"Fünf-Finger-Predigt" der Hoffnung
Das Lied stehe dafür, dass letztlich "aus Gottes Hand alles gut" werde. Tatsächlich liege es am Menschen, sich stets aufs Neue für das Gute zu entscheiden und dies auch ganz praktisch mit seinen Händen umzusetzen. "An der Schwelle des Jahres ist es angebracht, die Hände nicht zu verkrampfen, auch keine Fäuste zu ballen gegen vermeintlich Schuldige", so Glettler.
In einer "Fünf-Finger-Predigt" ging der Innsbrucker Bischof dann die einzelnen Finger und ihre Bedeutung für einen hoffnungsvollen Start ins neue Jahr durch. Der Daumen ("Daumen hoch!") sei etwa ein Zeichen dafür, das Gute zu stärken "aller Jammerei zum Trotz". Der richtungsweisende Zeigefinger wiederum weise in einer Zeit grassierender Orientierungslosigkeit den Weg. Der Mittelfinger bleibe bekanntlich "mehrdeutig", so Glettler unter Verweis etwa auf die Möglichkeit, den "Stinkefinger" zu zeigen. Der Ringfinger symbolisiere "lebendige Beziehungen", Verlässlichkeit und Treue.
Glettler: "Und last, but not least der Kleine Finger: Hoffnung beginnt nicht mit großen Worten. Sie wächst langsam, reift heran. Wir sollten deshalb das Kleine wahrnehmen, das Unscheinbare im Alltag. Hoffnungslos wird das Leben, wenn wir nur auf die Mega-Events warten und das normale, unaufgeregte Leben in seiner Würde nicht erkennen. Die vielen kleinen Zeichen und Gesten der Menschlichkeit können alles verändern. Auch Jesus hat in der Krippe klein angefangen."

Silvesteransprache von Bischof Hermann Glettler, 31. Dez. 2024, Dom zu St. Jakob, Innsbruck
Ein nervöses Jahr liegt hinter uns. Teilweise hat uns ein Tsunami von Bildern der Zerstörung überflutet. Nahezu zwei Jahre Krieg in der Ukraine und über ein Jahr im Gaza, um zwei extreme Brandherde stellvertretend für die vielen globalen Krisen zu nennen. Ernüchternde Bilanz von UNICEF: 2024 war das schlimmste Jahr für Kinder. Weltweit leben 473 Millionen Kinder in Krisenzonen. Und ähnlich aufrüttelnd die ökologische Bilanz des Jahres: 2024 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Situation der Kinder und die Schöpfung sind Seismographen – weil Gott uns die Zukunft in die Hände gelegt hat. Wir können aufbauen oder zerstören. Nicht übersehen dürfen wir bei diesem kritischen Blick das unfassbar Gute, das ebenso geschieht – durch menschliche Hände. Menschen sind füreinander da, bewältigen die Zumutungen des Lebens und erfahren Glück. Ja, der Mensch kann Gutes tun oder Schrecken verbreiten. Wir haben die Wahl – täglich! An der Schwelle des Jahres ist es angebracht, die Hände nicht zu verkrampfen, auch keine Fäuste zu ballen gegen vermeintlich Schuldige. Versuchen wir ein dankbares Loslassen – offene Hände sind ein hoffnungsvolles Bild!
1. In Gottes Hand geborgen – trotz allem
Gerne denke ich an die Hände meiner Großmutter. Als Kind konnte ich unzählige Geschichten darin lesen. Die Härte ihres Lebens als Mutter und Bäuerin in der Kriegs- und Nachkriegszeit war dort wie in ein Buch „eingeschrieben“. Und sie musste altersbedingt dann vieles loslassen. Zu schwach und zittrig war sie. Aber bis zum Schluss hat sie verlässlich gebetet, ihre Hände gefaltet und damit Gott einen Raum geöffnet. Gefaltete Hände machen deutlich, dass wir das wirkliche Wesentliche des Lebens auch in der aktivsten Phase nicht selbst produzieren können. Hoffnung lässt sich nicht „machen“. Ich lade Sie nun ein, bewusst ihre eigenen Hände zu betrachten. Denken sie an die vielen Handgriffe dieses Jahres, an das Gute und Vergebliche. Unsere Hände zeigen Nähe und Zärtlichkeit, aber es gibt auch Spuren von Mühe und so mancher Härte.
Und die Hand Gottes? Ragt sie in unser Leben, so wie auf vielen Ikonen dargestellt? Es ist nicht leicht, in den vielen Ereignissen der letzten zwölf Monate eine allmächtige und begleitende Hand Gottes zu entdecken. Vielleicht ist Gott diskreter am Werk, als wir uns das vorstellen. Manchmal hat man den Eindruck, dass er bei bestimmten Katastrophen immer ein paar Sekunden zu spät kommt. Dann aber voll da ist – tröstend und inspirierend weckt er mit seinem Geist ungeahnte Kräfte der Solidarität auf. Ich halte deshalb trotzig am Bekenntnis fest, dass unsere Namen und das Geschick der ganzen Welt unauslöschlich in seine Hand eingeschrieben sind. Nicht so, wie beim Schwindeln in der Schule, wo die Vokabeln in der Handfläche durch den Schweiß unleserlich wurden. Gottes Hand wird uns auch über die Schwelle des Todes hinaus „halten“.
2. Hoffnung ist ein kostbares Handwerk
Ein Tiroler Pfarrer hat mir erzählt, dass er bei einer Lourdes-Wallfahrt einen besonderen Gottesdienst für Kranke gefeiert hat – inklusive der Einladung zur Krankensalbung. In der Vorbereitung hat er jedoch gemerkt, dass sich in der Gruppe eigentlich nicht wirklich kranke Menschen befanden, sondern vielmehr Angehörige, die sozusagen stellvertretend für andere diese Wallfahrt zum Gnadenort gemacht haben. Klar war dem Pfarrer, dass er keine „So-als-ob-Geschichte“ machen wollte. Aber was tun? Schließlich lud er dennoch alle zur Salbung ein, aber mit dem Auftrag: „Mit diesen euren gesalbten Händen geht und besucht bitte unmittelbar nach dem Heimkommen Menschen, für die ihr betet. Legt ihnen zum Segen die Hände auf!“ Und sie haben es getan. Zahlreiche Rückmeldungen von ganz berührenden Momenten, in denen Hoffnung vermittelt wurde. Hoffnung ist ein kostbares „Handwerk“ der Menschlichkeit:
Hand anlegen, „anpacken“, sich vor Herausforderungen nicht drücken. Kinder flüchten sich in die Hände der Mama, wenn etwas Schlimmes passiert ist. Sie wollen sich ausweinen und dabei gehalten werden. Hoffnung im Modus von „handmade“: Jemandem die Hand reichen, aufhelfen; am Krankenbett tröstend die Hand halten oder streicheln; auch eine Umarmung vermittelt Hoffnung. Und vergessen wir nicht die vielen konkreten Dienste der Fürsorge und sozialen Verantwortung. In den zahlreichen Vereinen unseres Landes legen Menschen Hand an zum Wohl der Nächsten – unzählbare, letztlich unbezahlbare Handgriffe in den vielen Katastrophen-fällen und Rettungseinsätzen des letzten Jahres! Und oftmals wird es in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, wenn sich jemand die Hände schmutzig macht, um heilsam zu wirken.
3. Die Fünf-Finger-Predigt zum Thema Hoffnung
Abschließen möchte ich im Ausblick auf das Heilige Jahr 2025 mit einer kleinen „Volkspredigt“:
Beginnen wir mit dem Daumen: Daumen hoch oder Daumen runter! Leben oder Tod – alles steht auf dem Spiel. So ist es uns zumindest aus dem Filmklassiker Ben Hur vertraut. Auch wenn sich diese altrömische Symbolik historisch nicht belegen lässt, verständlich ist sie. Daumen hoch! Das Gute verstärken – aller Jammerei zum Trotz. Hoffnung gibt es dort, wo wir nicht nur von guter Stimmung profitieren wollen, sondern wo wir bereit sind, dafür Herz, Mund und Finger zu rühren.
Richtungsweisend ist der Zeigefinger: Wohin geht die Reise? Der Verlust von Orientierung ist ein wesentlicher Grund für sehr viel Gereiztheit in unserer Gesellschaft. Wir brauchen eine neue Nachdenklichkeit, ein geduldiges Reflektieren und nicht nur ein Drauflos-Behaupten. Hoffnung leuchtet vielmehr dort auf, wo jemand über den Tellerrand der Sorge um sich selbst hinauswächst – und nicht besserwisserisch die Welt belehrt. Teilen wir uns Hoffnungsvolles mit!
Stark und mehrdeutig ist der Mittelfinger: Er lädt uns ein, Begabungen wahrzunehmen und nicht permanent Defizite zu beklagen oder auf das hinzustarren, was fehlt oder nicht funktioniert – all das macht Menschen hoffnungslos. Aber Vorsicht „Stinkefinger“: Im Handumdrehen kann die Stärke auch zum Nachteil werden, wenn andere damit bloßgestellt oder kleingehalten werden. Für unsere starken Seiten sollten wir Gott danken und sie ebenso bei anderen wertschätzen.
Der nächste ist der wertvolle Ringfinger: Hoffnung entsteht durch lebendige Beziehungen, durch Verlässlichkeit und Treue. Es sind die menschlichen Netzwerke, die das Leben kostbar machen. Dementgegen generieren Lieblosigkeit und Lüge eine gefährliche Hoffnungslosigkeit. Manchmal ist es nötig, die Hand zur Versöhnung auszustrecken – und ein hoffnungsvoller Weg kann von Neuem beginnen. Bleiben wir doch miteinander verbunden, über alle Gräben hinweg!
Und last, but not least der Kleine Finger: Hoffnung beginnt nicht mit großen Worten. Sie wächst langsam, reift heran. Wir sollten deshalb das Kleine wahrnehmen, das Unscheinbare im Alltag. Hoffnungslos wird das Leben, wenn wir nur auf die Mega-Events warten und das normale, unaufgeregte Leben in seiner Würde nicht erkennen. Die vielen kleinen Zeichen und Gesten der Menschlichkeit können alles verändern. Auch Jesus hat in der Krippe klein angefangen.
Abschluss: Dietrich Bonhoeffer hat genau vor 80 Jahren, am 19. Dez. 1944 in einem Brief an seine Verlobte eine zeitlose Ansage des Vertrauens gemacht – in einer Zeit, die wesentlich grausamer und aussichtsloser war als die unsrige: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar“. Welch ein Vertrauen mitten im Grauen der KZ-Haft, kurz vor seiner Hinrichtung! Erwarten wir mit einem Bruchteil dieser Zuversicht, ja mit einer Handvoll Hoffnung „getrost, was kommen mag“. Aus Gottes Hand wird alles gut sein!
Hier wäre ein Youtube video
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