Gott mitten im beschädigten Haus

"Jesus ist Gottes zärtliche Gegenwart, die uns von aller Entfremdung und Gottlosigkeit befreit." Die Weihnachtspredigt von Bischof Hermann Glettler im Wortlaut.

„Admirabile signum"! Die Krippe mit dem Kind in Windeln gewickelt – welch ein starkes, tröstliches und zugleich herausforderndes Zeichen! Das „lebendige Evangelium“ (Papst Franziskus). Gottes Wort hat mitten unter uns menschliches Fleisch angenommen. Dankbares Staunen und viele offene Fragen zugleich. In einer Unterstelle für Tiere kam Jesus zur Welt. Gott, der eigentliche „Gastgeber des Lebens“ in einer Notunterkunft. Kein schönes Haus, von dem alle träumen.

Das beschädigte Haus 

Weihnachten ist mehr als äußere Fassade oder Blendwerk. Es gehört zur Bildsprache der traditionellen Krippen, dass der Geburtsort Jesu nicht nur als Stall, sondern als Ruine dargestellt wird. Ist dies nur ein romantischer Dekor? Natürlich sollte der Kontrast zum königlichen Palast hervorgehoben werden, weil Gott nicht mit einer imperialen Geste, sondern in der nackten Armut eines einfachen Kindes zur Welt kam. Alles Übertriebene und Aufgeblähte ist ihm fremd. Gott ist so groß, dass er sich uns in radikaler Einfachheit schenkt. Wir feiern den Geburtstag dessen, der seinen gesamten himmlischen Reichtum zurückgelassen hat. Jeder kann ihm begegnen, ohne soziale oder milieuhafte Barriere. Aber warum die Anspielung auf ein desolates Haus? Ist es doch nur Teil einer romantischen Inszenierung – die alte, geheimnisumwobene Hütte?

Der Grund für die Darstellung ist die Überzeugung, dass Jesus durch sein Kommen die „zerfallene Hütte" seines Volkes wieder aufrichten wollte, wie es beim Propheten Amos (Am 9,11) heißt: „Ich bessere ihre Risse aus, richte ihre Trümmer auf und stelle alles wieder her.“ Aufbauen, Heilen, Wiederherstellen – das ist die verlässliche Arbeit Gottes. Die Ruinen im Krippenaufbau sind darüber hinaus ein Bild für die Großbaustelle Menschheit insgesamt. An unzähligen Orten besteht Handlungsbedarf – mehr Chancengleichheit, mehr Gerechtigkeit, mehr Frieden! Jesus ist gekommen, um zu heilen und wiederaufzubauen. Durch sein Kommen beginnt ein Wiederaufbauprogramm. Er ist „die Neuheit inmitten einer alten Welt“ (Papst Franziskus). Das Bruchstückhafte und Unfertige unseres Lebens müssen wir vor ihm nicht verstecken – allem Wahn des perfekten Lebens zum Trotz.

Das gefährdete Haus 

Vom kleinen beschädigten Haus kommen wir auf das große Haus. In den Begriffen Ökonomie, Ökumene und Ökologie befindet sich das griechische Wort „oikos“ für Haus – es meint den privaten Wohnbereich und den bewohnbaren Erdkreis, das gemeinsame Haus und Gottes Schöpfung. Im Blick auf das beschädigte Haus in der Weihnachtsszene tauchen einige Fragen auf: Nach welchen Maßstäben und Paradigmen wirtschaften und konsumieren wir? Haben wir das Recht, unseren Planeten durch eine unstillbare Gier in eine nicht mehr bewohnbare Ruine zu verwandeln? Franz von Assisi, dem wir den volkstümlichen Brauch der Weihnachtskrippe verdanken, wird von Papst Franziskus als „das Beispiel schlechthin für die Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und für eine froh und authentisch gelebte ganzheitliche Ökologie“ vorgestellt. 

In seiner öko-sozialen Mahnschrift „Laudato Si – Sorge für das gemeinsame Haus“ ermutigt der Papst schon im Jahr 2015 zu einem entschlossenen Handeln: „Die Menschheit besitzt noch die Fähigkeit zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Haus aufzubauen. Die jungen Menschen verlangen von uns eine Veränderung. Sie fragen sich, wie es möglich ist, den Aufbau einer besseren Zukunft anzustreben, ohne an die Umweltkrise und an die Leiden der Ausgeschlossenen zu denken.“ Ganz energisch bittet er, dass sich unser Lebensstil verändern soll. Wir dürfen mit unserer beschämenden „Wegwerfkultur“ unsere Erde, also unser gemeinsames Haus nicht in eine unermessliche Mülldeponie verwandeln. Weihnachten ist Inspirations- und Kraftquelle für die vielen Haus-Aufgaben, die vor uns liegen. Eine echte Spiritualität der Menschwerdung Gottes ist keine theologische Blase – sondern Zusage, Freude über Gottes Anwesenheit, Trost und (!) Auftrag!

Das bewohnte Haus 

Wir alle wissen, wie ein Gebäude oder eine Wohnung innerhalb kürzester Zeit aussieht, wenn sie nicht bewohnt ist. Ein starkes Bild für die Seele des Menschen, die unbewohnt ist – ein trauriges Bild für die innere Leere. Weihnachten ist Gottes Kommen, sein lichtvolles, heilendes Da-Sein. Ich erinnere mich sehr gern an den Brauch des weihnachtlichen Räucherns in meiner Kindheit. In den drei Rauchnächten – Heiliger Abend, vor Neujahr und vor Epiphanie – gingen wir Rosenkranz betend durch das Haus und durch das Stallgebäude, um den Segen der Weihnacht überall hin zu tragen. Es war der faszinierende Duft des Weihrauchs und das wiederholende Gebet, das jeden Winkel unseres Anwesens erreicht hat. Ein starkes Zeichen für das Geschehen der Weihnacht: Gottes Kommen schließt all unsere Wohn- und Arbeitsräume mit ein. In uns will Gott von Neuem geboren werden.

Jesus ist Gottes zärtliche Gegenwart, die uns von aller Entfremdung und Gottlosigkeit befreit. Er hat den Anfang gemacht. Im übertragenen Sinn: Er hat unsere Ruinen, Fragmente und unfertigen Baustellen nicht gescheut. Ja, wir können Gott auch kein perfektes Ambiente bieten, sondern nur die Sehnsucht, ihn empfangen zu wollen. Alles Übrige macht er selbst. Und im realen Sinn heutiger Weltverhältnisse: Seine Gegenwart hilft uns, jede Form einer egoistischen, selbstbezogenen Abschottung und Abgrenzung zu überwinden. Sein Dasein weckt die nötige Kraft und Kreativität in uns, Räume füreinander zu öffnen. Wenn wir Weihnachten in uns zulassen, dann werden wir aufmerksam für jene, die ausgeschlossen sind. Es sind viele, die ihre heimatlichen Häuser verlassen mussten oder auch in unserem reichen Land plötzlich ohne Wohnmöglichkeit dastehen. Weihnachten ist ein „geschenktes Wir“ (M. Scharer), eine neue Verbundenheit und ein Auftrag.

Ein Haus für Alle 

Das Aufstellen der Krippe in meiner Familie hat uns Kinder enorm fasziniert. Der Stall aus Holz, die geschnitzten Figuren, wunderschön, aber durch den kindlichen Zugriff im Laufe der Zeit auch ordentlich beschädigt. Dem einen Hirten fehlte der Kopf, der andere hat seinen Fuß verloren, und die Magd war in der Mitte mit Tixo zusammengeklebt. Aufstellen und Umstellen, Schlafenlegen und Abräumen. Ständig Bewegung. Und es wurden immer mehr. Batman war dabei, ein Cowboy und ein kleiner Traktor. Alle da, auch die Tiere! Das ist Weihnachten. Dass die Krippe ein Haus für alle ist, gibt mir zu Denken. Es ist Gottes Haus für die Aktiven und Gehbehinderten, für die Erfolgreichen und die armen Leute, die Weisen und die Kopflosen. Alle zusammen – vor dem, der uns durch seine Geburt zu Geschwistern gemacht hat. Freuen wir uns über die Vielfalt und die vielen Gesichter der Menschen. In ihnen allen spiegelt sich das Antlitz des menschgewordenen Gottes.

Das weihnachtliche Haus, desolat wie auch immer, verweist zudem auf das Haus mit den vielen Wohnungen, die nicht von Menschenhand gemacht werden können. Kinder wurden im Religionsunterricht aufgefordert, ein Bild zu malen, wie sie sich den Himmel vorstellen. Fast ein Wettbewerb für die originellsten Ideen. Alles Mögliche wird zu Papier gebracht – Gott auf dem Thron und sonst nichts; Leute auf Wolken, bequem, aber etwas verloren, und vieles mehr. Frederik, 12 Jahre alt, malt ein super tolles Haus mit offenen Zimmern und großen Räumen. Alles ist mit Leuten bewohnt, ein buntes Treiben. Das ist der Himmel! Großes Lob vom Lehrer. Ein Haus voll Leben – ein weihnachtliches Bild. Unser irdisches Leben spielt sich allerdings noch im Vorläufigen, Provisorischen ab – vielleicht auch in Ruinen. Aber einmal werden wir bei Gott ganz zu Hause sein dürfen. Jetzt aber feiern wir – sein tröstendes und nachhaltiges Wohnen mitten unter uns!

Weihnachtspredigt von Bischof Hermann Glettler im Innsbruck Dom St. Jakob, 2019 

Krippe am Innsbrucker Domplatz mit dem "Glo-Ball", der für die weltweiter Verbundenheit der Menschen und die gemeinsame Verantwortung für unsere Welt steht. Foto: Rachlé