Bischof Hermann: "Pfingsten ist ein Lebensprogramm"

Pfingsten ist die "unersetzliche Proklamation des 'anderen Geistes', der nicht zugrunde richtet, sondern aufrichtet"

Pfingsten ist mehr als ein vorübergehender Event mit bewegenden Liedern und "fromm gestylten Sprüchen": "Pfingsten ist ein Lebensprogramm", das "Empowerment" im Sinne einer Übernahme von Verantwortung bietet. Darauf hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler bei seiner Predigt am Pfingstsonntag hingewiesen. Der Heilige Geist, dessen Wirken Christen zu Pfingsten feiern, sei "kein religiöses Aufputschmittel, keine spirituelle Droge", sondern vielmehr eine Kraft, die "zur Freiheit, zum Verstehen und nicht zu Beherrschen" anleitet, so Glettler. Der Geist mache "gottfähig und weltfähig" zugleich und helfe, Krisen nicht nur zu widerstehen, sondern in ihnen "nicht zu verkrampfen oder zu resignieren".

 

Daraus leitete der Innsbrucker Bischof auch seine Skepsis gegenüber den öffentlich zur Schau gestellten "Prayer Meetings" im Oval Office mit US-Präsident Donald Trump ab: "Mich beeindrucken die Prayer-Meetings im Oval Office des amerikanischen Machtzentrums nicht! Der Heilige Geist lehrt uns doch, Unrecht zu benennen und nicht einer autoritären Politik ein frommes Mäntelchen umzuhängen." Solche Treffen müssten - wenn sie beanspruchten, dem Geist Gottes zu entsprechend - glaubhaft folgende Fragen beantworten: "Wer ist bereit, den Weg Jesu mitzugehen? Den Weg des Gewaltverzichts, des Respekts und der Herzensumkehr. Wer ist bereit, mit ihm auf der Seite derer zu sein, die es schwer haben?"

 

Nur dort, wo die Bereitschaft wachse, auch andere Überzeugungen gelten zu lassen und Beziehungen über die eigenen Grenzen hinaus herzustellen und zu leben, würde "ein neues Pfingsten für unsere verunsicherte Gesellschaft" möglich werden, so der Innsbrucker Bischof. Schließlich sei Pfingsten das gleichsam "trotzige Vertrauen, dass Gottes Geist letztlich stärker ist als alles, was die Würde des Menschen verletzt". In diesem Sinne müsse Pfingsten verstanden werden als "Aufstand gegen das Unrecht".

 

Eine Meldung von www.kathpress.at 

Bischof Hermann: "Pfingsten ist ein Lebensprogramm"
Symbolfoto: Sigl/dibk.at

Gottes Service und unsere Entscheidung

Predigt zum Pfingstfest 2025, Innsbruck, Dom St. Jakob und Spitalskirche

Einleitung: Mehr Geist, mehr Frieden, mehr Verständnis, mehr Kraft, mehr Ausdauer, mehr Liebe! Ich glaube, wir stimmen überein, dass wir Gottes Intervention brauchen, seinen Geist in einer Zeit der vielen Krisen und Verwerfungen, in einer Zeit der vielen Entfremdungen und Überforderungen. Ja, Pfingsten ist Gottes Antwort auf diese Sehnsucht, sein heilsames Service an uns – und an der von ihm geliebten Welt. 

 

1. Pfingsten – Gottes Service und Entgegenkommen 

Ich war eingeladen zur Firmspendung in einem Osttiroler Bergdorf. Die Kirche zu klein, sodass die Feier in einem großen, auf die Seiten hin offenen Zelt im Freien stattgefunden hat – mit herrlichem Ausblick auf die gegenüberliegende Bergwelt. Während der Predigt lud ich alle Mitfeiernden ein, die Hände wie eine Schale zu öffnen und Gottes Geist zu erbitten. Mit ganz einfachen Worten habe ich diese geistliche Übung angeleitet. Die Bürgermeisterin des Nachbarortes, eine umsichtige und höchst engagierte Lokalpolitikerin, sagte mir nach der Feier ganz begeistert: „Herr Bischof, das war eine super Energie!“ Ich habe ihr geantwortet, dass uns diese Energie immer zur Verfügung steht. Keine Magie, es ist Gottes Service, sein Dienst an uns. 

 

Jesus kam nach seiner Auferstehung zu den verängstigten Jüngern, die sich aus Furcht vor einem ähnlichen Schicksal zurückgezogen und eingesperrt haben. Analog würden wir heute sagen – in ihre Bubbles, in ihre emotionale und ideologische Bunker verschanzt haben. Jesus überraschte sie mit dem Zuspruch seines Friedens und mit seinem Geist. Er hauchte sie an. Das ist Pfingsten! Wiederholte Male wird er sie 50 Tage hindurch aufgesucht haben – und immer wieder aus ihrer Enge –  Gott-, Welt- und Menschenfurcht herausgelockt haben: „Empfangt meinen Geist!“ Öffnen wir uns in jedem Moment – und auch jetzt – diesem Heiligen Geist! 

 

Er macht uns „gottfähig und weltfähig“ – mir gefällt dieser Ausdruck, weil es Gottes Wirken bestens beschreibt. Es wirkt ja nicht nur eine Energie. Gott selbst befähigt uns, in den multiplen Krisen und Belastungen unserer Zeit zu bestehen, uns nicht zu verkrampfen oder zu resignieren. Der Hl. Geist sammelt uns und macht uns beziehungsfähig, dialogbereit und kommunikationsfähig – er tut dies, weil er von seinem göttlichen Wesen her die Kommunion, also die lebendige Gemeinschaft zwischen dem Vater und dem Sohn ist. Er befähigt uns zu einem ehrlichen Zuhören, damit wir einander Raum geben in uns selbst – und zu neuen Worten und Gesten, die der Versöhnung dienen. Gottes Geist macht uns  konflikt- und sprachfähig. 

 

2. Pfingsten – Proklamation eines „anderen Geistes“ 

„Der Geist des Herrn erfüllt das All“, so lautet die erste Strophe des Liedes, das zum Pfingstfest dazugehört, fast so wie die Pfingstrosen. Es stammt von Maria Luise Thurmair, die es im Jahr 1941 als Zeugnis ihres Glaubens geschrieben hat – übrigens hier in Innsbruck, wo sie sich damals aufhielt. Welcher Geist zu dieser Zeit in Tirol und im ganzen Deutschen Reich geherrscht hat, wissen wir – und gerade all diesen Abergeistern der Menschenverachtung und des rassistischen Machtwahns zum Trotz formuliert die aus Bozen stammende junge Frau ihren pfingstlichen Glauben. „In tiefsten Nöten“ wirkt Gott sein Heil, erweckt prophetische Stimmen mitten „in der Nacht“ – mitten in der kollektiven Verblendung. 

 

Und das Lied geht mit einer Klarheit und Leichtigkeit weiter, die staunen lässt: Gottes Geist „bricht die Macht des Bösen“, heißt es in der dritten Strophe. Eine mutige Ansage mitten im 2. Weltkrieg, ein geisterfülltes Gegenprogramm zum dämonischen Ungeist der damals herrschenden Ideologie. Ein pfingstlicher Widerstand angesichts der verordneten Lüge und Propaganda, die Menschen mitgerissen hat. „Der Geist des Herrn durchweht die Welt“, das ist die Spitzenbehauptung des Liedes. „Christus schreitet durch die Zeit“, und nicht die vom Führer Verführten mit ihren Militärstiefeln und zerstörerischen Waffen. „Gottes Reich“ wird lebendig, nicht das „Dritte Reich“! Jedes Jahr staune ich über die Widerstandskraft dieses Pfingstliedes. 

 

Und heute? Pfingsten ist die wichtige, unersetzliche Proklamation des „anderen Geistes“, der nicht zugrunde richtet, sondern aufrichtet. Ein Flehen um eine Alternative angesichts der vielen   Kriege und Gewaltexzesse unserer Zeit –  wie wir wissen, fatale Folgen ungezügelter Gier und egomaner Machtphantasien. Pfingsten ist das trotzige Vertrauen, dass Gottes Geist letztlich stärker ist als alles, was die Würde des Menschen verletzt – die Würde der ungeborenen, behinderten und psychisch belasteten Menschen. Proklamieren wir mit pfingstlicher Entschlossenheit die Kraft göttlicher Fürsorge für die Schwächsten – und kämpfen wir für seinen Frieden in einer vom Dämon des Krieges an vielen Orten heimgesuchten Welt. Pfingsten ist der Aufstand gegen das Unrecht. 

 

Pfingsten – die mutige Entscheidung für den Weg Jesu  

Pfingsten ist ein Lebensprogramm, weit mehr als ein vorübergehender Event mit mitreißenden Liedern und fromm gestylten Sprüchen. Dass Gottes Kraft vonnöten ist, wissen wir – er führt aus der Angst heraus, aus der Ohnmacht und emotionalen Lähmung. Bei diesem wichtigen „Empowerment“ sollten wir jedoch den Hl. Geist nicht missverstehen. Er ist kein religiöses Aufputschmittel, keine spirituelle Droge. Wenn wir der zärtlichen Kraft Gottes wirklich Raum geben, dann bewahrt er uns vor den Versprechen weltlicher Macht – vor der gefährlichen Spekulation, doch irgendwie stark, einflussreich, geehrt und wichtig sein zu  wollen. Er kritisiert unseren Traum von einer Kirche und von einer Religion, die das Leben der Menschen im Griff hat.  

 

Der Weg Jesu ist anders! Sein Geist wirkt anders! Sein Geist befähigt zur Freiheit, zum Verstehen und nicht zum Beherrschen. Sein Geist treibt an, Verantwortung zu übernehmen. Sein Geist darf jedoch nicht missbraucht werden, vor allem nicht zur Verbrämung einer Politik, die den brandgefährlichen Deals willkürlicher Machtmenschen folgt und die Schwachen unserer Zeit, die sozial Bedürftigen, Geflüchteten und Heimatlosen von Neuem demütigt. Im Klartext: Mich beeindrucken die Prayer-Meetings im Oval Office des amerikanischen Machtzentrums nicht! Der Heilige Geist lehrt uns doch, Unrecht zu benennen und nicht einer autoritären Politik ein frommes Mäntelchen umzuhängen. Prayer Meetings, wie charismatisch auch immer sie sein mögen, müssen sich den folgenden Fragen stellen: 

 

Wer ist bereit, den Weg Jesu mitzugehen? Den Weg des Gewaltverzichts, des Respekts und der Herzensumkehr. Wer ist bereit, mit ihm auf der Seite derer zu sein, die es schwer haben? Der Hl. Geist macht unsere Herzen liebesfähig, fähig zu einem echten Mitempfinden und Mitleiden – allem Traum von schnellen Lösungen der menschlichen Probleme zum Trotz. Die pfingstlichen Fragen stellen sich uns in einer Zeit des Drauflosbehauptens und des schnellen Verurteilens von Andersdenkenden und Andersglaubenden mit neuer Dringlichkeit: Wer ist bereit, Überzeugungen gelten zu lassen, die nicht mit den eigenen deckungsgleich sind – und Beziehungen, vielleicht sogar Freundschaften über die eigenen, oft engen ideologischen Grenzen hinaus zu pflegen? Wäre das nicht ein Pfingsten im Sinne des Erfinders? Ein neues Pfingsten für unsere verunsicherte Gesellschaft? 

 

Abschluss: Der Hl. Geist ist Gottes Entgegenkommen in einer Zeit viele Stressmomente und grober Verunsicherungen. Proklamieren wir seine andere Stärke, proklamieren wir seine Liebeskraft angesichts der vielen widergöttlichen Geister, die in unserer Zeit genauso am Werk sind. Und treffen wir vor allem die Entscheidung, Jesus zu folgen – und seinen Geist wirken zu lassen. Tatsächlich kann er in unserer verwundeten Zeit Heilsames vollbringen.