair in Europa verteilt werden. 

Das wiederholte Argument von den zu fürchtenden Pull-Faktoren verkommt zu einem unerträglichen Gerede, wenn man die Situation vor Ort auch nur annähernd kennt und ernstnimmt. Mein dreitägiger Besuch auf der Insel hat in mir die Überzeugung reifen lassen: Wir müssen entschlossen die Fluchtursachen bekämpfen und nicht die Flüchtenden! Ja, alle Mitgliedsstaaten der EU sind zum Handeln aufgefordert! Der humanitäre Schandfleck Lesbos ist für unser gemeinsames Europa, das einer Menschenrechts- und eine Flüchtlingskonvention verpflichtet ist, einfach nicht zu tolerieren.

Worauf warten? Bis es Erfrorene in den Lagern gibt? Bis die Zustimmungsquote für eine längst fällige Entscheidung den Bundeskanzler überzeugt? Unzählige Einzelpersonen und Aktivgruppen wollen sich nicht mehr damit abfinden. Die Zeit des geduldigen Wartens geht zu Ende – weil es um konkrete Menschen mit ihren unerträglichen Schicksalen geht!

Mit Gebet und energischen Segenswünschen für alle Beteiligten!

Bischof +Hermann Glettler

Das Lager Kara Tepe II

Anhaltender Regen

"Eine Woche mit anhaltenden Regenfällen hat auf der Insel begonnen. Die Temperaturen während der Nacht werden laut Prognose in den kommenden Tagen auf 5 Grad fallen. Und in der 16-Tage Prognose bleiben sie auf diesem erschreckenden Tiefstand. Die Rede von einer 'Hilfe vor Ort' als Ersatz für eine Evakuierung des Lagers ist angesichts dieser winterlichen Temperaturen nur mehr zynisch. Wo ist denn die Hilfe vor Ort, wenn auf den Wegen zwischen den Zelten das Wasser steht, die Feuchtigkeit und Kälte nicht mehr aus den Notzelten zu entfernen ist und schlimmste Erkrankungen zu befürchten sind? Wo ist denn die Hilfe vor Ort, wenn sich über 7.000 Menschen immer noch mit einem Kübel Wasser kalt duschen müssen, weil die 37 (!) Warmwasser-Duschen nicht ganz ausreichen? Wo ist denn die Hilfe vor Ort, wenn eine magere Mahlzeit pro Tag (an einigen Tagen ist diese auch noch kalt!) den Hunger der Menschen nicht wirklich stillen kann?", heißt es wörtlich.
Glettler sieht es als nicht mehr verständlich, dass unzählige Österreicherinnen und Österreicher, politische Gemeinden, Pfarren und kirchliche Gemeinschaften, Solidaritätsgruppen und Engagierte sich "der politischen Haltung des Bundeskanzlers zu beugen" hätten. Der Bischof appelliert, 100 Familien jetzt aufzunehmen, "ohne Wenn und Aber". Über alle Parteigrenzen hinweg sollte Österreich "den längst fälligen Beitrag zur Beendigung der elendigen Situation auf Lesbos leisten". Jedes politische Kalkül auf Kosten dramatisch notleidender Menschen sei "ein Hohn jeder christlich sozialen Politik".
Der humanitäre Anstand verpflichte dazu, in einer akuten Notlage rasch und effektiv zu helfen. Diesen humanitären Anstand habe Österreich in vielen Katastrophenfällen seit dem Krieg immer gezeigt, und auch aktuell geschehe dies in Kroatien. 

Alle EU-Staaten gefordert

"Es geht also nicht um eine Asyldebatte, sondern um die Notwendigkeit einer sofortigen 'humanitären Aufnahme' von Menschen in Not. Die Aufnahme von 100 Familien (Man beachte: mindestens 250 Familien im Lager haben einen positiven Asylbescheid!) wäre ein deutliches Zeichen, dass ganz Europa handeln muss. Lesbos und die anderen griechischen Inseln, die eine ähnliche Misere zeigen, sind mittlerweile Synonym für das Versagen einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik. Das ist nicht mehr zu entschuldigen. Es geht um das Schicksal Tausender Menschen. Sie dürfen nicht der Spielball einer europäischen Abschreckungspolitik bleiben. Nach den positiv abgeschlossenen Asylverfahren müssen die Leute fair in Europa verteilt werden. Das wiederholte Argument von den zu fürchtenden Pull-Faktoren verkommt zu einem unerträglichen Gerede, wenn man die Situation vor Ort auch nur annähernd kennt und ernstnimmt", heißt es wörtlich im Appell. Alle Mitgliedsstaaten der EU seien zum Handeln aufgefordert. Der humanitäre Schandfleck Lesbos sei für Europa, das einer Menschenrechts- und eine Flüchtlingskonvention verpflichtet ist, einfach nicht zu tolerieren, so Glettler.

 

Eine Meldung von www.kathpress.at