Theologe zieht gemischte Bilanz

Eine gemischte Bilanz des bisherigen Pontifikats Benedikts XVI. zieht der Theologe und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, Prof. Jozef Niewiadomski.

Eine gemischte Bilanz des bisherigen Pontifikats Benedikts XVI. zieht der Theologe und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, Prof. Jozef Niewiadomski. Die Enzykliken sowie die theologische Ausrichtung auf eine produktive Verbindung von Glaube und Vernunft zählten zu den Pluspunkten des Pontifikats, sagte Niewiadomski gegenüber "Kathpress" zum fünfjährigen Amtsjubiläum des Ratzinger-Papstes. Eine Kurienreform sowie ein Abgehen von einer stark zentralistischen Amtsführung seien bisher aber ausgeblieben. Auch vermisst Niewiadomski bei Benedikt XVI. konkrete "Visionen
einer Kirche der Zukunft".
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Johannes Paul II. habe Benedikt XVI. sich als Person bewusst zurückgenommen, stellte der Theologe fest. Die so entstandene "Leerstelle" erweise sich gerade in der gegenwärtigen kirchlichen Situation als problematisch, da mit den Missbrauchsenthüllungen zugleich eine hohe Erwartungshaltung der Öffentlichkeit gegenüber der Person des Papstes entstanden sei, der Benedikt XVI. nach Ansicht Niewiadomskis derzeit nicht entsprochen hat. Die Öffentlichkeit verlange nach einer "symbolischen Figur, die
man haftbar machen möchte".
Verschärft werde die jetzige Lage durch ein "zentralistisches Bild von Kirche". Von daher rühre die Erwartungshaltung, dass sich der Papst zu den Missbrauchsfällen äußern möge. "So ist er nun stückweise in die Position eines globalen Sündenbocks gerutscht", beklagte der Theologe. Notwendig sei dagegen ein "Aufbrechen unserer Papstfixierung". Hier seien die Ortskirchen aufgefordert, einen "Kontrapunkt" zu einer zentralistischen Engführung zu setzen, was
auch den Intentionen Benedikts XVI. entsprechen würde.
Kritisch äußerte sich Niewiadomski gegenüber "Kathpress" im Blick auf die weiterhin ausstehende Reform der Kurie und den Versuch einer "liturgischen Erneuerung", wie sie nicht zuletzt durch die Wiederzulassung der "Alten Messe" als außerordentlicher Messritus vorgesehen war. Der Papst vertrete in liturgischen Fragen eine Linie, "die einer stärker kommunikativen Liturgie vieler Christen im
Westen eher fremd ist".  

Enttäuscht zeigte sich der Theologe davon, dass das von Johannes Paul II. im Jahr 2000 formulierte Schuldbekenntnis der Kirche nicht weitergeführt und theologisch weiter reflektiert worden sei. Die Thematik einer "Schuld der Kirche" sei verschwunden, so Niewiadomski.
"Ortskirchen gefordert"
Schließlich vermisst Niewiadomski bei Benedikt XVI. neue Ansätze für eine "zukunftsfähige Kirche". Der Theologe verweist auf einen Satz aus dem Brief des Papstes an die irischen Katholiken, der lautet: "Wir brauchen eine neue Vision, um zukünftige Generationen zu inspirieren, das Geschenk unseres gemeinsamen Glaubens zu schätzen." Die Vorschläge des Papstes blieben aber "in einem alten Rahmen", so Niewiadomski. Es stelle sich aber generell die Frage, ob man solche
"visionäre" Leistungen von einem Menschen seines Alters überhaupt erwarten könne. "Das meine ich ganz liebevoll, ich denke an einen Großvater in einer Familie, der eine Vision hat, die die Enkel aber nicht anspricht", so der Innsbrucker Theologe.
Als "sehr positiv" wertet Niewiadomski die bisher veröffentlichten Enzykliken des Papstes sowie die Betonung von Werten wie Vertrauen, Hoffnung und Liebe als zentrale Aspekte gelebten Christentums. Indem Benedikt XVI. diese zugleich philosophisch im Vernunftdenken zu fundieren versuche, bemühe er sich aufrichtig und mit intellektueller Brillanz um die "Anschlussfähigkeit des Glaubens".
Für die Zukunft würde es "eine gewisse Entkrampfung" kirchlicher Themen brauchen, erklärte Niewiadomski. Eine solche würde auch "ein ehrliches Eingestehen einer Überforderung" bringen, die durch die "diffuse Erwartungshaltung" der Öffentlichkeit an Papst Benedikt XVI. entstanden sei. Eine "Entmythologisierung der Amtsperson" sei nötig. "Ich erwarte keine Revolution innerkirchlicher Themen von ihm. Aber es gibt genug Punkte, um in den lokalen Ortskirchen anzusetzen", betonte der Theologe.  

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