Expertin: Krieg für Moskauer Patriarchat ein "metaphysischer Kampf"

Innsbrucker Religionssoziologin Stoeckl: "Russisch-Orthodoxe Kirche stilisiert den Donbas zur Stätte einer Endschlacht zwischen der russischen Welt und dem Westen"

 Die von Patriarch Kyrill I. geführte Russisch-Orthodoxe Kirche sieht im Krieg in der Ukraine einen "metaphysischen Kampf" und "stilisiert den Donbas zur Stätte einer Endschlacht zwischen der russischen Welt und dem Westen". Das erklärt die Innsbrucker Religionssoziologin Kristina Stoeckl in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Falter".

Das Moskauer Patriarchat betrachte den Krieg "als Konflikt zwischen den christlichen Werten, für die Russland vermeintlich steht, und den liberalen, individuellen Werten, für die der Westen steht und die Russland ablehnt, etwa das Recht auf Selbstbestimmung oder Rechte für Homosexuelle", so die Expertin, die seit vielen Jahren zur Rolle der Orthodoxie in Russlands Politik und Gesellschaft forscht.

Diese Position sei theologisch nicht neu, praktisch-politisch habe es in jüngster Zeit aber durchaus eine Steigerung gegeben. Noch während der Maidan-Proteste 2014 habe das Moskauer Patriarchat deutlich zurückhaltender agiert, erklärt Stoeckl. "Kyrill hatte sich damals zumindest nicht offen hinter die Separatisten in der Ostukraine gestellt. Heute ist das anders."

Der Moskauer Patriarch Kyrill I. steht seit Monaten wegen seiner religiösen Legitimierung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine in der Kritik. Mit Aussagen in Predigten sorgte das 75-jährige russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt mehrfach international für Empörung. Ende September etwa versprach der Patriarch russischen Soldaten die Vergebung all ihrer Sünden, wenn sie im Krieg ihr Leben opfern.

"Die Töne, die Kyrill anschlägt, klingen tatsächlich nach dem, was auch muslimische Hassprediger sagen", kommentierte Religionssoziologin Stoeckl im "Falter"-Interview diese Worte des Moskauer Patriarchen. Die meisten Theologen hätten die Aussagen als nicht-christlich bezeichnet. Man dürfe aber nicht vergessen, dass beispielsweise auch katholische Geistliche in der Vergangenheit Waffen gesegnet haben, fügte Stoeckl hinzu. "Kyrills Aussage zeigt vor allem, dass christliche Kirchen auch im 21. Jahrhundert noch in derlei Kriegspropaganda eingebettet sein können."

Im konkreten Fall komme hinzu, dass die Russisch-Orthodoxe Kirche die Invasion in der Ukraine ihrerseits weltanschaulich lange vorbereitet habe, so die Expertin weiter. Stoeckl bezog sich damit auf die Ideologie der sogenannten "Russischen Welt" ("Russki Mir"): "In dieser Vorstellung ist die Ukraine ein Teil Russlands, der nun wieder auf den rechten Weg gebracht werden muss."